Interview mit NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach„Bauland muss Chefsache sein“
- Die NRW-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung spricht im Interview unter anderem über Kommunalfinanzen.
- Dabei verrät sie auch, wie sie mi den Vorwürfen der Opposition umgeht, den Mieterschutz zu stutzen.
- Maximilian Plück führte das Interview.
Frau Ministerin, wie wird die Corona-Pandemie den NRW-Wohnungsmarkt verändern?
Scharrenbach: Das Umzugs- und Kaufverhalten ist wegen der Zukunftssorgen vieler Menschen eingeschränkt. Das könnte zu einer Korrektur der Miet- und Kaufpreise führen. Bei der Bautätigkeit merken wir derzeit keine Zurückhaltung.
Wer Corona-bedingt seine Miete nicht zahlen kann, bekommt Aufschub. Die Regelung des Bundes läuft Ende Juni aus. Jetzt gibt es Forderungen, sie bis Ende September zu verlängern. Sinnvoll?
Nein. Es ist doch wesentlich wichtiger, dass Mieter ihre Miete pünktlich zahlen können. Ich habe sehr früh die Wohngeldstellen in NRW darauf hingewiesen, dass es zu einem massiven Andrang im Zuge von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit kommen wird. Das ist inzwischen eingetreten. Ich habe angewiesen, dass es schnelle, unbürokratische Bewilligungen für drei Monate geben muss. Was der Bund mit den Mietstundungen macht, ist eine Störung des Kreislaufs in der Wohnungswirtschaft. Das ist ein Misstrauensgesetz gegen Vermieter. In dem Wort Vermieter steckt auch das Wort Mieter. Das Verhältnis sollte in der Waage sein. Diesen Weg gehen wir in Nordrhein-Westfalen.
Gibt es Wohnungsbauunternehmen, die aufgrund der Pandemie Staatshilfen beantragt haben?
Nein. Aber die Unternehmen haben im Zuge der Mietstundungsdebatte klargemacht, dass es bei einem langfristigen Wegbrechen der Liquidität schwierig werden könnte.
Die Opposition wirft Ihnen vor, in der Corona-Zeit den Mieterschutz zu stutzen.
Wenn wir die Hände in den Schoß gelegt hätten, dann wären die Mieterschutzregelungen ersatzlos ausgelaufen...
…wie es ja ursprünglich auch in Ihrem Koalitionsvertrag steht.
Ja, aber auch eine Koalition entwickelt sich weiter. Es gibt Städte und Gemeinden, da macht eine solche Regelung zum Mieterschutz Sinn. Deshalb habe ich mich für einen Fortbestand entschieden.
Mit deutlich weniger Städten. Was spricht gegen einen landesweit einheitlichen Mieterschutz?
Das Bundesgesetz ermächtigt uns nur, dass für Gebiete zu tun, wo keine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum gewährleistet ist. Und NRW ist der heterogenste Wohnungsmarkt aller Bundesländer. Wir haben Regionen wie in Ostwestfalen-Lippe, da fallen die Preise. Daneben gibt stabile Wohnungsmärkte und einige Kommunen, wo die Nachfrage das Angebote übersteigt.
Die kommunalen Spitzenverbände werfen Ihnen vor, dass es in deutlich mehr Städten und Gemeinden NRWs eine Anspannungssituation herrsche, als in dem Gutachten für Ihre Verordnung ausgewiesen sind.
Jedes Gutachten zur Gebietskulisse erzeugt Kritik. Mietervereine wollen 396 NRW-Kommunen erfasst wissen, die Vermieter null. Egal, was man vorlegt, man wird nie eine Mieterschutzverordnung bekommen, die alle glücklich macht. Wir haben aber bundesweit als erste Landesregierung gesagt, wir schauen uns mal genau an, wo die Gesetze überhaupt angewandt werden. Bei der Mietpreisbremse hatten wir bislang 22 Städte in der Gebietskulisse drin, gewirkt hat sie nur in einer. Deshalb nimmt die neue Mieterschutzverordnung die aktuelle Wohnungsmarktlage in den Blick.
Das grundsätzliche Problem sind der knappe Wohnraum und langatmige Genehmigungsverfahren…
Ich erwarte, dass das Thema Wohnungspolitik bei wirklich jedem Oberbürgermeister und Bürgermeister Chefsache ist. Die Kommunen müssen eine aktive Boden- und Wohnungsmarktpolitik betreiben. Das unterstützen wir als Landesregierung – ob nun durch die öffentliche Wohnraumförderung, die Baulandinitiativen oder das Studierendenwohnen. Aber die Städte müssen diese Hilfen auch annehmen.
Zur Person
Ministerin Scharrenbach stammt aus Unna
Geboren: 30. September 1976
Ausbildung: Bankkauffrau, Diplom-Betriebswirtin
Berufliche Stationen: Angestellte bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Politik: Seit 1996 in der CDU, seit 2017 Vorsitzende der Frauen-Union NRW und Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung
Tun Sie das nicht?
Die Mehrheit schon. In Nordrhein-Westfalen gibt es inzwischen ein Klima für mehr Wohnungsbau. Im vergangenen Jahr wurden 44.000 Wohnungen neu errichtet, der höchste Wert seit 2011. Hinzu kommen 57.000 Baugenehmigungen – ein enormer Wert. Wir haben das Bauen leichter gemacht – aber am Ende sind es die Stadträte und Bürgermeister, die über neue Baugebiete entscheiden. Aber: Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ist die Akzeptanz für neue Baugebiete nicht da. Da gilt leider noch bei zu vielen das St.-Florians-Prinzip. Die Gesellschaft muss verstehen, dass wir Baugebiete benötigen. Viele tun so, als wehrten sie damit Zugezogene ab oder verhinderten eine Verschandelung der Landschaft. Es geht aber letztlich um ein breiteres Angebot, das garantiert, dass die Mieten nicht in ein paar Jahren ins Unermessliche steigen. Und dann muss man auch mal bereit sein, eine Brachfläche zum Baugebiet auszuweisen. Übrigens auch dafür gibt es finanzielle Hilfen vom Land.
Das Bündnis „Wir wollen wohnen“ fordert eine kommunale Quote für den geförderten Wohnungsbau von mindestens 50 Prozent.
Das macht in dieser Pauschalität keinen Sinn. Das müssen die Kommunen schon vor Ort entscheiden. Quoten können Sinn machen, um frei finanzierten und geförderten Wohnraum zu mischen, damit es nicht zu abgeschotteten Reichen- und Armenvierteln kommt. Die Mischung macht ein Quartier stabil. Ab er was sachgerecht ist, kann nur die Kommunalpolitik entscheiden. Sie brauchen in der Regel in jeder Kommune staatlich geförderten Wohnungsbau. Eine grundsätzliche Quote vorzuschreiben, halte ich aber für falsch.
Wie angespannt ist die Lage der Bauunternehmen in Corona-Zeiten?
Noch sind die Auftragsbücher voll. Handwerk und Baufirmen äußern uns gegenüber aber die Sorge, dass es wegen der Investitionszurückhaltung von Privatleuten und Staat zu Auftragsleerläufen kommt. Deshalb sorgt die Landesregierung dafür, dass die Städte und Gemeinden, die 2018 allein in NRW Aufträge von 2,8 Milliarden Euro ausgezahlt haben, auch in Corona-Zeiten investieren. So verhindern wir eine Krise nach der Krise. Mit dem Kommunalschutz-Paket der Landesregierung tragen wir dafür Sorge, dass die Kommunen weiterinvestieren. Und sie wollen das auch. Deswegen erleichtern wir auch beispielsweise die kommunalen Vergabe grundsätze. Die Kommunen sollen Aufträge unkomplizierter in Einzelvergaben aufteilen können. Ohne langwierige Ausschreibungen können so die Handwerksbetriebe schnell vor Ort profitieren. Und Geld ist in den Investitionsprogrammen des Bundes und des Landes ausreichend vorhanden.
Die Kommunen ächzen aber gerade unter ihren Schulden. Sorgen Sie sich um die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden?
Deshalb haben wir schon früh in der Krise unser Kommunalschutzpaket auf den Weg gebracht, mit dem die Kommunen beispielsweise die coronabedingten Kosten ausklammern können und so handlungsfähig bleiben.
Eine Art Bad Bank der Städte und Gemeinden…
…aber eine, die im Haushalt verankert ist.
„Das Kommunalschutz-Paket des Landes ist ein erster Schritt“, hieß es jüngst beim Städte- und Ge meindebund. Übersetzt: Da muss noch mehr kommen.
Wir haben ja einen Gesetzentwurf vorgelegt, um den 64 Stärkungspaktkommunen 342 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Aber es wird darüber hinaus noch Hilfen für die Kommunen durch das Konjunkturpaket des Bundes geben. Dabei war Nordrhein-Westfalen erfolgreich, denn endlich gibt es eine nachhaltige Lösung für eine der Hauptbelastungen der NRW-Kommunen. Durch die Übernahme der Kosten der Unterkunft von bis zu 75 Prozent, übernimmt der Bund eine Forderung der NRW-Landesregierung. Zudem werden die Kommunen bei den einbrechenden Gewerbesteuern entlastet. Genau damit können jetzt Investitionen freigesetzt werden und damit wird Arbeit und Beschäftigung gesichert. Das Bundes-Konjunkturpaket ist ein echter Befreiungsschlag, der nachhaltig wirkt.
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Der Bestand an Kassenkrediten der Kommunen ist besorgniserregend hoch. Was wollen Sie tun, um das Probl em zu adressieren?
Wir reden über ein Problem, das sich über drei Jahrzehnte aufgetürmt hat. Ich war viele Jahre lang Stadträtin im Ruhrgebiet. Es gab in dieser Zeit keinen einzigen Haushalt ohne Haushaltssicherungskonzept. In keinem Bundesland machen die Kommunen mehr in Eigenverantwortung als in NRW. Hinzu kommen die Probleme des Strukturwandels. Ich hatte die Kommunen 2017/18 gebeten, die Liquiditätskredite zurückzuführen. Das ist auch passiert. Alleine in diesen beiden Jahren wurden 3,3 Milliarden Euro zurückgeführt. Aber Corona wirft uns jetzt wieder weit zurück. Das ist unbefriedigend. Jetzt kommt es darauf an, die Folgen der Pandemie für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen abzumildern, durch zielgerichtete Investitionen heute den Grundstein für das Leben, Arbeiten und Wohnen von morgen zu legen. Dabei bleibt das Thema der Altschulden auf der Agenda.
Maximilian Plück führte das Interview.