- Die SPD geht mit den Duos Olaf Scholz/Klara Geywitz und Norbert Walter-Borjans/Saskia Esken in die Stichwahl.
- Für die Nachfolge von Andrea Nahles gibt es aber niemanden, der klar favorisiert ist.
- Eine Analyse einer Partei, die immer noch eine wegweisende Entscheidung treffen muss.
Berlin – Überraschend ist das Ergebnis auf den ersten Blick nicht: Der prominenteste Bewerber um den SPD-Vorsitz landet mit seiner Ko-Kandidatin beim Mitgliedervotum auf dem ersten Platz, das Team mit der meisten Unterstützung von Parteiorganisationen auf dem zweiten Platz. In einer Stichwahl müssen die mehr als 425.000 SPD-Mitglieder nun vom 19. bis zum 29. November die Entscheidung treffen.
Wollen sie lieber Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz mit der Brandenburgerin Klara Geywitz in der Chefetage des Willy-Brandt-Hauses sehen? Oder folgen sie der Empfehlung der Jungsozialisten und beispielsweise dem NRW-Landesverband, die sich für „Mr. Steuer-CDs“ Norbert Walter-Borjans und die Digitalexpertin Saskia Esken ausgesprochen hatten?
Knappes Ergebnis überrascht
Überraschend ist das Ergebnis aber insofern: Es ist knapp ausgefallen. Nur etwas mehr als 3.500 Stimmen trennen die beiden Teams, das sind nicht einmal zwei Prozentpunkte Unterschied bei 213.693 gültigen Stimmen. Bitter aus Sicht von Scholz und Geywitz ist auch, dass sie mit einem Ergebnis von 22,68 Prozent nicht einmal ein Viertel der Sozialdemokraten, die an der Abstimmung teilnahmen, für sich gewinnen konnten – obwohl Scholz der derzeit beliebteste SPD-Politiker ist.
Rund 53 Prozent Wahlbeteiligung sind kein guter Wert, auch wenn es beim ersten Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz 1993 auch nur 56 Prozent waren. Damals hatte die SPD aber noch gut doppelt so viele Mitglieder und ihre Umfragewerte waren zwei bis dreimal höher als heute. Scholz hat ein Mobilisierungsproblem. Nun richtet sich die Hoffnung auf eine bessere Beteiligung an der Stichwahl.
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Walter-Borjans und Esken auf der anderen Seite dürften von vielen Parteilinken Stimmen bekommen haben, die taktisch wählten und ihnen aus dem Links-der-Mitte-Lager die meisten Chancen zurechneten. Mitbewerber in dem Feld waren der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach mit Umweltpolitikerin Nina Scheer (14,63 Prozent), SPD-Urgestein Gesine Schwan und Parteivize Ralf Stegner (9,63 Prozent) und in Teilen auch Europa-Staatsminister Michael Roth mit Ex-NRW-Familienministerin Christina Kampmann. Letztere erzielten mit 16,28 Prozent zumindest einen Achtungserfolg. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping landeten auf einem eher enttäuschenden fünften Platz. Ob sie sich jetzt noch hinter Olaf Scholz und Klara Geywitz stellen werden, ist offen.
Unterlegende Kandidaten halten sich zurück
Am Samstagabend im Willy-Brandt-Haus will jedenfalls keins der unterlegenen Teams eine offizielle Empfehlung für die Erst- oder Zweitplatzierten abgeben. Lauterbach ist nur überzeugt: In der Mitgliederschaft gibt es keine Mehrheit mehr für die große Koalition.Wie die Stichwahl organisiert wird, ist noch offen. Zumindest werden die beiden Kandidatenteams nicht mehr durchgetaktet bei Regionalkonferenzen auf die Basis treffen. Dennoch werden sie noch oft mit der Frage nach der großen Koalition konfrontiert werden. Scholz und Geywitz sehen das Bündnis pragmatisch, können der Koalition mit der Union Positives abgewinnen. Klimaschutzpaket und Grundrente, Abschaffung des Soli, all das soll noch kommen.
Walter-Borjans und Esken sind kritischer. Zumindest Esken hat mehrfach den Wunsch nach einem baldigen Ende der Koalition geäußert. Walter-Borjans verweist bisher auf die Entscheidungshoheit der Delegierten beim Parteitag Anfang Dezember, ob die Koalition eine Zukunft hat oder nicht. Doch dabei wird er es nicht belassen können. Und so könnte die Sichwahl auch zu einer Probeabstimmung über die große Koalition werden, je nach Positionierung des Teams Walter-Borjans und Esken.
Auf der Suche nach Unterschieden zwischen den verbleibenden Teams ist die Groko nur einer. Außerdem wird es künftig wohl stark um Feinheiten in der Finanzpolitik gehen – immerhin stehen sich mit Scholz und Walter-Borjans ein amtierender und ein ehemaliger Finanzminister gegenüber. Scholz’ Festhalten an der schwarzen Null sieht Walter-Borjans kritisch, die Besteuerung von Unternehmen und andere Details machen den Unterschied. Esken steht für Digitalisierung, Geywitz für die Gleichstellung von Männern und Frauen und ein sorgfältiges Abwägen von Umwelt- und Industriepolitik. Doch kann das polarsieren? Mobilisieren?
Emotionalität kann die Partei nicht gebrauchen
Entscheidend ist, welches Team mehr der rund 200.000 Mitglieder bewegen wird, ihre Stimme abzugeben, nachdem sie es in dieser ersten Runde nicht taten. Doch die SPD gerät damit in ein Dilemma. Denn für möglichst viel Mobilisierung braucht es einen emotionalen, zugespitzten Wettbewerb. Eins darf dabei jedoch nicht passieren: Dass der Streit heiß läuft und die Partei in zwei Lager zerfällt, die sich am Ende unversöhnlich gegenüberstehen.Olaf Scholz ist ein Kandidat, der spaltet. Der Ärger über ihn und seine Verantwortung für das miese Abschneiden der SPD bei Wahlen und Umfragen lastet schwer.
Andere Mitglieder halten ihm zugute, dass er reichlich Erfahrung hat, in Hamburg als Erster Bürgermeister gute Wahlergebnisse bekam und wohl auch der geeignetste Spitzenkandidat für die SPD bei Neuwahlen wäre – zumindest der prominenteste Kandidat. Spielt Scholz diese Karte im Stichwahlprozess aus, könnte er daraus einen Vorteil schlagen. Aber auch nur dann, wenn er glaubhaft versichern kann, nach Neuwahlen einer weiteren großen Koalition keine Chance geben zu wollen. Unterm Strich starten Scholz und Geywitz mit Vorteilen ins Duell – ausruhen können sie sich aber noch lange nicht.