Die Bilanz des Krieges nach dem dritten Jahr ist verheerend. Auch auf diplomatischer Ebene ziehen Wolken auf.
Kaum neue AussichtenDrei Jahre Krieg: Zukunft der Ukraine ist weiter offen

Die Anwohner leben seit fast drei Jahren mit dem Krieg – wie hier in Kostjantyniwka.
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Drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges ist die Lage der Ukraine so schwierig wie nie. Am 24. Februar jährt sich der Beginn der Invasion zum dritten Mal, 2022 gab Russlands Staatschef Wladimir Putin seinen Truppen an dem Tag im Morgengrauen den Befehl zum Einmarsch in das Nachbarland. Seitdem ist das zweitgrößte Land Europas in seiner Existenz bedroht. Die Sicherheitsarchitektur des Kontinents ist ins Rutschen geraten.
Der USA waren bisher größter Unterstützer der Ukraine. Doch sie suchen unter dem neuen Präsidenten Donald Trump einen Ausgleich mit Russland und wollen ein rasches Ende der Kämpfe. Die europäischen Länder tagen im Krisenmodus: Wie sollen sie der Ukraine helfen und auf Amerikas schwindenden Schutz reagieren? Fragen und Antworten zu einem bitteren Jahrestag:
Zehntausende tote Soldaten auf beiden Seiten
Genaue Zahlen zu den bisherigen Todesopfern des Krieges gibt es nicht, aber sie gehen in die Zehntausende und womöglich sogar Hunderttausende. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach zuletzt von mehr als 46.000 getöteten Soldaten. Doch das Internetprojekt UA Losses hat allein anhand öffentlicher Quellen und Daten im Netz mindestens 65.500 Namen toter ukrainischer Soldaten gezählt. Dabei werden Zehntausende vermisst.
Nach UN-Angaben ist bis Ende Januar der Tod von 12.600 ukrainischen Zivilisten bestätigt worden. 29.200 seien verletzt worden. Aber auch dort fehlen Zehntausende Menschen in der Rechnung, unter anderem Opfer des russischen Beschusses auf die Hafenstadt Mariupol zu Beginn des Krieges.
Auf russischer Seite haben Internet-Recherchen mindestens 93.600 Tote unter den russischen Soldaten gezählt. Der russische Dienst der BBC nannte eine Bandbreite zwischen 159.500 und 223.500 toten Soldaten. Offiziell nennt die russische Führung keine Zahlen. In den Grenzgebieten Russlands zur Ukraine sind nach Medienberichten bislang mehrere Hundert Zivilisten getötet worden.
Militärische Lage weiter angespannt
Die ukrainische Armee befindet sich seit Herbst 2023 auf dem Rückzug. Sie steht vor allem im Osten im Gebiet Donezk unter Druck. Dort gingen seit Beginn 2025 weitere 400 Quadratkilometer verloren. Knapp ein Fünftel der Ukraine ist russisch kontrolliert. Die ukrainischen Truppen halten sich zwar seit August 2024 im russischen Gebiet Kursk. Aber auch dieser Brückenkopf schrumpft.
Zu schaffen machen der ukrainischen Seite die Übermacht des Gegners an Soldaten und Technik sowie die von der russischen Luftwaffe eingesetzten Gleitbomben. Fahnenflucht und die schleppende Mobilmachung dünnen die Reihen der ukrainischen Truppen weiter aus. Erfolge hat die Ukraine mit der Verbesserung ihrer Kampfdrohnen erzielt und attackiert damit Industrieanlagen im russischen Rückraum. Russische Kriegsschiffe trauen sich kaum noch auf das Schwarze Meer zu Angriffen von See her.
Selenskyj hat weiter eine Mehrheit in der Ukraine
Drei Jahre Krieg haben tiefe Spuren in der ukrainischen Gesellschaft hinterlassen. Im Osten und Süden sind viele Städte durch russische Angriffe schwer verwüstet. Noch fließen ausländische Hilfsgelder und Kredite von mehr als 39 Milliarden Euro jährlich, sie haben bisher einen Kollaps verhindert. Renten und Gehälter werden pünktlich gezahlt. Die Armee ist stabil finanziert. Die Landwirtschaft arbeitet trotz aller Probleme weiter. Doch schnellte die Inflation 2024 unerwartet von fünf wieder auf zwölf Prozent hoch.
Fern der Front sind die Probleme auf den ersten Blick nicht zu sehen. Die Geschäfte sind voll, Restaurants sind geöffnet, Tankstellen funktionieren, der Verkehr ist dicht. Zwar herrscht fast jede Nacht Luftalarm. Aber gegen die Stromausfälle nach russischen Angriffen haben sich Geschäfte, Cafés und Bars mit Generatoren gewappnet. Für größere Unternehmen ist die Beschaffung von Strom aber ein Problem und führt zu Produktionsausfällen.

Wolodymyr Selenskyj, hier bei der jüngst stattgefundenen Münchner Sicherheitskonferenz, hat weiter mehr als die Hälfte seines Landes hinter sich.
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Umfragen belegen auch nach drei Jahren russischer Invasion, dass immer noch mehr als die Hälfte der Ukrainer hinter Präsident Selenskyj steht. Es gibt auch weiter eine Mehrheit gegen Gebietsabtretungen und andere Zugeständnisse gegenüber Russland. Allerdings steigt der Anteil derjenigen beständig, die sich ein Ende des Krieges über Verhandlungen und Kompromisse wünschen.
Selenskyj fordert „Sicherheitsgarantien“
Offiziell wird die Ukraine kaum auf ihre von Russland besetzten Gebiete verzichten. Die Forderungen, dass die Russen sich hinter die Grenze zurückziehen, sind aber praktisch verstummt. Selenskyj spricht weniger von Sieg, als von einem gerechten Frieden. Die entscheidende Frage ist, wie die Ukraine nach einem Ende der Kämpfe geschützt werden kann.
„Die erste Priorität sind Sicherheitsgarantien - nicht nur in Worten, sondern in realer wirtschaftlicher und militärischer Stärke“, sagte Selenskyj. „Die Ukraine kann nicht unter der Drohung eines erneuten Angriffs leben.“ Er versteht darunter eine Kombination von Nato- und EU-Mitgliedschaft, die Stationierung von Truppen freundlich gesonnener Staaten und eine starke eigene Armee.
Kriegsrhetorik durchzieht russische Gesellschaft
In Moskau ist vom Krieg nur wenig zu sehen - selbst die Anzahl der Plakate, die mit hohen Prämien zum Fronteinsatz rufen, hat wieder abgenommen. Soldaten laufen allenfalls an Bahnhöfen vermehrt herum. Landesweit ist die Militarisierung Russlands aber stark vorangeschritten. So hat Russland voll auf Kriegswirtschaft umgestellt. Für Militär und Sicherheit gibt die russische Führung in diesem Jahr Medienberichten nach umgerechnet rund 135 Milliarden Euro aus. Das entspricht rund 40 Prozent der Haushaltsausgaben.
Der Rüstungssektor ist der Wachstumstreiber der russischen Wirtschaft. Die hohen Soldzahlungen an die Frontsoldaten und die Entschädigungen an die Hinterbliebenen sorgen in der Provinz für einen bescheidenen Aufschwung.
Zugleich durchzieht die Kriegsrhetorik Gesellschaft und Politik. Kritische Äußerungen über Putins Invasion und die Gräueltaten russischer Soldaten sind verboten. Andersdenkende sitzen im Gefängnis, schweigen oder sind im Exil. In weiten Schichten hat sich wegen der unablässigen Propaganda eine Festungsmentalität breit gemacht. Anfangs war bei vielen einfachen Russen der Schock über den Angriff auf das Nachbarland zu spüren. Nun hat sich ein Großteil damit arrangiert und sieht sich in einem Konflikt mit dem Westen.
Russland will Maximalforderungen umsetzen
Putin ist froh, dass Trump wieder mit ihm ins Gespräch kommen möchte. Er hat immer wieder seine prinzipielle Verhandlungsbereitschaft betont. Doch weil er sich militärisch auf der Siegerstraße sieht, bleibt es bei Maximalforderungen. Sie laufen auf eine politische Unterwerfung des Nachbarlandes hinaus.

US-Außenminister Marco Rubio (2.v.l, sitzend), trifft sich mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow (r) in Riad. Putin freut die Nähe der USA.
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Russland betrachtet unveränderlich die Halbinsel Krim und die ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson als sein Staatsgebiet. Dies würde bedeuten, dass die Ukraine auch die von ihr bislang verteidigten Großstädte Saporischschja und Cherson räumen müsste.
Auch eine wie dann immer geartete Rest-Ukraine soll unter dem Einfluss Moskaus stehen. Deshalb lehnt Russland eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ab. Es verlangt eine weitgehende Abrüstung der Ukraine und Mitsprache bei der Sprachenpolitik für die russische Minderheit im Land.
Nach US-Aussagen in München: Europa berät sich
Die Wiederannäherung zwischen der neuen US-Administration und dem Kreml nimmt rasch Formen an - Trump und Putin haben telefoniert, die Außenminister treffen sich in Saudi-Arabien, ein Gipfel steht im Raum. Der Ukraine droht die Gefahr, dass die großen Atommächte Verabredungen auf ihrem Rücken treffen. Denn die USA haben eine Kiewer Nato-Mitgliedschaft und die Rückeroberung verlorener Gebiet für unrealistisch erklärt.
Den europäischen Staaten stecken die Ansagen von Trumps Leuten bei der Münchener Sicherheitskonferenz in den Knochen. Europa soll bei der Ukraine nicht mitzureden haben, aber die Lasten einer Friedenssicherung schultern. Und der eigene Schutz unter dem US-Atomschirm gegenüber Moskau wackelt.
Also berieten die großen EU-Staaten in Paris eilends über die bedrohliche Lage. Eine Verteidigung der Ukraine wäre teuer. Aber den Europäern ist auch klar, dass ein erzwungener Friede mit einer kaum lebensfähigen Ukraine erneut Millionen Menschen zur Flucht treiben könnte. (dpa)