Hamburg – Wenn Hanna Bornholdt ihren Blick über das Dach der Hamburger Umweltbehörde schweifen lässt, hat sie kaum Augen für die Elbphilharmonie oder den Michel am Horizont.
Die Landschaftsarchitektin betrachtet stattdessen die Gräser, Moose, Kräuter und Fetthennen-Arten, die auf dem Flachdach der Behörde wachsen. Denn die haben in den vergangenen acht Jahren eine erstaunliche Artenvielfalt auf die Gründächer der Hansestadt gebracht, wie eine ökofaunistische Begleituntersuchung von Stadt, der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Universität Hamburg ergeben hat.
235 verschiedene Käferarten
„Wir haben mehrere Käfer gefunden, die auf der Roten Liste stehen und sehr selten vorkommen - vor allem hier mitten in der Stadt. Darunter waren viele Arten, die selbst Biologen nie so erwartet hatten”, sagt die Projektleiterin für Hamburgs Gründachstrategie der Deutschen Presse-Agentur. Insgesamt mehr als 235 verschiedene Käferarten sind den Experten auf sieben Gründächern der Hansestadt innerhalb von zwei Jahren in die Becherfallen für das wissenschaftliche Monitoring gegangen. Auch viele Wespen und Wildbienen wurden registriert.
Damit wird gleichzeitig die Vogelwelt unterstützt. „Denn wo Insekten sind, gibt es auch mehr Vögel.” Wer beispielsweise bei der Umweltbehörde auf ein Gründach steigt, der kann dort etwa brütende Möwen, Austernfischer und Enten finden.
Hamburg ist Vorreiter bei grünen Dächern
Dem Naturschutzbund Nabu zufolge ist Deutschland im internationalen Vergleich gut aufgestellt. „Hierzulande werden weltweit die meisten Dächer begrünt”, sagt Fachreferent Stefan Petzold. Große Konkurrenz gebe es vor allem im asiatischen Raum. Das liege besonders an der Bevölkerungsdichte und daran, dass die Notwendigkeit wegen der Feinstaubbelastung und schlechter Luftqualität groß sei. Allgemein lasse sich ein positiver Trend beobachten. „So hat sich die Gesamtfläche an begrünten Dächern in Deutschland seit 2008 mehr als verdoppelt.”
Hamburg gilt dabei als einer der Vorreiter in Sachen grüne Dächer in der Stadt. In einem Ranking basierend auf etwa fünf Jahre alten Zahlen des Bundesverbandes Gebäudegrün findet sich die Hansestadt auf Platz fünf nach unter anderem Stuttgart und München. Seit 2014 ist aber auch viel Grün dazugekommen, denn seitdem gibt es in der Hansestadt die sogenannte Gründachstrategie. Ziel ist es, mindestens 70 Prozent der Neubauten und der geeigneten, zu sanierenden Dächer zu begrünen.
Dabei gibt es auch Fördermittel - 3,5 Millionen Euro bis Ende 2024. Bis zu 50 Prozent der Kosten pro Quadratmeter und maximal 100 000 Euro sind als Zuschuss von der Stadt möglich. Bislang wurden 325 Anträge gestellt und 94 000 Quadratmeter Dachbegrünung bewilligt. Auch Fassadenbegrünung wird seit 2020 gefördert. Unter Solaranlagen ist auch ein Gründach möglich.
Zur Strategie gehört aber auch: darüber reden und über bestehende Gesetze mehr einfordern. „Städtebaulich relevante Projekte finden in Hamburg kaum mehr ohne Gebäudebegrünung statt”, so Bornholdt. Etwa die Hälfte von Hamburgs Dächern sind flach genug für eine Begrünung - derzeit sind etwa fünf Prozent davon begrünt.
„Seit dem Start der Gründachstrategie ist die Gründachfläche in der Hansestadt um etwa 80 Hektar gewachsen, das sind 800 000 Quadratmeter. Die gesamtstädtische begrünte Dachfläche beträgt der Umweltbehörde zufolge etwa 205 Hektar, davon wurden 39 Prozent der Gründachfläche im Wohnungsbau, 35 Prozent im Industrie- und Gewerbebau und 26 Prozent bei sonstigen Gebäuden errichtet.
Grüne Dächer helfen auch bei Starkregen
Die Vorteile liegen Bornholdt zufolge auf der Hand: Grüne Dächer bringen mehr als frische und kühle Luft und viele Käfer, Bienen und Vögel. Nabu-Experte Petzold ergänzt: Grüne Dächer in Orten mit einem sehr hohen Versieglungsanteil - wo also Asphalt und Beton dominieren - können eine „sinnvolle Alternative” und „ein wichtiges Instrument” sein, wenn Entsiegelungen nicht mehr möglich sind.
Begrünte Dächer entlasten zudem auch das Abwassersystem einer Stadt bei Starkregen. Denn bis das Wasser durch die Pflanzen und das Substrat auf dem Dach durch ist und über die Regenrinne in die Kanalisation fließt, vergehen rund 15 Minuten. „Das hilft, weil das Wasser dort weniger schnell ankommt und es sind in der Regel auch nur noch 50 Prozent der eigentlichen Menge. Der Rest wird auf dem Dach zurückgehalten und verdunstet.”
Weiterer Vorteil für die Bauherren: Sie müssen mit einem Gründach nur 50 Prozent der Niederschlagswassergebühr zahlen. Und wesentlich mehr als ein reguläres Dach kostet die Begrünung auch nicht, dafür kann ein Gründach sogar doppelt so lange halten.
Die Gründach-Offensive der Hansestadt hat bereits einige Vorzeigebeispiele hervorgebracht, nicht nur auf der Umweltbehörde und neu gebauten Schulen. So gibt es beispielsweise an und auf der Desy-Forschungshalle in Bahrenfeld eines der größten Projekte der Hansestadt zur Gebäudebegrünung. Dort wurden 1900 Quadratmeter Fassade und 2700 Quadratmeter Dach begrünt und mit rund 25 000 Gräsern, Stauden und Klettergehölzen bepflanzt.
Ein besonderes grünes Projekt ist zudem der Bunker in der Feldstraße am Heiligengeistfeld mit seiner geplanten Rundum-Intensiv-Begrünung der oberen fünf Geschosse. 1000 Bäume, 1600 Gehölze und 940 Kletterpflanzen sollen dort im öffentlich frei zugänglichen Dachgarten gepflanzt werden.
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