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Der Sturm LützerathWarum Mona Neubaur vielen Aktivisten als Verräterin gilt

Lesezeit 4 Minuten
Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mit Helm.

Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen).

Mona Neubaur war der Star der Landesregierung, nun ist sie bei der Klimabewegung unten durch. Wie konnte sie die Symbolkraft Lützeraths so unterschätzen?

Wer Mona Neubaur zurzeit in ihrem Düsseldorfer Wirtschaftsministerium besuchen will, muss den Seiteneingang nutzen. Die großen, automatisch öffnenden Schiebetüren zum Foyer des ehemaligen Mannesmann-Turms an der Rheinuferpromenade bleiben außer Betrieb. Sicher ist sicher. Zuletzt war es immer wieder zu Aufmärschen empörter Klimaschützer gekommen.

Neubaur, seit gut einem halben Jahr grüne Vize-Ministerpräsidentin in der schwarz-grünen Landesregierung von Hendrik Wüst (CDU), gilt vielen Aktivisten als Gesicht eines großen Verrats. Wohin in Nordrhein-Westfalen sie auch in ihrer dunklen Dienstlimousine chauffiert wird, Vertreter von „Fridays for Future“ oder „Lützerath unräumbar“ sind meist schon vor Ort und nehmen sie unfreundlich in Empfang.

Im Netz wird Neubaur praktisch rund um die Uhr bis hin zu persönlichen Diffamierungen angegangen. Bei den NRW-Grünen musste man sich inzwischen daran gewöhnen, dass Klimaaktivisten Büros besetzen oder wie zu Wochenbeginn Kohlebriketts vor die Landesgeschäftsstelle kippen. Als der immer sehr elegant gekleidete neue Landesvorsitzende Tim Achtermeyer mit den Demonstranten sprechen wollte, wurde er nur höhnisch gefragt, ob der Energiekonzern RWE seinen Anzug bezahlt habe.

Klima-Kompromiss oder Kohle-Deal?

Es ist etwas kaputtgegangen seit dem 5. Oktober 2022 zwischen der Klimabewegung und der Partei, die einst aus ihr hervorgegangen ist. Damals präsentierte Neubaur gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und RWE-Chef Markus Krebber eine Vereinbarung, die von Aktivisten schnell als intransparenter „Kohle-Deal“ zerrissen wurde. Kernpunkt: In NRW wird das Ende der Kohleverstromung von 2038 auf 2030 vorgezogen, im Gegenzug darf RWE zwei Kraftwerksblöcke im Rheinischen Revier bis 2024 länger laufen lassen und das Braunkohle-Protestdorf Lützerath noch abbaggern.

Danach bemühten sich die Spitzengrünen um Neubaur, in einem Dauerfeuerwerk aus Tweets und Pressemitteilungen dies als großen Sieg für den Klimaschutz zu intonieren. Diese Lesart verfing jedoch nie. Der Kohleausstieg 2030 stand bereits seit Sommer im schwarz-grünen Koalitionsvertrag und war ohnehin erwartet worden. RWE will und muss ja auch grüner werden. Dass die Kohle unter Lützerath „in diesem und im nächsten Winter“ wirklich für die akute Versorgungssicherheit infolge des Ukrainekrieges benötigt wird, wie Neubaur mehrfach erklärte, bezweifeln Klimaschützer bis heute hartnäckig und wedeln mit Gegengutachten.

Gespräch mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer ging nach hinten los

Wie tief das Zerwürfnis reicht, ließ sich am Montag beobachten. Neubaur nahm sich da Zeit für ein mehr oder minder unangemeldetes Gespräch mit der fast namensgleichen Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Eine versöhnliche Geste der 45-jährigen Ministerin, die einen übervollen Terminkalender hat. Doch gleich anschließend stellte sich die 26-jährige Sprecherin von „Fridays for Future“ vor die Kameras und unterstellte Neubaur eine „ganz dramatische Absage an die eigene Verantwortung“.

Spurlos geht das alles nicht an der Grünen-Politikerin vorüber. Neubaur ist zwar zugewandt wie immer und bittet etwas kokett darum, nicht immer „Frau Ministerin“ zu sagen. Doch das Unbeschwerte, das sie nach dem 18,2-Prozent-Triumph bei der Landtagswahl im vergangenen Mai umgab, ist verschwunden. Sie habe ein breites Kreuz, versichert Neubaur gern. Die aus dem altbayerischen Pöttmes stammende Diplom-Pädagogin rollt bei „Kreuz“ immer noch das „R“, obwohl sie seit einem Vierteljahrhundert in Düsseldorf lebt. Doch die sprudelnde Fröhlichkeit, mit der man sie sonst radelnd irgendwo zwischen Fortuna-Stadion und Altstadt erlebte, ist erst einmal weg.

Einen solchen Höllensturz muss man erst einmal verkraften: Nach dem Einzug der Grünen in die Landesregierung herrschte „Mona-Mania“, alle Klimabewegten in NRW suchten Neubaurs Nähe. Kaum ein halbes Jahr später ist sie Feindbild Nummer eins der Ökoszene. Sie gilt als Handlangerin von RWE, die angeblich Lützerath geopfert hat. Sogar die eigene Parteijugend ist längst auf Distanz.

Mona Neubaur als Feindbild Nummer eins der Ökoszene

„Dass RWE die Kohle unter Lützerath in Anspruch nehmen darf, wurde nicht mit der Vereinbarung von Bund, Land und RWE im Oktober geregelt“, nimmt Grünen-Landtagsfraktionschefin Wibke Brems die Ministerin in Schutz. Bereits im März 2022 habe das Oberverwaltungsgericht die Eigentumsverhältnisse von RWE bestätigt. Brems gehört ebenso wie Umweltminister Oliver Krischer zum engsten Kreis um Neubaur. Dass ausgerechnet Krischers ehemaliger Mitarbeiter Titus Rebhann im März als Cheflobbyist bei RWE anheuert, hat die Gefechtslage gleichwohl nicht leichter gemacht.

Ein Kardinalfehler war im Rückblick, dass niemand im Umfeld der Ministerin die Symbolik des verwaisten und dem Abriss geweihten Dorfes Lützerath in voller Schärfe gesehen zu haben scheint. Neubaur reihte sich noch im Herbst 2021 persönlich bei den Demonstranten am Tagebaurand ein. Im Landtagswahlprogramm ein Jahr später wurde Lützerath nicht mehr namentlich erwähnt. Stattdessen gab man vor, „alle Dörfer“ im Rheinischen Revier retten zu wollen.

Bei der Präsentation des schwarz-grünen Koalitionsvertrages im Sommer 2022 wurde dann nicht klar kommuniziert, dass Lützerath gar nicht mehr zu retten ist. Stattdessen ließ sich Neubaur von Ministerpräsident Wüst, der das Thema klug auf Distanz hält, in die Rolle derjenigen drängen, die mal gucken soll, was bei RWE herauszuholen ist. Nun ist der Schaden da – und das Spiel mit der Lützerath-Hoffnung zu Ende.