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Bilanz zu Olympia in ParisZu perfekt, um wahr zu sein?

Lesezeit 6 Minuten
Frankreich, Paris: Olympia, Paris 2024, Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele, Die Olympischen Ringe am Eifelturm sind beleuchtet.

Am Sonntag gehen die Olympische Spiele in Paris zu ende. Funktionäre und Politiker zeigen sich euphorisch. Doch es gibt auch Kritik aus der eigenen Bevölkerung.

Das vielleicht spektakulärste Fest der Sportgeschichte geht am kommenden Sonntag zu Ende. Offizielle und Politiker sind euphorisch, doch in Paris werden inzwischen auch Zweifel laut.

Chaos in Paris hatten viele der chronisch pessimistischen Franzosen zu Olympia vorhergesagt. Im Anlauf zu den Sommerspielen vermischten sich handfeste Sorgen mit negativer Stimmungsmache. Erst gab es Berichte über Bettwanzen, dann drohten viele Berufsgruppen mit Streik, wenn ihnen nicht ein Olympia-Bonus gezahlt wird. Ein Kollaps des Metronetzes und eine Blockade der Stadt wurden befürchtet und Einwohner zur Arbeit im Homeoffice aufgerufen. Dazu kamen Angst vor Terror und Cyberattacken – und dann brach zu allem Überfluss noch eine politische Krise über Frankreich herein.

Angesichts dieser düsteren Aussichten hatten noch etwas mehr Pariser als sonst im Sommer die Flucht aus der Hauptstadt ergriffen. Aber alle Schreckensszenarien scheinen seit der spektakulären Eröffnungszeremonie der Spiele auf der Seine wie weggewischt, und Frankreich reibt sich die Augen, wie reibungslos Olympia funktioniert – einschließlich der zuvor als neuralgischer Punkt gehandelten Metro.

Olympia: Reibungsloser Ablauf trotz düsteren Aussichten

Olympia-Begeisterung dominiert in Paris, und dank des Medaillenregens für die eigenen Athleten auch bei den meisten Franzosen. Besucher äußern sich beeindruckt von der Partystimmung auf den Tribünen vor prächtiger Pariser Kulisse und in der Stadt selbst.

Die Touristen kommen aus der ganzen Welt, schwenken Fahnen, tragen Trikots, tauschen Fan-Utensilien. Sie bevölkern an jedem Abend die Fläche vor dem Louvre, wenn bei Einbruch der Dunkelheit das olympische Feuer nebenan im Jardin des Tuileries mit einem Ballon in den Himmel steigt. Das hat etwas Ansteckendes. Es sorgt für Euphorie. Und Gänsehaut.

Keine Frage: In magischen Momenten wie diesen zeigt sich Paris mit all seinen historischen Gebäuden und seiner großen Geschichte als durch und durch lebendige Stadt und nicht als Museum. Oder anders ausgedrückt: Die Metropole dient als Location für eine Dauer-Party, für ein friedliches und verbindendes Fest der Völkerverständigung. Was dem ursprünglichen Sinn und den Idealen der olympischen Idee entspricht.

Olympia-Begeisterung dominiert in Paris

„Es ist besser als in unseren Träumen, wir erleben wirklich etwas Unvergessliches“, sagte der Organisationschef der Spiele, Tony Estanguet, dem Sender France Info. „Man erlebt diese Volksbegeisterung mit den Wettkämpfen, ob auf der Straße, in den Stadien oder vor der Pariser Kulisse, es ist absolut spektakulär, es ist atemberaubend.“ Die Stimmung färbe auf das ganze Land ab.

Auch die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo äußert sich begeistert, dass das Konzept für die Spiele in ihrer Stadt aufgegangen ist. „Wir haben das geschafft, wir hätten nie gedacht, dass wir dazu in der Lage wären“, sagte sie der Zeitung „Le Monde“. Nach Jahren der Kritik und des Spotts, der auch auf ihre Person zielte, sei es gelungen, ein positives Bild zu zeichnen „von Paris, von dem, was wir zusammen sind, von den Franzosen, von diesem ganz besonderen Volk, das immer mit Erstaunen und ein wenig Bewunderung aus dem Ausland betrachtet wird“.

Ein Aufatmen und ein Aufleben von Paris, das lange unter den Auswirkungen von Terroranschlägen und drakonischer Restriktionen während der Corona-Pandemie gelitten habe, beobachtete die Zeitschrift „Le Nouvel Obs“. Stolz und Zuversicht gäben die Spiele Frankreich zurück, wo die öffentliche Debatte zuletzt von politischer und gesellschaftlicher Spaltung, sozialen Sorgen und einem vermeintlichen Niedergang des Landes dominiert wurde, kommentierte die Zeitung „Les Dernières Nouvelles dAlsace“.

„Wir haben das geschafft, wir hätten nie gedacht, dass wir dazu in der Lage wären“
Bürgermeisterin Anne Hidalgo

Doch nicht immer bilden die Aussagen von Politikern, Offiziellen und Medien auch die Stimmung in der Bevölkerung ab. Hört man sich unter den Parisern um, werden auch kritische Stimmen laut. Nicolas kann mit dem ganzen Bohei jedenfalls nicht so viel anfangen. Er blickt rational auf die Spiele. Vor 66 Jahren wurde er in Paris geboren, er kennt seine Stadt in- und auswendig – und nennt Olympia „einen Alptraum“. Im netten „Au Roi du Café“ lädt er auf einen Kaffee ein. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum Eiffelturm. Eher unfreiwillig erfüllt Nicolas beim netten Plausch am Morgen ein paar französische Klischees. Er raucht eine Zigarette und verrät, „viel und gerne Zeit in Bars“ zu verbringen. „Ich liebe es, Kaffee zu trinken und Zeitungen zu lesen.“

Überall seien die Straßen gesperrt, vor allem je näher es in Richtung Zentrum gehe, klagt der 66-Jährige: „Normalerweise fahre ich 120 Kilometer in der Woche. Jetzt sind es 500 Kilometer, weil ich ständig ausweichen und Umwege fahren muss. Ich bin wirklich froh, wenn die Spiele vorbei sind.“

Außerdem hat er noch eine zweite Hoffnung. Nicolas mutmaßt mit einem leichten Grinsen, dass der Espresso in den Cafés nach Olympia wieder preiswerter wird: „Vor den Spielen habe ich hier zwei Euro bezahlt. Jetzt drei. Was soll das?“

Olympia: Kritik an hohen Ticket-Preisen

Preissteigerung ist ein großes Thema. Auch bei den Metro-Tickets. Ende des vergangenen Jahres kostete eine Einzelfahrkarte nur etwas mehr als zwei Euro, jetzt sind es vier. Darüber ärgert sich Nicolas: „Olympia ist eine große Gelddruckmaschine.“ Von der er wenig hält. Auch weil es eher die Spiele für die Touristen und nicht für die Pariser seien, wie er meint: „Jeder in meinem Büro hat versucht, Eintrittskarten zu bekommen. Aber das ist zu vernünftigen Preisen schlichtweg unmöglich. Für dieses Geld kann man sich ein neues Fahrrad leisten.“

Er bleibt also zu Hause. Bis zum Ende der Spiele sollen nach Angaben der Organisatoren aber trotzdem 13 Millionen Tickets verkauft werden. Der bisherige Rekord lag bei 8,3 Millionen Karten bei den Spielen 1996 in Atlanta. Olympia in Paris wird also mit einem Besucherrekord enden – und den auch kritischen Stimmen zum Trotz als großer Erfolg in die Geschichte eingehen. Nicolas interessiert das nicht, gibt aber immerhin zu, dass sich Paris herausgeputzt habe. Was auch nur allzu offensichtlich und für jedermann erkennbar ist. Die Bürgersteige sind sauber, die Grünanlagen gepflegt.

„Viele Gebäude wurden gestrichen, es sind Parks entstanden. Paris profitiert sehr von Olympia“, schwärmt Grazyna. Die gebürtige Polin lebt seit 30 Jahren in der französischen Hauptstadt und verbindet mit den Spielen eine Art des Aufbruchs: „Paris ist aufgewacht. Es wurden Dinge gemacht, die man schon vor 20 Jahren hätte tun sollen. Aber das ist typisch für die Franzosen“, sagt die 70-Jährige und lacht: „Alle wussten, dass man etwas machen muss. Aber es brauchte erst die Olympischen Spiele, um auch wirklich loszulegen.“

Paris: Neuer Besucherrekord bei Olympischen Spielen

In den vergangenen Jahren und Monaten entstanden neue Spielplätze und Parks. Ecken und Plätze wurden aufgehübscht. Doch wird das auch so bleiben? Oder geht mit dem Erlöschen der olympischen Flamme am Sonntag auch das Ende einer möglicherweise künstlich geschaffenen Scheinwelt einher?

Vor den Spielen zelteten Obdachlose unterhalb der überirdischen Metrolinie am Boulevard Garibaldi. Sie wurden vertrieben, um das Bild von der sauberen Stadt aufrechtzuerhalten. Man findet sie nun nachts vereinzelt in den Nebenstraßen. Doch die Ärmsten der Armen – von denen es im Großraum Paris angeblich mehr als 100000 gibt – werden vermutlich zurückkehren, wenn sich der Olympia-Trubel gelegt hat und die Polizeipräsenz auf ein Normalmaß gesunken ist.

Es bleiben also Ungewissheit und Zweifel. Denn die französische Metropole wird durch die Spiele zwar grüner und umweltfreundlicher, aber auch wirklich sozialer? Paris ist dicht besiedelt und teuer, der Wohnraum knapp. Wo bleiben wir? Wo schlafen wir? Fragen wie diese stellen sich nicht nur Einzelne, sondern ganze Familien. Soziale Ausgrenzung war vor den Spielen ein großes Thema. Und wird es vermutlich auch bleiben. Schon ab Montag, wenn der Olympia-Glanz verflogen und der Alltag zurück in der Hauptstadt ist. (Mit dpa)