Bekannt wurde die Managerin, als sie den RBB mitten in seiner Krise retten sollte. Jetzt startet Katrin Vernau beim größten ARD-Sender WDR als neue Chefin. Was hat sie dort vor?
Neue WDR-Chefin im Interview„Habe noch nie gehört, der WDR sei zu konservativ“
Eine frühere Unternehmensberaterin startet an der Spitze des Westdeutschen Rundfunks. Katrin Vernau spricht im Interview der Deutschen Presse-Agentur zu ihrem Antritt über den Vorwurf eines angeblichen Linksdrifts im ARD-Sender. Sie antwortet auf die Frage nach Stellenabbau und es geht um die Zukunft des TV-Senders Phoenix.
Was ist für Sie in einem Satz der WDR?
Katrin Vernau: Wir möchten die digitale Heimat der Menschen im Westen sein.
Alles zum Thema ARD
- Nach massiven Protesten Thilo Mischke wird doch nicht „ttt“-Moderator
- Habeck, Union, Experte Reaktionen auf Handschlag-Eklat um Annalena Baerbock
- Umstrittener ARD-Moderator Autoren rebellieren gegen Thilo Mischke – Protestbrief im Umlauf
- Blauer Freund der Maus Der Elefant feiert seinen 50. Geburtstag
- Vierschanzentournee Keine Chance an Neujahr – Skispringer weit weg vom Podium
- Weihnachtsklassiker in der ARD Was wurde aus den Stars von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“?
- Gäste, Tickets, Zeiten Alle Infos zum „Silvester-Schlagerbooom 2025“ mit Florian Silbereisen in der ARD
Das heißt, Sie wollen immer die erste Adresse sein, wo man guckt und konsumiert?
Ja. Da wollen wir hin.
Sie folgen auf Tom Buhrow, der vielleicht der bekannteste ARD-Intendant war. Millionen kannten ihn schon als „Tagesthemen“-Moderator, bevor er Senderchef wurde. Wie wollen Sie sich bekannter machen?
Die Frage ist, inwieweit das überhaupt notwendig ist. Unser Hauptdarsteller ist unser Programm - und unsere Akteure im Programm. Natürlich werde ich den WDR auch als Intendantin repräsentieren - in dem Maße, in dem das für den Sender nützlich und sinnvoll ist.
Was macht Sie als WDR-Verwaltungsdirektorin und frühere Wirtschaftsberaterin für das Amt der Intendantin geeigneter als einen Programmmacher? WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn, den viele aus dem Fernsehen kennen, verlor bei der Intendantenwahl...
Unsere Gremien haben sich überlegt, welche Qualifikationen es genau jetzt braucht. Sie haben durch die Wahl die Antwort gegeben.
Haben Sie sich mit Herrn Schönenborn ausgesprochen? Sie waren beide direkte Konkurrenten und arbeiten jetzt weiter im selben Haus…
Mit Jörg Schönenborn arbeite ich seit bald zehn Jahren in der Geschäftsleitung sehr gut zusammen. Wir haben unterschiedliche Kompetenzen. Es wird gut funktionieren, weil die Vertrauensbasis da ist und wir uns gut kennen. Jeder weiß, was er vom anderen zu erwarten hat.
Welche Akzente werden Sie in den ersten Wochen setzen?
Drei Punkte. Zunächst: Die Regionalität stärken. Ich habe mir vorgenommen, mit den Programmmachern sicherzustellen, dass wir noch dichter an unserem Publikum dran sind, noch besser die Lebensrealität der Menschen abbilden, das, was sie interessiert, und sie damit in ganz Nordrhein-Westfalen erreichen. Mein zweiter Punkt: Wir als WDR stehen nicht neben oder über der Gesellschaft, sondern wir sind Teil der Gesellschaft. Deswegen möchte ich, dass wir stärker mit unserem Publikum und mit gesellschaftlichen Gruppen in den Austausch kommen. Wir wollen noch mehr zuhören, mit Anregungen und Kritik unser Programm für unsere Nutzer noch besser machen.
Wo ist denn der WDR noch zu verschlossen?
Das ist eine Frage der Grundhaltung: Wie ist der WDR? Wir sind Teil der Gesellschaft und wollen auch für diese Gesellschaft nützlich sein: Wie können wir dazu beitragen, dass Integration oder Bildung gelingt? Dass Freude und Verständnis für Wissenschaft und Unternehmertum geschaffen wird?
Und welchen dritten Akzent wollen Sie jetzt setzen?
Unsere Reformen konsequent weiterführen. Akut ist das Thema Tarifverhandlungen. Da geht es um die Einführung von crossmedialer Honorierung. Wir haben immer noch Tarife, die aus dem letzten Jahrtausend sind und die nicht mehr die aktuelle Arbeitssituation abbilden. Die Honorierung soll Anreize setzen, weil wir stärker in die digitale Verbreitung gehen müssen.
Dagegen gibt es Widerstand im Haus. Verdienen die WDR-Journalisten mit der Umstellung weniger?
Nein. Sie verdienen insgesamt das gleiche, aber die Aufgaben haben sich durch die digitale Produktionsweise und Verbreitung verändert. Der Topf, der zur Verfügung steht, bleibt der gleiche beziehungsweise er wird jetzt sogar um die Tarifsteigerung erhöht.
Der WDR ist der größte ARD-Sender und wenn man auf Listen mit Gehältern für Intendanten schaut, steht dieser Sender immer ganz oben. Verdienen Sie weniger als Herr Buhrow?
Der WDR wird mit Sicherheit nicht mehr ganz oben stehen. Und das verstehe ich auch, weil die Intendantengehälter in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Mir wurde bereits im Bewerbungsverfahren signalisiert, dass ich rund 20 Prozent weniger bekomme als mein Vorgänger. Ich habe das akzeptiert.
Es gibt den Vorwurf eines angeblichen Linksdrifts des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, speziell der ARD. Die Kritik hat eine lange Tradition – Stichwort Rotfunk. Vermissen Sie konservative Stimmen im WDR?
Ich habe zumindest noch nie gehört, der WDR sei zu konservativ.
Was kann man tun?
Wir müssen uns immer wieder bei Einladungen von Talk-Gästen, aber auch in unserer Berichterstattung fragen: Haben wir wirklich alle Perspektiven vertreten, die man zu so einem Thema einnehmen kann?
Ich möchte auf das Thema Wirtschaftsberichterstattung kommen. Ich bin Ökonomin und mir fehlt häufig die Betrachtung auch aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive. Die Zusammenhänge hinter bestimmten Konflikten, etwa beim Verlust von Arbeitsplätzen. Der ist für die einzelnen Menschen schlimm, aber dafür gibt es auch volkswirtschaftliche Hintergründe. Die genauer zu erläutern ist etwas, das ich stärken möchte.
Sind Sie eigentlich froh, dass Sie jetzt wieder in Köln sind und nicht mehr in Berlin beim RBB? Sie kamen quasi als Feuerwehrfrau zu dem ARD-Sender, der in einen riesigen Verschwendungs-Skandal gestürzt war. Sie waren Interims-Intendantin und wurden dann aus mehreren Gründen nicht dauerhaft RBB-Senderchefin…
Berlin war schön, aber hier ist es noch schöner.
Hat Ihnen in der RBB-Krise geholfen, dass Sie eben kein Kind dieser Häuser sind?
Es ist mir beim RBB sicher einfacher gefallen, die schwierigen Entscheidungen beim Weglassen im Programm zu treffen, weil es nicht meine eigenen Babys waren. Das ist für Programmmacher viel schwieriger: etwas wegzulassen, was sie vielleicht auch selber aufgebaut und über Jahre begleitet haben. Und mir hilft die Erfahrung in der Unternehmensberatung, die ich ja zehn Jahre lang gemacht habe.
Wie groß ist der bleibende Schaden des RBB-Skandals für den ARD-Verbund?
Das war ein großer Reputationsschaden. Wir spüren die Nachbeben immer noch, weil wir einfach viel stärker unter Beobachtung sind und infrage gestellt werden. Das hat auch sein Gutes, viele Dinge sind jetzt in Gang gekommen, die sonst, zumindest in der Geschwindigkeit, nicht passiert wären.
Sagen Sie eigentlich Rundfunkgebühr oder Demokratieabgabe?
Ich sage Rundfunkbeitrag, so wie es im Gesetz steht.
Es ist unklar, ob der Rundfunkbeitrag 2025 auf monatlich 18,94 Euro steigt. ARD und ZDF haben Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil sich die Bundesländer bis dahin nicht zur Höhe festgelegt hatten. Diesen drastischen Schritt werden nicht alle gutheißen. Warum kann die ARD nicht mit weniger Geld auskommen?
Die Politik setzt den gesetzlichen Rahmen. Sie bestellt im Auftrag der Bürger unser Programm. Wenn sie und die Gesellschaft möchten, dass der Rundfunkbeitrag sinkt, dann muss eben Programm abbestellt werden. Natürlich versuchen wir das, was wir machen, so wirtschaftlich wie möglich zu machen. Da sind auch noch Potenziale. Aber diese sind schon eingepreist bei der Festlegung des Rundfunkbeitrags durch die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten). Das sieht man daran, dass er weniger steigt als die allgemeine Preissteigerung.
Wird es mit Ihnen als WDR-Intendantin weiteren Stellenabbau im Sender geben?
Wir haben in den vergangenen Jahren im WDR 500 Stellen abgebaut und den Sender auf eine finanziell solide Basis gestellt. Jetzt haben wir rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In den kommenden vier Jahren werden rund 400 Menschen – also etwa zehn Prozent – den WDR verlassen, weil sie in den Ruhestand gehen. Nach der derzeitigen Planung wollen wir diese Stellen nachbesetzen und zwar mit qualifizierten jungen Menschen, die uns dabei unterstützen, unser junges Publikum über die digitalen Wege zu erreichen. Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, müssen wir neu denken. Wir denken in Szenarien. Wenn der Rundfunkbeitrag nicht steigen sollte, dann müssen wir noch mal überlegen, an welchen Stellen wir nachsteuern.
Würde das nur Personal betreffen oder auch Standorte?
Wir wollen die Regionalität stärken. Wir werden auf keinen Fall unsere Präsenz in Nordrhein-Westfalen schwächen.
Sie werden als Intendantin auch für den Nachrichtensender Phoenix von ARD und ZDF zuständig sein. Die Länder wollen die kleineren Sender im öffentlich-rechtlichen Rundfunk straffen, einiges soll gestrichen werden. Jetzt fragt man sich, wen es treffen wird. Im Nachrichtenbereich mit ZDFinfo, ARD-alpha, Tagesschau24 und Phoenix sollen zwei Angebote weg. Werden Sie für den Erhalt von Phoenix kämpfen?
Phoenix macht was, was sonst keiner in diesem Spektrum macht: Parlamentsberichterstattung. Und die halte ich für absolut essenziell - gerade vor dem Hintergrund, dass die Bürger sich ihre eigene Meinung über die Politik bilden wollen. Phoenix vermittelt politische Inhalte, ordnet ein und liefert Hintergrund. Ich halte das für absolut wichtige Bausteine in unserem Programmspektrum. In welcher Form das verbreitet werden muss, damit es auch in Zukunft das Publikum erreicht, da muss man drüber nachdenken.
Also ist der Sender Phoenix für Sie nicht unantastbar?
Grundsätzlich ist sowieso nie irgendwas unantastbar, sondern wir müssen immer gucken, wie wir mit unseren Inhalten bestmöglich zu unserem Publikum kommen. Wir werden jetzt innerhalb der ARD unsere Position zu den Spartensendern erarbeiten. Und dann das tun, was aus der Perspektive des Publikums am Ende die beste Lösung ist.
(dpa)
Zur Person: Katrin Vernau ist bis Ende 2030 die neue Intendantin des größten ARD-Senders WDR. Die 51-Jährige war bislang WDR-Verwaltungsdirektorin. Bundesweit bekannt wurde sie, als die Managerin im Herbst 2022 als Interims-Intendantin zum RBB kam, nachdem dieser in eine große Krise um Vorwürfe der Vetternwirtschaft und Verschwendung gestürzt war. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin war vor ihrer Tätigkeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Unternehmensberatung. Zudem war sie Kanzlerin an den Universitäten in Ulm und Hamburg. Geboren wurde Vernau in Villingen-Schwenningen in Baden-Württemberg.