Köln – Der Europapolitiker Manfred Weber hat der Bundesregierung eine halbherzige Unterstützung der Ukraine vorgeworfen und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan scharf kritisiert. „Das, was Erdogan jetzt macht, ist brandgefährlich“, erklärte der Chef der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ am Donnerstagabend. Zustimmung erhielt der CSU-Politiker dabei von Journalist Deniz Yücel.
Neben Weber und Yücel waren in der Talkrunde auch Grünen-Politikerin Claudia Roth und die Politologin Gwendolyn Sasse zu Gast. Journalist Elmar Theveßen und der Generalleutnant a.D. der US-Armee, Ben Hodges, wurden zwischenzeitlich zugeschaltet.
Deniz Yücel: „Autokraten sind keine verlässlichen Partner“
„Autokraten sind keine verlässlichen Partner. Dass eine Autokratie sich in eine Diktatur wandelt, kann sehr schnell gehen“, erklärte Yücel mit Blick auf die Frage, wie weit man Erdogan entgegenkommen müsse, damit der türkische Präsident seine Blockade einer Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands aufgebe.
„Erdogan kann kein Partner sein“, erklärte Yücel, der ab Anfang 2017 für ein Jahr wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ ein Jahr in türkischer Untersuchungshaft saß. Andernfalls drohe die Türkei-Politik zu einem ähnlichen historischen Fehler wie die deutsche Russland-Politik zu werden.
Weber unterstrich zudem, dass es nun Einheit und Geschlossenheit innerhalb der Nato brauche. Auch Grünen-Politikerin Claudia Roth, die zu Wochenbeginn ins ukrainische Odessa gereist war, sah Zugeständnisse an Erdogan und die türkische Inszenierung als Vermittler zwischen Moskau und Kiew kritisch. „Wie will denn jemand Friedenslösungen verhandeln, der gleichzeitig in Syrien und im Nordirak völkerrechtswidrig Angriffe fährt?“
Ben Hodges: „Ich kann mir keine NATO ohne die Türkei vorstellen“
Während es von den Talkrunden-Teilnehmern einhellige Kritik an der türkischen Position gab, probierte Generalleutnant a. D. der United States Army, Ben Hodges, die Wogen etwas zu glätten. „Ich kann mir keine Nato ohne die Türkei vorstellen“, sagte der Amerikaner. „Wir haben auch Fehler gemacht und müssen die Beziehung zur Türkei wieder reparieren.“ Erdogan sei nun jedoch dabei, sein Blatt zu überreizen, so Hodges.
Schließlich legte Maybrit Illner den Fokus auf die osteuropäischen Vorwürfe gegen Deutschlands angeblich zögerliche Ukraine-Politik. Die Moderatorin warf zwei Fragen in die Runde: Sind Telefonate und damit diplomatische Beziehungen zu Wladimir Putin noch sinnvoll? Und ist Deutschland eventuell sogar verantwortlich dafür, wenn die Ukraine militärisch scheitert?
Ist Deutschland verantwortlich, wenn die Ukraine scheitert?
Grünen-Politikerin Roth verneinte. „Dann sind viele mitverantwortlich, aber es ist nicht Deutschlands Schuld, das ist nicht akzeptabel“ Gegen Telefonate sei wiederum nichts einzuwenden, „wenn es klare Worte sind“, fand Roth und stützte damit den Kurs der Bundesregierung und von Bundeskanzler Olaf Scholz, der seit Kriegsbeginn immer wieder mit Putin telefoniert hatte.
Europa-Politiker Weber sah das anders. „Wenn heute Kiew fallen würde, dann würde europaweit, vielleicht sogar weltweit, der Eindruck da sein, Deutschland ist schuld daran.“ Der CSU-Politiker kritisierte insbesondere die europäische Abhängigkeit von den USA. „Was ist, wenn in zwei Jahren Trump wieder ins Weiße Haus einzieht? Wir Europäer sind derzeit nackt in einer Welt von Stürmen. Wir sind nicht verteidigungsfähig.“ Europa sei derzeit nicht in der Lage, sich „politisch zu positionieren, wenn es notwendig ist.“
Manfred Weber: „Wir sind nicht verteidigungsfähig“
Weber zeigte zudem Verständnis für die Wut einiger Staaten in Osteuropa auf den Kurs der Bundesregierung. „Wir haben uns im Westen oft oberlehrerhaft benommen.“ Yücel pflichtete bei, die Wut habe sich bei diesen Staaten lange angestaut. „Deutschland ist keine Hippie-Kommune. Deutschland hat eine Rüstungsindustrie, beliefert Länder wie Saudi-Arabien und Ägypten, und nur an die Ukraine wollte man nicht liefern, um Putin nicht zu verärgern“, kritisierte er.
Erneut probierte Hodges zu beschwichtigen. „Alles, was Deutschland offiziell versprochen hat, ist geliefert worden oder ist auf dem Weg“, erklärte der Generalleutnant a.D., einzige Ausnahme seien die Panzerhaubitzen, an denen aber derzeit ausgebildet werde. Einheit innerhalb der Nato, aber auch in Europa sei wichtig, so Hodges. „Die Einheit unserer Allianz ist der Punkt, der Putin innehalten lässt.“ Deutschland sei diesbezüglich der wichtigste Partner der USA.
Auch die Politologin Gwendolyn Sasse riet dazu, sich in die vermeintliche Spaltung der Nato-Bündnispartner nicht hineinzusteigern. Es gebe zwar Dissens innerhalb der EU, doch wenn man Europa gedanklich in Ost und West trenne, helfe das nur Putin. „Je mehr wir von Europa Ost und Europa West sprechen, desto mehr spielt es in die Tasche von Wladimir Putin. Diese Blöcke gibt es so nicht, das sollten wir uns auch nicht einreden.“
Die Kritik aus Polen und dem Baltikum liege vor allem daran, dass sich die Länder in der deutschen Russland-Politik lange übergangen gefühlt hätten. (das)