Hoffnung auf eine Zeit nach PutinWie in Russland zaghaft der Widerstand wächst
- Im Westen hoffen viele auf ein „anderes Russland“ in einer Post-Putin-Zeit.
- Tatsächlich formiert sich eine Opposition. Ihr Symbol: eine weiß-blau-weiße Flagge als Zeichen für Frieden und Gerechtigkeit. Ist das mehr als ein schöner Traum?
Joe Biden will die Menschen in Russland nicht aufgeben. „Dieser Krieg ist eurer nicht würdig“, erklärte der US-Präsident zuletzt in seiner großen Rede in Warschau. Demnach führt allein Präsident Wladimir Putin den Angriffskrieg in der Ukraine. Und tatsächlich formiert sich in diesen ersten Frühlingstagen ein anderes Russland. Zaghaft noch, fast unmerklich und durchaus ängstlich angesichts der Gewaltbereitschaft im Kreml. Aber immerhin hat das neue Russland schon eine eigene Flagge. Dahinter vereinen sich all jene, die nicht einverstanden sind mit „Blutvergießen, Kriegskult und imperialer Gier“.
So formulierte es kurz nach Beginn der Invasion in der Ukraine ein russischer Twitter-Nutzer mit dem poetischen Usernamen „Swuki Ryb“ (der Klang der Fische). Aus dem Exil in Paris heraus schlug der Softwarespezialist vor, ein Symbol für das „demokratische Russland der Zukunft“ zu schaffen. In sozialen Netzwerken fand die Idee schnell Resonanz. Man einigte sich auf eine quer gestreifte weiß-blau-weiße Flagge. Auf diese Weise sollte das Rot im unteren Streifen der russischen Trikolore verschwinden, die „mit Blut befleckt“ sei. Zumal das Rot auch an den Stalinismus und die Sowjetdiktatur erinnere, an der sich Putin so gern orientiere.
Rasanter Siegeszug – zumindest auf Twitter
Aus dem Weiß-Blau-Rot der aktuellen Staatsflagge soll also Weiß-Himmelblau-Weiß werden. Die Farbkombination stehe für „Freiheit und Frieden, Wahrheitsliebe und Vernunft, Gleichheit und Gerechtigkeit“, erklärten die Netzaktivisten.
In der russischen Exil-Opposition trat die Twitter-Initiative einen rasanten Siegeszug an. Mittlerweile ist die neue Flagge fester Bestandteil bei Antikriegsprotesten – sei es in Berlin, Paris oder den starken russischen Gemeinden in Georgien und Zypern. Am Wochenende gingen in der tschechischen Hauptstadt Prag Tausende Menschen auf die Straße, schwenkten weiß-blau-weiße Fahnen und bezeichneten sich auf Plakaten als „Russen gegen Putin“.
Aber auch in Russland selbst tauchen die neuen Farben gelegentlich auf. So demonstrierten in der Ural-Metropole Jekaterinburg schon Anfang März Putin-Gegner im Zeichen der weiß-blau-weißen Flagge gegen den Krieg in der Ukraine. Die Polizei reagierte allerdings mit brutaler Härte. Wie fast überall in Russland. Äußerungen über den Krieg, die der offiziellen Darstellung des Kremls widersprechen, können nach einer Gesetzesverschärfung mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Deshalb raten die weiß-blau-weißen Dissidenten ihren Landsleuten auch von offenen Protesten unter Verwendung der neuen Flagge ab.
Demonstranten in Russland riskieren sehr viel
Es gehe nicht um einen schnellen Sturz des Putin-Regimes, heißt es auf der frisch eingerichteten Internetseite „whitebluewhite.info“. Schließlich stünden die Farben für Frieden und Freiheit. Wer aber in Russland an Protesten teilnehme, der riskiere nicht nur seine Freiheit, sondern auch Gesundheit und Leben. „Lasst es lieber bleiben“, lautet daher die kurzfristige Botschaft. Das Projekt Weiß-Blau-Weiß ist demnach langfristig angelegt. Ziel sei die Schaffung eines „Herrlichen Russlands der Zukunft“. Das klingt nach Utopie. Hat sich hier also eine Gemeinschaft der Träumer zusammengefunden?
Kaum. Der Plan ist es vielmehr, sofort durchzustarten, sobald es eine realistische Chance auf Veränderung in Russland gibt. Nicht von ungefähr verweisen die Exil-Oppositionellen auf das Beispiel Belarus. Dort versammelten sich im Sommer 2020 bei Massenprotesten gegen Machthaber Alexander Lukaschenko Zehntausende im Zeichen der alten weiß-rot-weißen Flagge, die aus der Zwischenkriegszeit stammt. Und es gibt weitere Vorbilder, nicht zuletzt in Russland selbst. Denn die heutige Trikolore war in der Spätphase der Perestroika das zentrale Symbol des Protests gegen die kommunistischen Diktatur.
Erinnerungen an den Untergang der Sowjetunion
Am Ende war es Boris Jelzin, der Präsident der Russischen Teilrepublik, der 1991 im Zeichen der weiß-blau-roten Trikolore den Untergang der Sowjetunion besiegelte. Für Putin war das erklärtermaßen „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Deswegen haderte der Präsident anfangs auch mit den Symbolen der Jelzin-Ära. Als eine seiner frühen Amtshandlungen machte Putin im Jahr 2000 die alte Hymne der Sowjetzeit wieder zur russischen Nationalhymne. Seit Kriegsbeginn setzt das Regime nun verstärkt auf das berüchtigte Z-Symbol, das für „Za pobedu“ steht (für den Sieg), aber optisch an faschistische Symbole erinnert.
Das könnte Sie auch interessieren:
Dem halten die Exil-Oppositionellen mit ihrer weiß-blau-weißen Flagge eine völlig andere historische Tradition entgegen. Denn die Farbkombination findet sich auch im Wappen der nordrussischen Stadt Weliki Nowgorod. Im Mittelalter betrieben die Kaufleute dort einen regen Handel mit der Hanse. Während Moskau unter der Mongolenherrschaft litt, bildete sich in Nowgorod eine Stadtrepublik heraus, samt Volksversammlung (Wetsche). Wer behauptet, in Russland gebe es keine demokratische Tradition, wird beim Blick nach Nowgorod eines Besseren belehrt. Daran würden die Putin-Herausforderer gern anknüpfen.