„Es war ein mutiger Anfang“Wie sich die Kölner CDU in 75 Jahren entwickelt hat
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Am 17. Juni 1945 trafen sich 18 Kölner im Kolpinghaus, zwei Monate später gründeten sie offiziell die Kölner CDU.
Matthias Hendorf sprach mit Historiker Jost Dülffer über die Anfänge der Partei und was Konrad Adenauer davon hielt.
Köln – Herr Dülffer, die Kölner CDU hat sich mehr oder weniger direkt nach Kriegsende im Juni 1945 gegründet. Was war das für eine Zeit damals?
Der Krieg in Deutschland war im Juni 1945 einen Monat beendet, in Köln dagegen war es schon drei, vier Monate früher so weit. Und man fing an, wieder ein politisches Bewusstsein zu entwickeln und wollte Einfluss nehmen auf die Nachkriegsgestaltung. Die Stadt Köln war zerstört wie kaum eine andere, das ist der physische Aspekt. Der andere war das Mentale, und da gab es gerade im christlich-katholischen Spektrum eine ganze Menge Diskussionen.
Hat es Mut erfordert, nach einem Krieg und in einer solchen Phase, eine Partei zu gründen?
Zunächst handelte es sich für mehrere Monate um informelle Diskussionszirkel, die Beteiligten in Köln mussten erstmal schauen, was die Besatzer wollten und auch zuließen. Von März bis Juni waren das die US-Amerikaner, ab 21. Juni dann die Briten. Die Gründer der Kölner CDU wollten sich gegenüber der Bevölkerung, aber auch gegenüber den Besatzungsmächten mit einer grundsätzlich formulierten Eigeninitiative präsentieren.
Wer waren die Protagonisten?
Es waren ganz überwiegend Leute aus der früheren Zentrums-Partei der Weimarer Republik. Allen voran Leo Schwering, Bibliothekar und Lehrer, sowie Peter Schaeven, ein eher intellektueller Mensch. Dazu kamen vor allem Dominikaner, die aus der Tradition ihres Ordens durchaus auch christlich-sozialistisch argumentierten. Es gab sehr früh dieses Bemühen, eine umfassende christliche Partei zu gründen, also für Katholiken und Protestanten.
War die CDU also eine Abspaltung des Zentrums?
Das Zentrum hatte am Ende der Weimarer Republik teils versagt, unter anderem hatte die Partei dem Ermächtigungsgesetz Hitlers zugestimmt. Das Zentrum war schwer belastet, sich von der Demokratie abgewandt zu haben. Von daher hatten frühere Mitglieder die Idee, eine konfessionsübergreifende Partei zu gründen. Aber im alten Zentrum gab es ebenfalls Ideen, die Partei neu zu gründen. Es blieb zunächst eine Konkurrenz, beide liefen nebeneinander her, keiner wusste, wer sich durchsetzt.
Die Kölner CDU
1945 haben sich 16 Männer und zwei Frauen am 17. Juni im Kolpinghaus an der Breite Straße in Köln getroffen. Das Ziel: eine neue Partei. Die 20 Kölner Leitsätze wurden aufgeschrieben, einer davon: „Die geistige Würde des Menschen wird anerkannt.“ Am 19. August 1945 fand später im Kolpinghaus die offizielle Gründungsversammlung der „Christlich-Demokratischen Partei“ (CDP) statt. Später nannte sie sich um in CDU.
6 Oberbürgermeister stellte die CDU bislang: Konrad Adenauer, Ernst Schwering, Hermann Pünder, Willi Suth, Harry Blum und Fritz Schramma. Ihre Amtszeiten sind zusammen etwa 26 Prozent des Zeitraums vom 4. Mai 1945 bis zum 17. Juni 2020, davon ausgenommen ist die aktuelle OB Henriette Reker. Sie ist in keiner Partei, die CDU unterstützt sie. Zu rund 68 Prozent des Zeitraums stellte die SPD den OB, auf Reker entfallen sechs Prozent.
Eigentlich wollte die Kölner CDU feiern – doch der Festakt im Gürzenich fällt wegen der Corona-Pandemie aus. (mhe)
Auch in Berlin beispielsweise gründete sich eine CDU, welche Rolle spielte die Kölner CDU bei der Aufstellung der neuen, bundesweiten Partei?
Auch an vielen anderen Orten als Köln und Berlin gab es solche Initiativen, eine konfessionsübergreifende christliche Partei zu gründen. Es war nicht ausgemacht, dass die Kölner wichtig würden. Berlin hatte an sich die weitaus besseren Perspektiven. Es war ein mutiger Anfang, dass man in Köln meinte, eine Initiative für alle christliche Demokraten vorlegen zu können. Letztlich war es eine von vielen, aber eine sehr weit entwickelte.
Welche Rolle spielte der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Gründung der Kölner CDU?
Gar keine. Adenauer war zu der Zeit Oberbürgermeister, von den Amerikanern eingesetzt. Die Briten haben ihn bis zum 6. Oktober 1945 übernommen. Er hielt vermutlich gar nichts von diesen Gründungsbemühungen.
Es heißt, er wurde umworben, in die Partei einzutreten.
Man weiß nicht genau, wann Adenauer eingetreten ist, formal wohl erst Mitte 1946. Als sich im August 1945 auf rheinischer Ebene die verschiedenen Initiativen zusammentaten, da wurde Adenauer in den Vorstand gewählt, aber er kam gar nicht und bekundete damit sein Desinteresse. Adenauer hielt es für viel zu früh, mit einer solchen Erklärung wie den Kölner Leitsätzen rauszukommen. Er hielt das für falsch und duldete es nur.
Wieso?
Er wollte viel praktischer handeln, konkrete Probleme angehen, Wirtschaft und Kultur wieder ins Laufen zu bringen, den Staat allgemein.
Direkt nach dem Krieg warb die CDU damit, eine schnelle Entnazisierung anzustreben. In den Jahren danach wurde der Partei aber immer wieder vorgehalten, dass beispielsweise Adenauer als Kanzler Staatssekretär Hans Globke im Kanzleramt beschäftigte. Der hatte 1936 die Nürnberger Rassengesetze mitverfasst. Wie bewerten Sie das?
Die Alliierten leiteten eine „Entnazisierung“ über Fragebögen und Leumunds-Aussagen ein, ob die Menschen eine NS-Vergangenheit hatten oder nicht. Das war ein riesiger Aufwand. Die Parteien, auch die CDU, akzeptierten das, doch der Aufwand war vergeblich. Man sprach später treffend von der Mitläufer-Fabrik, da die meisten als kaum belastet angesehen wurden; da halfen auch kirchliche Honoratioren kräftig mit.
Die scharfe Wendung gegen den Nationalsozialismus gab es in den Kölner Leitsätzen, aber in der Politik stellte sich sehr schnell heraus, dass selbst Adenauer als Oberbürgermeister Experten mit NS-Vergangenheit heranzog, die man brauchte, etwa beim Wiederaufbau der Polizei. Aus heutiger Sicht ist das hochproblematisch. Adenauer selbst aber war NS-verfolgt und hatte sicher überhaupt keine Sympathie für die Nazis.
Das Bekenntnis zur Entnazisierung war immer da, aber Adenauer war auch der Meinung, dass man nur die wirklich schwer Belasteten vor Gericht stellen müsse. Bei allen anderen sollte man laut Adenauer schauen, wen man brauche und wer für den Aufbau des demokratischen Staats unerlässlich sei. Dazu gehörte seiner Meinung nach Globke, der seine rechte Hand wurde. Das ist aus heutiger Sicht eine hochproblematische Entwicklung, aber erst in der Ära Adenauer der 50-er- und 60-er-Jahre.