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Suizid-Drama „Gott“Ferdinand von Schirachs Werk als Star-besetzte ARD-Produktion

Lesezeit 5 Minuten
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Am 23. November in der ARD: „Gott“ von Ferdinand von Schirach mit (von links) Christiane Paul, Ina Weisse, Anna Maria Mühe, Matthias Habich, Ulrich Matthes, Barbara Auer, Lars Eidinger und Götz Schubert.

Köln – Das ist kein abstraktes Problem“, bricht es aus Richard Gärtner heraus, „man ist mit sich und mit dem Nichts alleine. Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der Elisabeth nicht ist und in der ich nicht bin.“ Gärtner: „Ich bin 78 Jahre alt, ich habe mein Leben gelebt.“ Und weiter: „Es ist mein Leben gewesen. Ich möchte nicht, dass jetzt, am Ende, ein Priester, ein Arzt oder wer auch immer bestimmen, wie ich sterben darf.

Ich will mich nicht vor einen Zug werfen oder von einem Dach springen.“ Was Richard Gärtner – Architekt und seit drei Jahren Witwer – will, ist eine tödliche Dosis Natrium-Penobarbital. Darf er sie auf Verschreibung bekommen? Darf er seinem Leben ein Ende setzen, obwohl kerngesund ist,  nicht unheilbar krank ist oder an Schmerzen leidet?

Stück bezieht Meinung des Publikums mit ein

Ein Fall für den Ethikrat, der im Leibniz-Saal der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg zusammentritt und Ärzte, einen Theologen und einen Juristen um Stellungnahmen bittet. Am Ende stimmen die Mitglieder des Ethikrates ab. Der Schriftsteller, Bestsellerautor und  Strafverteidiger Ferdinand von Schirach inszeniert diese fiktive Verhandlung in seinem Theaterstück „Gott“, das analog zu dem Stück „Terror“ die Meinung des Publikums und dessen Votum über die Gewissensentscheidung mit einbezieht.

Bei „Terror“ ging es in einer fiktiven Gerichtsverhandlung um die Frage, ob es legitim war, dass ein Jetpilot der Bundeswehr eine in terroristischer Absicht auf die  vollbesetzte Münchner Allianz-Arena zufliegende, ebenfalls vollbesetzte, entführte Passagiermaschine abschießen durfte, um eine höhere Zahl von Opfern zu verhindern.  Der brisante Stoff wurde verfilmt. Am 17. Oktober 2016 lief „Terror“ in der ARD. 86,9 Prozent der Zuschauer entschieden für Freispruch für den verantwortlichen Luftwaffenmajor.

Uraufführung in Berlin und Düsseldorf gleichzeitig

„Gott“ erlebte seine Uraufführung gleichzeitig  im Berliner Ensemble und Düsseldorfer Schauspiel  am 10. September 2020 und  wird derzeit außerdem in Hamburg, Trier und Oldenburg gespielt. Acht weitere Premieren sind in Planung. Das Abstimmungsergebnis der Frage, ob Gärtner das von ihm gewünschte Medikament für den Suizid bekommen darf, fiel in den Spielorten sehr unterschiedlich aus: von   68,8 Prozent dafür in Düsseldorf bis  38,9 Prozent dafür in Berlin reichte die Skala.

Wie „Terror“ soll auch „Gott“ im Fernsehen debattiert werden. Die ARD zeigt am 23.  November Lars Kraumes Film, der mit Christiane Paul, Ina Weisse, Anna Maria Mühe, Matthias Habich, Ulrich Matthes, Barbara Auer, Lars Eidinger und Götz Schubert exzellent besetzt ist. Nach dem Film diskutiert eine Runde im ZDF bei Frank Plasbergs „Hart aber fair“.

Stück reagiert auf zwei Entscheidungen jüngster Zeit

Schirachs äußerst spannendes Stück reagiert auf zwei denkbar unterschiedliche und widersprüchliche Entscheidungen in jüngerer und jüngster Zeit. 2015 beschloss der Bundestag, die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen, was in den Augen von Henning Rosenau, Strafrechtsprofessor in Halle-Wittenberg, ein Bruch mit einer Jahrhunderte alten Rechtstradition in Deutschland bedeute. Rosenau initiierte mit seinem Kollegen Eric Hilgendorf einen offenen Brief, in dem sich 151 Strafrechtsprofessoren gegen die Entscheidung (§217 StGB) stellten.

Als Paukenschlag wird allgemein bewertet, was das Bundesverfassungsgericht dann Anfang 2020 beschloss: „Aus grundgesetzlicher Perspektive hat Karlsruhe die liberal-ethische Position verteidigt, des Menschen Anrecht auf Selbstbestimmung umfasse auch einen wohlüberlegten Suizid sowie Möglichkeiten, diesen auf erträgliche Weise durchzuführen“, wie Bettina Schöne-Seifert, Inhaberin des Lehrstuhls für Ethik in der Medizin an der Uni Münster, ausführt. Und das gelte nicht etwa nur bei tödlicher oder unheilbarer Krankheit.

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Schirach lässt Schöne-Seifert, Rosenau und den ehemals Bonner Sozialethiker Hartmut Kreß mit hochinteressanten Statements im Anhang zu „Gott“ zur Sprache kommen. Im Stück selbst tritt nach der Befragung Gärtners durch die  Vorsitzende zu seinen Motiven, Frau Brandt, Hausärztin Gärtners, auf. Sie erklärt, dass sie, obwohl sie die Situation ihres Patienten sehr gut kenne, keine Beihilfe zum Suizid leisten wolle. 

Als Nächste hat die  Rechtssachverständige Litten das Wort. „Der Suizid ist in unserem Recht keine Straftat“, stellt sie fest, spricht dann über aktive und passive Sterbehilfe, über Beihilfe zum Suizid. Die passive Sterbehilfe heißt heute Behandlungsabbruch. Die aktive Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen, sei strafbar. Gärtner habe einen Anspruch auf das tödliche Medikament, doch der Arzt dürfe frei entscheiden, ob er hilft.

Beihilfe zum Suizid als Verstoß gegen den hippokratischen Eid?

Eine überwältigende Mehrheit seiner Kollegen lehne das ab, meint Sperling, der medizinische Sachverständige. Biegler, Gärtners Anwalt, erlaubt sich dem Zwischenruf: „62 Prozent sind doch keine überwältigende Mehrheit!“ Sperling ist ein erklärter Gegner der Beihilfe zum Suizid. Er bezieht sich dabei auf den hippokratischen Eid, der kein Eid im engeren Sinne sei, jedoch „unseren Ethos“ verkörpere.

In der modernen Fassung des Ärztegelöbnisses, die Genfer Deklaration des Weltärztebundes, fehle, so Biegler, aber der Suizid-Passus, dafür stehe da: „Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.“ Biegler entkräftet nahezu alle Argumente Sperlings. Dann darf Gärtner Sperling befragen.

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Die Schauspieler Josefin Platt (von lins), Judith Engel, Martin Rentzsch, Ingo Hülsmann und Veit Schubert spielen im Theaterstück „Gott“ im Berliner Ensemble.

Ohne ihn beim Namen zu nennen, attackiert Gärtner den Vorsitzenden der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery, der  2001 der „Welt“ sagte: „Nur wer sein Leben zu Ende gelebt hat, kann würdig abtreten. Alles andere ist Abspritzen oder Keulen wie beim Vieh.“ Gärtner zu Sperling: „Ihr verdammtes Ethos steht nicht über dem Ethos der Gesellschaft.“ Und: „Warum glauben Sie, Sie dürften sich für Gott halten?“

Zur Person

Ferdinand von Schirach, geboren 1964 in München, arbeitet seit 1994 als Anwalt und Strafverteidiger in Berlin. Zu seinen Mandanten gehörten das frühere Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, der ehemalige BND-Spion Norbert Juretzko, Industrielle, Prominente und Angehörige der Unterwelt. „Verbrechen“, „Schuld“ und „Der Fall Collini“ waren die ersten literarischen Versuche, die allesamt Bestseller wurden. „Terror“ und „Gott“ schrieb er für die Bühne. Sie wurden wie andere seiner Werke auch verfilmt.  (t.k.)

Der letzte Sachverständige ist Bischof Thiel, die einzige Figur, die, so Schirach spitzfindig in seinen Regieanweisungen, von einem Mann gespielt werden müsse. Alle übrigen Rollen könnten von beiden Geschlechtern verkörpert werden. Thiel befürchtet eine Veränderung der Gesellschaft, sollte die Sterbehilfe liberalisiert werden, in sehr kurzer Zeit werde der Druck auf alte Menschen wachsen, sich umzubringen. Der Respekt vor dem Leben gehe verloren. Und: „Ein Suizid ist reiner Egoismus, er ist rücksichtslos den Mitmenschen gegenüber.“

Gärtners Anwalt läuft gegen den Gottesmann zur Höchstform auf. Er stellt dann die wohl zentrale Frage: „Wem gehört unser Leben?“ Und „wem, wenn nicht uns, gehört unser Sterben?“

Ferdinand von Schirach: Gott. Ein Theaterstück. Luchterhand, 155 S., 18 Euro