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Peter Gabriel in KölnSo überraschte der 73-Jährige seine Fans in der Arena

Lesezeit 4 Minuten
Am Lagerfeuer: Peter Gabriel und drei seiner sieben insgesamt Musiker (v.l.) Richard Evans, Josh Shpak und Tony Levin.

Am Lagerfeuer: Peter Gabriel und drei seiner sieben insgesamt Musiker (v.l.) Richard Evans, Josh Shpak und Tony Levin.

Bei seinem Auftritt in der ausverkauften Lanxess-Arena spielt Peter Gabriel geschickt mit der Erwartungshaltung des Publikums.

Das sprichwörtliche Lagerfeuer: ein Stück Kultur, auf das sich eine überdurchschnittlich große Gruppe einigen kann. Dass Peter Gabriel in diese Kategorie gehört, zeigt sich schon vorm Beginn seines Konzertes in der Lanxess Arena: Der bestuhlte Innenraum ist genauso gefüllt wie die Ränge bis unters Dach, die Mehrheit darf man ruhigen Gewissens als Baby-Boomer bezeichnen.

Doch Gabriel entzündet auch ein (fast) wortwörtliches Lagerfeuer. Zunächst nur begleitet von Bassist Tony Levin singt er an einem künstlich glimmenden Holzhaufen seinen Klassiker „Here comes the flood“ – und zwar auf Deutsch wie zuvor seine Begrüßung, in der er sich auch über seine 73 Lenze lustig macht.

Dinosauerier und Haare

Anders als ABBA bei ihrer „wunderbaren Abbatar-Show“ habe er sich nicht verjüngt und verschlankt. „Ihr seht hier meinen 20 Jahre älteren und zehn Kilo schwereren Avatar, während mein wahres Ich an einem Strand in der Karibik liegt.“ Und mit Tony Levin arbeite er schon so lange zusammen, damals seien noch Dinosaurier rumgelaufen und sie beide hätten noch Haare auf dem Kopf gehabt.

Alles zum Thema Lanxess Arena

Für das folgende „Growing up“ vervollständigt der Rest der formidablen Band das intime Halbrund. Die knapp dreistündige Show beginnt so reduziert, wie das in einer Halle mit den Ausmaßen der Arena möglich ist, legt aber auch eher bedächtig an Tempo zu.

„Growing up“ stammt vom mehr als 20 Jahre alten Album „Up“. Seitdem gab es keine neuen Lieder von Gabriel. Seit Januar veröffentlicht der Brite nun zu jedem Vollmond einen neuen Song des kommenden Albums „i/o“, für das es noch keinen Erscheinungstermin gibt – von dem aber insgesamt elf der 22 Stücke an diesem Abend in Köln stammen.

Fast ein Fremdkörper

Statt also ein munteres Greatest-Hits-Programm abzuspulen, in das er eine Handvoll Ungehörtes einwebt, geht Gabriel den umgekehrten Weg. Was dazu führt, dass „Sledgehammer“, der Über-Hit von 1986 und mit dem das Publikum in die Pause entlassen wird, fast wie ein Fremdkörper klingt.

Die Fans wissen, dass sich Gabriel seit den 80ern musikalisch weiterentwickelt und die Singlecharts praktisch genauso lange nicht mehr im Visier hat.

Entsprechend ist keines der neuen Lieder schlecht, aber auch nicht darauf angelegt, ausgelassene Samstagabend-Stimmung zu verbreiten. Vieles wie „The court“ oder „Panopticum“ ist angenehm Gabriel-düster, „Live and let live“ und Titelsong „i/o“ sind ansatzweise eingängig, mit „Love can heal“ und „And still“ gibt es zwei schöne, altersweise Balladen. Auf den Rängen und im Parkett begegnet man diesen Neuzugängen aufmerksam und mit großem Respekt.

Freudige Begrüßung

Doch wie auf jeder Party: Sobald ein alter Bekannter durch die Tür stürmt, wird dieser mit großem Hallo begrüßt. Und in diesem Fall zu recht: „Red rain“ ist episch wie eh und je, „Big time“ nach wie vor ein amüsanter Kracher. Bei „Don’t give up“ zeigt Sängerin (und Cellistin!) Ayanna Witter-Johnson, wie sie das Tremolo von Gabriels ursprünglicher Duettpartnerin Kate Bush mit eigener Soulwärme kombiniert – ein musikalischer Höhepunkt.

„Solsbury Hills“ bringt auch nach mehr als 45 Jahren noch dazu, dass das Herz, wie im Text beschrieben, „boom, boom, boom“ macht. „Biko“, die Hymne über den gleichnamigen Bürgerrechtler, der 1977 im südafrikanischen Gefängnis durch Folter starb, hat seit 1980 nichts an ihrer Intensität verloren. Und nichts von ihrer politischen Botschaft, wie Gabriel in seiner Ansage im Hinblick auf Uganda oder die Ukraine klarmacht.

Gegen den Strom

Vielleicht hätte Gabriel den neuen Liedern einen größeren Gefallen getan, wenn er sie konzentriert in der ersten Hälfte platziert hätte, um dann in der zweiten Hälfte richtig Gas zu geben.

Dann hätte man auch Stücke wie „Games without frontiers“, „I don’t remember“, „Not one of us“ oder „Shock the monkey“ nicht schmerzlich vermissen müssen. Und die bisweilen etwas beliebig den Hintergrund bebildernden Grafiken und Animationen – unter anderem eine metallene Hand mit hochgerecktem Mittelfinger von Ai Wei Wei – hätten weniger geschmäcklerisch gewirkt.

Aber man mochte Peter Gabriel immer schon dafür, dass er nicht mit dem Strom schwimmt.