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Interview mit Saskia EskenSPD-Chefin spricht über Wege aus der Krise

Lesezeit 4 Minuten

Hilfe nur für die, die sie benötigen – das sei der Kurs der SPD, so Saskia Esken.

KölnFrau Esken, Rekordinflation und Gaskrise: Wie will die SPD die Menschen in dieser Lage konkret entlasten?

Die Ampelregierung hat schon zwei große Entlastungspakete beschlossen. Viele Maßnahmen sind jetzt im Juli zum Tragen gekommen, im September folgt daraus noch die Energiepauschale von 300 Euro für alle einkommenssteuerpflichtigen Erwerbstätigen, auch Minijobber und Selbstständige erhalten die Pauschale. Aber das ist nicht alles, wir werden mehr tun!

Was denn?

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Inflation und dauerhaft hohe Energiepreise erfordern eine Steigerung der kleineren und mittleren Einkommen. Der Mindestlohn wird zum 1. Oktober auf 12 Euro angehoben und zieht niedrige Tariflöhne mit hoch. Die Gewerkschaften fordern einen Inflationsausgleich und haben dabei unsere volle Unterstützung – allerdings müssen wir uns um eine höhere Tarifbindung bemühen, damit auch mehr Beschäftigte davon profitieren.

Für Wohngeld- und Bürgergeldempfänger sind substanzielle Unterstützungen in Vorbereitung, wie Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt hat. Hier geht es um dauerhaft höhere Zahlungen. Und vom Wohngeld sollen mehr Menschen profitieren als bislang, der Empfängerkreis wird erheblich ausgeweitet.

Bei höheren Hartz-IV-Regelsätzen stellt sich Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner aber quer…

Anfang des Jahres wurde die Grundsicherung um 0,6 Prozent erhöht, bei einer Inflation von sechs Prozent. Das zeigt: Die bisherigen Mechanismen kompensieren die tatsächlichen Preissteigerungen nicht mal annähernd. Deswegen müssen wir den Berechnungsmodus ändern. Es kann nicht so bleiben, dass die Anpassung an weit zurückliegende Inflationsraten gekoppelt wird und nicht an aktuelle.

Und wir können bestimmte Preissteigerungen – etwa bei den Heizkosten – nicht außer Acht lassen. Höhere Gaspreise machen ja nicht nur das Heizen teurer, sondern auch Lebensmittel und alles andere. An einer neuen Berechnungsmethode führt kein Weg vorbei.

Was ist mit Lindners Vorschlag, die Pendlerpauschale anzuheben und ab dem ersten Kilometer zu gewähren?

Von solchen Steuererleichterungen profitieren niedrige Einkommensgruppen kaum oder gar nicht, die Hoch- und Höchstverdiener am meisten, obwohl sie unsere Hilfe nicht brauchen. Das ist also sozial ungerecht und falsch.

Sozialverbände und Gewerkschaften fordern Einmalzahlungen für Leistungsempfänger, eine Mehrwertsteuersenkung für Lebensmittel, einen Gaspreisdeckel. Sagt die SPD da nein?

Wir schauen uns alle Vorschläge genau an. Unser Kompass ist klar: Hilfe nur für die, die sie benötigen. Und jede dauerhafte Entlastungsmaßnahme muss auch auf Dauer bezahlt werden können.

Wie kann es sein, dass Energiekonzerne wie RWE ihre Gewinne hochschrauben, während Verbraucher unter explodierenden Kosten leiden?

Es ist schwer hinnehmbar, dass Unternehmen ohne eigene Leistung von der Krise profitieren. Das ist eine Schieflage, an die wir ranmüssen. Mehrere Länder haben längst eine Übergewinnsteuer eingeführt.

Ist das Werkzeug passgenau anzuwenden? Herr Lindner hat Zweifel.

Ich kenne die Einwände von Herrn Lindner. Aber: Es ist nicht hinzunehmen, dass Energiekonzerne Krisengewinne einfahren in einer Zeit, in der der Staat Gasversorger mit einer solidarischen Preisumlage stabilisiert oder gar mit Steuergeldern. Das wird zu Recht als große Ungerechtigkeit empfunden.

Wie kann es sein, dass der Tankrabatt von den Mineralölkonzernen in den ersten Wochen nicht in vollem Maße an die Verbraucher weitergegeben worden ist? Die SPD wird darum einen neuen Anlauf nehmen, eine Übergewinnsteuer für Konzerne einzuführen, die sich an der Krise bereichern.

Bei allen Entlastungsplänen stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit. Wie geht der Streit mit der FDP aus?

Die Schuldenbremse steht in der Verfassung. Allerdings steht auch die Ausnahmeregelung in der Verfassung. Die Option haben wir in den letzten drei Jahren gewählt, weil wir zweifelsohne wegen Corona in einer Krise waren. Jetzt haben wir zwei Krisen, zu Corona ist der Krieg gekommen. Trotzdem zu sagen, jetzt muss die Schuldenbremse wieder greifen, also einfach per Definition den Krisenzustand für beendet zu erklären, das grenzt schon an Realitätsverweigerung.

Sie plädieren für eine abermalige Aussetzung der Schuldenbremse?

Krisenbedingte Einmalzahlungen oder befristete Entlastungsmaßnahmen wie die Unterstützung von Uniper oder anderen Versorgern müssen wir durch ein nochmaliges Aussetzen der Schuldenbremse finanzieren, wenn wir keine andere Möglichkeit haben. Auch eine Steuer auf krisenbedingte Übergewinne wäre dafür geeignet.

Übergewinnsteuer

Bereits in der Pandemie wurde 2021 über die Einführung einer Steuer nachgedacht, die auf zusätzliche Gewinne von Unternehmen erhoben werden soll, die von der Krise profitierten. Ein Antrag von vier Bundesländern auf Einführung einer solchen Steuer im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg fand Anfang Juli im Bundesrat keine Mehrheit. Energiekonzerne sollen etwa in Italien und Großbritannien Übergewinnsteuern zahlen. (EB)

Wobei auch klar sein sollte, dass wir dauerhafte Reformen wie bei Wohngeld, Bürgergeld und Kindergrundsicherung nicht über eine solche Ausnahme finanzieren können.

Kann der Staat nicht mehr Einnahmen generieren?

Aus SPD-Sicht schon. Sehr hohe Einkommen und sehr hohe Vermögen sind in den Krisenjahren zum Teil deutlich überproportional gestiegen, während andere am Rand ihrer Existenz standen. Hier sollten wir die starken Schultern stärker beteiligen. Wer mehr als 250000 Euro im Jahr verdient, der kann und muss einen relevant höheren Beitrag leisten.

Der Spitzensteuersatz wird ja heute schon für Jahreseinkommen über 59000 Euro fällig. Er könnte durchaus später greifen, wenn zur Gegenfinanzierung die wirklichen Hochverdiener kräftiger besteuert würden.