Köln – Am Dienstag beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten über die Corona-Strategie für den Herbst. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bringt kurz vor dem Treffen eine bundesweite Corona-Ampel ins Gespräch. Damit ist er nicht der erste. Auch Wissenschaftler forderten zuletzt immer wieder ein Umdenken in der Risikobewertung. Als Vorbild könnte ein Nachbar dienen. In Österreich ist eine bundesweite Corona-Ampel bereits seit Anfang September im Einsatz. Ein Überblick.
Mit welchen Indikatoren wird die deutsche Corona-Lage bewertet?
Wichtigster Indikator für politische Entscheidungen ist die Inzidenzzahl. Die Inzidenzzahl beschreibt die Anzahl der Neuerkrankungen am Coronavirus pro 100 000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen. Als Warnschwelle gilt ein Wert von 35. Steigt der Wert über 50, folgen bestimmte Maßnahmen. Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert hat dagegen an Bedeutung verloren. Der R-Wert beschreibt die Anzahl an Menschen, die ein mit Corona Infizierter im Durchschnitt ansteckt.
Ist der Fokus der Politik auf die Inzidenzzahl falsch?
Ja, meinen zumindest immer mehr Vertreter aus Wissenschaft und Politik. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck ist einer von ihnen. In der Pandemie gehe es vor allem um schwer erkrankte Menschen, die stationär behandelt werden müssen, sagte er dem Focus. Sein Vorschlag: Eine Corona-Ampel, die neben den Infektionszahlen andere Indikatoren einbezieht. Der aus seiner Sicht wichtigste: die stationäre und intensivmedizinische Belegung der Krankenhäuser. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprechen sich mittlerweile für eine neue Art der Risikobewertung in Form eine Corona-Ampel aus. Kritik äußerte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Die Ampel passe nicht in die Zeit, sagte er. Eine grüne Ampel erzeuge das Gefühl einer „falschen Sicherheit“.
Welchen Ansatz verfolgt Österreich?
In Österreich gibt es die sogenannte Corona-Ampel bereits seit dem 4. September. Sie liefert eine Einschätzung zum Risiko der Ausbreitung und kann auf einzelne Bundesländer oder Bezirke angewendet werden. Grün steht für ein geringes Risiko mit einzelnen Fällen, Rot für unkontrollierte Ausbrüche mit großflächiger Verbreitung. Dazwischen vervollständigen Gelb und Orange die vierstufige Ampel.
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Die Bewertung erfolgt anhand von vier Indikatoren: die Anzahl der Tests in den vergangenen sieben Tagen, die Zahl der Fälle innerhalb der vergangenen sieben Tage, der Anteil der Fälle, deren Quelle geklärt ist, und die Belegung der Intensivbetten in den Bundesländern und Bezirken. Auf dieser Grundlage spricht eine Corona-Kommission Empfehlungen für die Ampelschaltung aus. Für die Festlegung der Ampelfarbe ist letztendlich der Gesundheitsminister in Abstimmung mit den Vorsitzenden der Landesregierungen zuständig. Eine Aktualisierung erfolgt einmal pro Woche. Die Corona-Kommission veröffentlicht ihre wöchentlichen Empfehlungen mit Begründungen für alle Bundesländer und Bezirke online.
Wie lief der Start der Corona-Ampel in Österreich?
Im gesamten Land zeigte die Ampel zunächst viel Grün. Auf Gelb schaltete sie dagegen in den drei großen Städten Wien, Graz und Linz. Konkret bedeutete dies: eine verschärfte Maskenpflicht im Handel und in der Gastronomie und schärfere Regeln für Veranstaltungen. So zumindest in der Theorie. Gegenwind kam vor allem aus Linz, der Landeshauptstadt des Bundeslands Oberösterreich. Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) sprach von einem „obskuren Ampelkonstrukt“, das einen „Eindruck der Willkürlichkeit“ erwecke. Kooperativere Reaktionen gab es aus der steirischen Landeshauptstadt Graz. Die Gelbschaltung sei für keinen Bezirk eine Strafe, sagte Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), sondern ein „klarer Auftrag für unsere Gemeinschaft, weiterhin umsichtig zu agieren“.
Wo liegen die Probleme in Österreich?
Das Hauptproblem: Die Maßnahmen, die den verschiedenen Ampelfarben folgen sollen, sind zwar weitestgehend bekannt, aber nicht gesetzlich verankert. In einigen Bereichen gibt es bei der Schaltung von Gelb auf Orange veränderte Maßnahmen, in anderen Bereichen nicht. Das Ziel, mit der Ampel Transparenz bei der Bevölkerung zu schaffen, kann die Corona-Ampel so nicht erfüllen. Ab Anfang Oktober soll das mit Hilfe neuer Gesetze anders werden. Ein erster Entwurf des Gesundheitsressorts stieß auf viel Kritik, der Zweitentwurf hat die größten Mängel nun wohl behoben.
Gibt es Ansätze für eine Corona-Ampel in Deutschland?
Bereits im Mai hat der der Berliner Senat eine eigene Ampel-Lösung für die Hauptstadt beschlossen. Der Unterschied zur österreichischen Variante: Es gibt nicht nur eine Ampel, die verschiedene Indikatoren zusammenführt. Berlin setzt auf drei Ampeln, jeweils eine für drei verschiedene Indikatoren: den 4-Tage-R-Wert, die 7-Tage-Inzidenz und die Belegung der Intensivbetten. Stehen zwei der drei Ampeln auf Gelb, werden mögliche Maßnahmen erörtert und vorbereitet. Springen zwei Ampeln auf Rot, müssen Maßnahmen umgesetzt werden. Aktuell stehen zwei Ampeln auf Grün, die der 7-Tage-Inzidenz auf Gelb. Auch Rheinland-Pfalz arbeitet an einem Ampel-System.