Kremlchef Wladimir Putin hat dem Westen mit einer „asymmetrischen Reaktion“ auf die Entscheidung gedroht, westliche Waffen für Gegenangriffe auf russisches Territorium freizugeben. Was will er damit erreichen? Fragen an den Kölner Politologen Prof. Thomas Jäger.
Kölner Politologe Jäger über Putins DrohungenWill Russland Anschläge im Westen fördern?
Der russische Präsident Wladimir Putin droht dem Westen damit, Waffen in anderen Weltregionen aufzustellen, mit denen Angriffe auf ihre sensiblen Objekte ausgeführt werden könnten. Was meint er wohl damit?
Bei Maßnahmen wie Desinformation oder der Förderung prorussischer Parteien sind die Russen ja schon am Limit, da haben sie alles gemacht, was überhaupt möglich ist. Was können sie noch tun? Da bleiben beispielsweise Sabotage und die Unterstützung terroristischer Gruppen. Das wären Möglichkeiten, die man in Betracht ziehen könnte, um die Unterstützer der Ukraine empfindlich zu treffen. Ich weiß nicht ob das so kommt, aber es wäre denkbar, zudem Putin ja von Waffen sprach, davon, dass Russland Waffen woanders stationieren werde. Dann denke ich natürlich dann, dass Außenminister Sergej Lawrow gerade in Burkina Faso ist. Es wäre eine Möglichkeit, in der Region entsprechende Gruppierungen so auszustatten, dass die in die Lage versetzt würden, Anschläge auszuführen. Die Huthi zeigen ja gerade, wie das geht.
Andererseits sagt Putin, Befürchtungen hinsichtlich eines russischen Angriffs auf Nato-Staaten wären, so wörtlich, Bullshit. Dann wieder warnt er explizit Deutschland. Was will er überhaupt sagen?
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Das ist einfach die klassische russische Diplomatie. Auf Deutsch nennt man das Lüge, freundlicher formuliert: alternative Realitäten. Nichts von dem, was er sagt, stimmt. Er wiegelt ab, er zeichnet ein Bild, nach dem er ja überhaupt nicht gefährlich ist und keine bösen Absichten hegt. Und dann streut er eine Drohung nach der anderen ein.
Man könnte vermuten, dass er durch jüngste westliche Entscheidungen – erst die Lieferung der ATACMS-Raketen durch die USA, dann die begrenzte Freigabe westlicher Waffen für Gegenangriffe auf russisches Territorium – unter Druck steht.
Ja, natürlich. Die Drohungen sind eine Reaktion auf das, was auf dem Schlachtfeld geschieht. Die Methode hat ja zwei Jahre lang gewirkt. Schon Ende Februar 2022 wurde Charkiw mit Gleitbomben angegriffen, und zwei Jahre lang konnte Putin mit seinen Drohungen die Verantwortlichen im Westen davon abhalten, der Ukraine die dagegen erforderliche Unterstützung zu geben. Das hat sich jetzt geändert. Wir kennen von ihm die Drohungen, entweder den Krieg weiter zu tragen nach Georgien oder Moldawien oder nuklear zu eskalieren. Dann erklärt er die Furcht vor einem russischen Nukleareinsatz wieder für unsinnig, empfiehlt, man solle doch nur die russische Nukleardoktrin lesen - und gleichzeitig droht er immer wieder damit. Solange bis keiner mehr weiß, was stimmt, und alles möglich erscheint. Das hat jetzt bei einigen Regierungen nicht mehr gezogen. Also geht er einen Schritt weiter, weil er weiß, dass diese beiden Eskalationsmöglichkeiten ihm momentan nicht effektiv zur Verfügung stehen, weil sie momentan politisch und militärisch in diesem Krieg keinen Sinn hätten. Aber eben eine andere Front aufzumachen, in der andere Akteure befähigt werden, Schaden im Westen anzurichten: Das ist aus russischer Sicht schon seine Möglichkeit.
Putin hat sich auch zu Kriegstoten geäußert und zum ersten Mal Andeutungen gemacht, aus denen sich auch auf die Dimension der russischen Verluste schließen lässt. Warum?
Nun, wirklich konkret hat er sich zur angeblichen Zahl der Kriegsgefangenen geäußert, angeblich 1348 Russen in ukrainischer Hand und fast 6500 Ukrainer in russischer Gefangenschaft.
Aber er hat ja angedeutet, die Zahl der Verluste stehe in einem ähnlichen Verhältnis, und dann kam er mit der phantastischen Zahl von angeblich 50.000 toten oder verwundeten Ukrainern pro Monat. Da lässt sich ein Dreisatz draus machen …
Er kann die hohe Zahl russischer Kriegstote ja auch gar nicht bestreiten. Millionen Menschen in Russland haben die Erfahrung gemacht, dass Verwandte gefallen sind oder schwer verwundet worden. Das kann Putin gar nicht abstreiten. Also nennt er zwar keine genaue Zahl, aber er gibt zu, dass es viele Opfer gibt. Alles andere würde ihm im Land nicht mehr abgenommen. Ihn muss das auch nicht stören. Die Repression in Russland ist so groß, dass deswegen ein erfolgreicher Protest nicht zu erwarten ist.
Prof. Thomas Jäger lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.