NRW-BahnverkehrEs kriselt bei Eurobahn-Betreiber Keolis und RRX-Betreiber Abellio
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Köln – Der regionale Schienenverkehr in NRW steht vor größeren Umbrüchen als bislang angenommen. Neben dem mitten in einem Schutzschirmverfahren steckenden RRX- und S-Bahn-Betreiber Abellio steuert auch die von der Keolis Deutschland GmbH betriebene Eurobahn in eine ungewisse Zukunft.
Wie unsere Redaktion aus Branchenkreisen erfuhr, steht Keolis, eine Tochter der französischen Staatsbahn SNCF, offenbar vor dem Ausstieg aus dem deutschen Regionalbahn-Geschäft. „Keolis möchte aus dem deutschen Markt raus und das Geschäft zum Jahresende verkaufen“, sagten mehrere Verkehrsmanager. Auch mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) verhandelt das Unternehmen demnach über eine vorzeitige Vertragsauflösung.
Deutschlandgeschäft ist für Keolis defizitär
Eine Keolis-Sprecherin bestätigte auf Nachfrage, dass man seit gut einem Jahr mit den Aufgabenträgern über Vertragsverbesserungen verhandele. Das Deutschland-Geschäft sei für das Unternehmen defizitär. „Es ist für die Keolis-Gruppe klar, dass dies kein Dauerzustand ist“, sagte die Sprecherin. Es sei aber noch nicht „final entschieden, in welche Richtung es geht“.
Sollten sich die Franzosen tatsächlich aus dem Deutschlandgeschäft verabschieden, würde das die NRW-Bahnwelt kräftig durcheinanderwirbeln. Keolis ist an Rhein und Ruhr unter dem Markennamen Eurobahn seit gut 20 Jahren aktiv und betreibt derzeit rund 16 Regionalbahn- und Regionalexpress-Linien mit Schwerpunkt im westfälischen Landesteil. Im Ruhrgebiet fährt Keolis unter anderem mit der vielfrequentierten Linie RE 3 (Hamm-Düsseldorf) und dem RE 13 (Hamm-Venlo).
Probleme schon seit 2019: Keolis-Rückzug nicht völlig überraschend
Der Keolis-Rückzug käme nicht ganz überraschend. Schon länger steht das Düsseldorfer Unternehmen in NRW unter Druck. Im Herbst 2019 spitzte sich die Lage zu, als der VRR den Vertrag mit der Eurobahn für die wichtigen S-Bahn-Linien S1 und S4 kurz vor der Übernahme plötzlich kündigte. Der Vorwurf: Keolis habe die nötige Zahl an Lokführern nicht vorweisen können.
Die Deutsche Bahn sprang per Notvergabe ein und betreibt die beiden Linien seither auch nach der Neuausschreibung im Frühjahr 2020 weiter. VRR und Keolis einigten sich nach einem zunächst harten Rechtsstreit später außergerichtlich. Zeitgleich kündigte das Unternehmen an, sich nicht erneut um die beiden S-Bahn-Linien bewerben zu wollen.
Abellio hat Schutzschirmverfahren beantragt
Stärker noch als ein möglicher Rückzug von Keolis könnte die Entwicklung bei Abellio die Bahn-Landschaft verändern. Wie Ende Juni bekannt wurde, hat Abellio Deutschland, mittelbar Tochter der Niederländischen Staatsbahn, ein sogenanntes Schutzschirmverfahren beantragt. Im Insolvenzrecht ist damit ein Vorgang gemeint, bei dem das Management einen Insolvenzverwalter an die Seite gestellt bekommt, aber eigenständig weiterarbeiten kann.
Die Löhne und Gehälter zahlt drei Monate lang die Bundesagentur für Arbeit, im Falle von Abellio übernimmt sie Zahlungen von insgesamt rund 40 Millionen Euro. Am Ende des Verfahrens muss das Unternehmen zeigen, dass es sanierungsfähig ist.
Die beiden „Problemfälle“ Keolis und Abellio werfen ein Licht auf die Verwerfungen im NRW-Regionalbahn-Markt. Beobachter glauben, dass ausländische Tochterfirmen bei den Ausschreibungen der Linien „strategische Angebotspreise“ aufgerufen haben, um im deutschen Regionalbahn-Geschäft Fuß zu fassen und dem Platzhirsch Deutsche Bahn Marktanteile abjagen zu können. Dann aber seien sie von der tatsächlichen Kostenentwicklung überrollt worden.
Keolis Deutschland beklagt „Explodierende Kosten“ durch Tarifsteigerungen
Keolis Deutschland-Chefin Anne Mathieu beklagte zuletzt in einem Interview „explodierende Kosten“ durch hohe Tarifsteigerungen beim Zugpersonal, vermehrte Strafzahlungen für Verspätungen infolge der vielen Baustellen im NRW-Schienennetz und immense Ausbildungskosten für neue Lokführer.
Verkehrsexperten rechnen bei künftigen Ausschreibungen nun auch mit deutlich höheren Preisen und insgesamt weniger Wettbewerb. Bei der Vergabe der Linien müssten Verkehrsverbünde wie VRR und VRS dann wohl tiefer in die Tasche greifen. Das Geld würde an anderer Stelle fehlen: etwa bei Investitionen in den Klimaschutz.
Kommentar: Wenn sich Staatsbahnen verzocken
Mitleid ist fehl am Platze. Die Bahngesellschaften Abellio und Eurobahn-Keolis, die so tief in der Krise stecken, sind Töchter ausländischer Staatsbahnen. Den ruinösen Preiswettbewerb, der ihnen die Luft abdrückt, haben sie maßgeblich selbst inszeniert. Wie eindrucksvoll hat Abellio (alias Nederlandse Spoorwegen) doch beim Rhein-Ruhr-Express RRX und bei zwei Linien der Ruhr-S-Bahn die Deutsche Bahn vom Platz gefegt. Und wo sieht man nicht überall die Züge von Keolis, Tochter der französischen Staatsbahn, die im eigenen Land vor Konkurrenz geschützt wird.
Nein, Mitleid ist nicht am Platze und erst recht kein Verständnis für die Argumentation, angesichts steigender Kosten etwa durch Löhne entfalle die Grundlage, auf der man mit den Verkehrsverbünde die Preise ausgehandelt habe. Wie bitte? Zwei Staatsbahnen haben sich verzockt und betteln jetzt um Entlassung aus ihrer Pflicht oder einen Nachschlag.
Nun werden Regionalzüge ihren Betreiber und das Personal einen neuen Arbeitgeber finden, auch wenn Abellio und Keolis vom Markt verschwinden sollten. Allerdings sollte man auch in NRW über die Gestaltung des Marktes nachdenken: Wenn die Verkehrsverbünde wie beim RRX die Züge samt Wartung bereitstellen, können die Bahngesellschaften abgesehen von Verwaltungskosten nur noch über das Personalbudget konkurrieren.
Das wiederum nehmen die Bahngewerkschaften verständlicherweise nicht hin. Land und Verkehrsverbünde sollten den Bahngesellschaften – auch der Deutschen Bahn – mehr unternehmerische Freiheit lassen. (Raimund Neuß)