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Drei Jahre Ukraine-KriegFlüchtlinge in Köln berichten vom Leben zwischen Krieg und Karneval

Lesezeit 7 Minuten
Nataliia, Yehor und Svitlana stehen mit Priester Hennadii Aronovych vor dem Maternushaus in Köln.

Aus der Ukraine geflohen: Nataliia, Yehor und Svitlana (v.l.n.r.) mit Priester Hennadii Aronovych (ganz links).

Zum dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine erzählen drei ukrainische Kriegsflüchtlinge, wie sie ins Rheinland kamen, sich hier einzuleben versuchen und auf ihre Zukunft blicken. Sie eint eine große Dankbarkeit für die Unterstützung in Deutschland.

Wenn am 24. Februar im Dom das tägliche Friedensgebet ertönt, steht es unter besonderen Vorzeichen. Vor genau drei Jahren überfiel die russische Armee die Ukraine. Zehntausende Menschen sind gestorben, Hunderttausende mussten aus schwer zerbombten Städten und Dörfern fliehen. Auch im Rheinland haben viele Hilfe und Schutz gesucht und bekommen. Die Dankbarkeit der Geflüchteten dafür ist groß, wie die Rundschau im Gespräch mit zwei ukrainischen Frauen und zwei ukrainischen Männern erfuhr. Doch nichts wünschen sie sich nach drei Jahren Krieg mehr als ein Leben ohne Angst, gerechten Frieden und ein Wiedersehen mit ihren Liebsten.

Svitlana, Nataliia und Yehor (aus Rücksicht auf ihre Familien nennen wir nur die Vornamen) kamen im März 2022, einen Monat nach dem Überfall Russlands auf ihr Land nach Deutschland. Sie gehören zu rund 1,2 Millionen Kriegsflüchtlingen, die derzeit in Deutschland leben. Die drei kannten sich nicht, lebten im Großraum Kiew und in der Nähe von Butscha in unterschiedlichen Welten. Begleitet und betreut werden sie von Hennadii Aronovych, einem 30-jährigen Priester aus Lwiw, der bereits 2016 zum Theologie-Studium nach Eichstätt und dann als Geistlicher ins Erzbistum Köln kam. „Auch damals war schon Krieg“, stellt er klar und spielt auf die widerrechtliche russische Annexion der Krim und von Teilen des Donbass aus 2014 an. Er ist für die ukrainischen Flüchtlinge im Erzbistum da. Ein Seelsorger, der selbst Betroffener ist, weil seine Ursprungsfamilie in der Ukraine lebt. Einer, der sich pausenlos um seine Landsfrauen- und -männer kümmert, immer gefragt, einsatz- und hilfsbereit ist. Am Ende des knapp zweistündigen Gesprächs wird er mit Blick auf sein Mobiltelefon sagen: „Oh, da waren jetzt 35 Anrufe in Abwesenheit.“

Svitlana (49) aus Kiew: Köln ist die beste Stadt Deutschlands

Svitlana ist eine zierliche Frau mit wachen Augen und freundlichem Lächeln. „Ich hatte ein perfektes Leben“, erzählt die 49-Jährige. Familie, große Wohnung, Traumberuf. Sie spielte Bandura, eine ukrainische Lautenzither, im Nationalorchester der Volksinstrumente. Als die Bomben auf Kiew fallen, hockt sie mit ihrem Sohn, ihrem Mann und den Nachbarn aus dem mehrstöckigen Wohnhaus eine Woche im Keller auf engstem Raum. „Unsere größte Angst war, dass die Rohre im Keller durch die Angriffe platzen und wir ertrinken“, erinnert sie sich. Gemeinsam mit ihrer Schwägerin und ihrem Neffen, die aus dem in diesen Tagen gerade wieder schwer von den Russen bombardierten Mykolajiw nach Kiew flohen, machen sich Svitlana und ihr Sohn auf den Weg zunächst zu Bekannten nach Polen. „In Warschau konnten wir ein bisschen aufatmen.“

Dann ging es nach Köln, wiederum vermittelt durch polnische Kontakte. „Ich weiß noch, dass mich eine Frau im Flugzeug nach dem Zielort fragte und als ich ihn nannte, antwortete sie: „Köln ist die beste Stadt in Deutschland.“ Sie hätten großes Glück gehabt, seien ein halbes Jahr kostenlos in einer Wohnung in Lindenthal untergekommen. „Direkt am Park. Es war ein solche Ruhe. Und es waren so nette Nachbarn.“

Ihr Mann, Musiker im Militärkorps, ist in der Ukraine zurückgeblieben. Ihre Schwägerin ist wieder in die Westukraine zurückgegangen. Svitlana aber möchte vorerst in Deutschland bleiben. „Ich möchte meinen Jungen unterstützen“, sagt sie. Ihr Sohn hatte noch in der Ukraine sein Abitur abgeschlossen, hier sehr schnell Deutsch gelernt und möchte jetzt Physik studieren. „Es gibt so eine gute Bildung hier“, schwärmt sie. Sie lebt jetzt in Zollstock, ist als alleinerziehende Mutter auf monetäre Unterstützung aus dem Jobcenter angewiesen.

Laut Bundesarbeitsministerium erhalten alleinstehende ukrainische Flüchtlinge mit Zuschüssen für Miete und Heizung rund 954 Euro. Svitlana kommt über die Runden. „Als Musikerin eine Arbeit zu finden, ist schwer“, gesteht sie. In klassischen Orchestern werden keine Bandura-Spielerinnen benötigt. Hin und wieder gebe sie in der Kirche Konzerte. Sie hofft, dass ihr Deutsch gut genug sei für einen Job als Büroaushilfe und appelliert: „Bitte geben Sie mir einen!“

Nataliia (51) aus Vyshneve: Ich bete, dass der Krieg vorbei ist

Nataliia gehört zu knapp 30 Prozent der Flüchtlinge, die einer Beschäftigung nachgehen. Sie hat nach ihrer Flucht aus Kiew in Köln Arbeit als Reinigungskraft gefunden. Bis zum Krieg war sie Rezeptionistin in einem Studentenwohnheim in Vyshneve, einer 40.000-Einwohner-Stadt südwestlich von Kiew. Im Bus war sie im März 2022 nach Polen geflüchtet, mit Unterstützung einer Freundin kam sie dann nach Deutschland. Ihre gesamte Familie, Mann, Sohn und Tochter sind in der Ukraine geblieben. Nataliia versteht Deutsch, kann es aber nicht sprechen. Und auch auf Ukrainisch fallen ihr die Sätze schwer.

Alle Gedanken kreisen um ihre Liebsten. „Mein Mann war Soldat“, berichtet sie. Seit November 2024 liege er im Krankenhaus, müsse genesen von den unmenschlichen Strapazen des Krieges. Die Sorge um ihren Sohn ist noch größer. Nataliia kann ihre Verzweiflung nicht mehr zurückhalten. „Er arbeitete in der IT-Branche. Aber im letzten Sommer hat er sich freiwillig zur Armee gemeldet“, sagt sie unter Tränen. Es ist eine Mischung aus Verzweiflung, weil sie nicht genau weiß, wo er ist und wie es ihm geht, und Fassungslosigkeit, weil sie nicht versteht, wie er diese Entscheidung treffen konnte. „Er ist doch gerade vor zweieinhalb Monaten Vater geworden.“

In ihrem Gesicht spiegelt sich die ganze Hilfslosigkeit angesichts der Lage, in der sich die Ukrainer in diesen Tagen und Wochen befinden und überträgt sich auf die anderen Gesprächsteilnehmer. „Was nur können wir tun?“, steht unausgesprochen im Raum. Svitlana reicht ihr ein Taschentuch und versucht, Nataliia auf Ukrainisch zu trösten. Die Verbindung zu ihrer Familie halten, geht das wenigstens? „Wir schreiben uns, sprechen sehr selten.“ Sie schluchzt: „Ich bete, dass der Krieg vorbei ist, ich wieder zuhause sein und meine Enkeltochter in den Arm nehmen kann.“

Yehor (20) aus Demydiw: Keiner hat geglaubt, dass Putin angreifen würde

Der 20-jährige Yehor ist ein aufgeweckter, zugewandter junger Mann, der entschlossen ist, dem Schicksal entgegenzutreten. Aufgewachsen ist er als ältester Sohn mit vier Geschwistern in Demydiw, einem der ältesten Dörfer der Ukraine, nordöstlich von Kiew. „Wir haben an der Straße gewohnt, wo die russischen Panzer Richtung Kiew durchgefahren sind“, erzählt er. „Am Tag vor dem Angriff haben wir mit Freunden in Russland telefoniert. Sie haben uns beruhigt. Keiner hat geglaubt, dass Putin uns angreifen würde.“

Überlebt hat die siebenköpfige Familie, weil sie sich im Keller eines Rohbaus abseits der Straße eine Woche lang verstecken konnte. Das Dorf, wie er es als Kind kannte, gibt es nicht mehr. Als Russland angriff, flutete die ukrainische Armee Demydiw mit Hilfe eines in den 1960er Jahren erbauten Staudamms, um das Vordringen der russischen Truppen in die Hauptstadt aufzuhalten. Dadurch wurden Teile Demydiws und rund 13.000 Hektar Land überflutet. Die Russen mussten weichen, das Wasser blieb.

Yehors Familie beschloss zu fliehen. Dank geschäftlicher Kontakte gelang die Flucht über Budapest bis ins Rheinland. In Euskirchen, wo ein Cousin lebte, kamen sie in einer Flüchtlingsunterkunft unter, in der sie das erste Jahr verbrachten. „Da war mehr Platz als in dem Keller, in dem wir uns verstecken mussten“, erinnert sich Yehor, der fast perfekt Deutsch spricht. Er hat sein Abitur nachgeholt, in einem Fastfood-Restaurant gearbeitet, vom Jobcenter eine Ausbildung finanziert bekommen, will am liebsten hier Betriebswirtschaftslehre studieren und versucht, nur nach vorne zu schauen.

Aktuell erst mal in die nächste Woche, denn: Der Karneval hat es ihm angetan. Zum Interview hat er sich eine Narrenkappe aufgesetzt. „Ich tanze seit 2023 in der Prinzengarde in Euskirchen, hatte schon 25 Auftritte“, sagt er stolz. „Bei der Luftflotte Köln bin ich auch schon Mitglied.“ Wie es dazu kam? „Ich kannte den Karneval gar nicht, aber dann war ich beim Rosenmontagszug 2023 in Köln. Und man hat ja gelernt, wenn man „Alaaf“ ruft, bekommt man Süßigkeiten.“

Yehor liebt es, dass Menschen gemeinsam feiern, „dass es bunt ist“, und ein paar kölsche Töne kommen ihm auch schon über die Lippen. Sein „Et hätt noch immer jot gegange“ – klingt zum Ende des Gesprächs gar nicht zynisch, eher hoffnungsvoll verwegen.

Dank an Deutschland: Wir wünschen euch, dass ihr niemals diese Erfahrungen machen müsst.
Svitlana, Nataliia und Yehor, ukrainische Kriegsflüchtlinge, seit drei Jahren im Rheinland

Die aktuelle Situation in der Ukraine beobachten alle Vier mit großer Sorge. „Wir sind Teil der europäischen Kultur, kein Teil von Russland. Wir sind sehr dankbar, für alles, was Deutschland für uns getan hat und wünschen euch, dass ihr diese Erfahrungen niemals machen müsst“, bekräftigen alle. „Was uns trägt, ist die Hoffnung und der Glaube, dass Gott auf unserer Seite ist.“ Svitlana greift den kölschen Optimismus auf – garniert ihn mit ukrainischer Note: „Bei uns gibt es ein Sprichwort: Damit ich nicht weine, lache ich“, sagt sie. Ein Satz, der in diesen Tagen, in denen sich die Zukunft der Ukraine und auch Europas entscheiden wird, bitter-süß nachklingt.