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Interview mit Musiker Sting„Songs zu schreiben ist wie angeln!“

Lesezeit 4 Minuten
Sting auf der Bühne

Sting auf der Bühne 

Seit dem Durchbruch mit seiner Band Police hat sich Sting immer wieder musikalische Kehrtwenden eingelegt. Am 23. November stellt er in der Lanxess Arena die Songs seines aktuellen Albums „The Bridge“ vor. Olaf Neumann sprach mit dem 71-Jährigen.

War es kräftezehrend, sich während der Pandemie neue Songs auszudenken?

Nein. Es wäre stressig gewesen, keine Musik machen zu können. Denn Musik ist meine Therapie, wenn Sie so wollen. Eigentlich wollte ich mit meinem Musical „The Last Ship“ auf Tournee zu gehen, aber wie alle anderen wurde ich von der Arbeit zurückgeschickt, und wir wussten eine Zeit lang nicht, wann die Zwangspause enden würde. Ich war deshalb sehr froh, dass ich in mein Studio gehen und versuchen konnte, Musik zu machen. (lacht) Ohne sie wäre ich völlig verrückt geworden. Das hat den Stress gemildert.

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Verstehen Sie sich als eine Art kulturellen Brückenbauer?

(lacht) Ich bin ein Sänger. Ich stehe auf einer Bühne, singe Lieder, und die Leute hören mir zu. Aber ich halte mich nicht für einen Brückenbauer. Ich bin einfach nur ein Sänger. Das ist es, wie ich mich definiere.

Aber es ist Ihnen schon wichtig, den Menschen Mut zu machen, gerade in Zeiten wie diesen?

Ich denke, ein Teil meiner Aufgabe ist, Menschen glücklich zu machen. Die Leute kaufen Tickets für meine Show und meine Alben, weil sie das Gefühl haben, dass sie dadurch ein bisschen glücklicher werden. Mit gefällt diese Vorstellung. Es ist ein guter Dienst an der Gemeinschaft.

Die Single “If it’s love“ ist ein leichter und eingängiger Song. Schütteln Sie solche Melodien einfach so aus dem Ärmel?

Das ist ein mysteriöser Prozess, denn ich verstehe nicht wirklich, woher diese Melodien kommen. Aber ich bin froh, dass das mit mir passiert. Ich fange einfach an, etwas zu pfeifen oder zu spielen, und schon ist eine Melodie da. Es ist meine Aufgabe, zu interpretieren, was diese Musik in Bezug auf die Texte bedeutet. Die Musik erzählt mir eine Geschichte. Manche Leute hören Musik und sehen Farben. Und ich sehe Geschichten, Charaktere in Situationen, Erzählungen. Es ist meine Aufgabe, der Geschichte zuzuhören und sie dann in Reimpaare zu übersetzen und einen Song zu machen.

Ist dieser unberechenbare Prozess manchmal frustrierend?

An manchen Tagen ist es wie beim Angeln: Man wirft eine Rute in den Fluss - und nichts passiert. Am nächsten Tag: nichts. Am übernächsten Tag: etwas. Du folgst der Neugier, die du hast, solange, bis etwas dein Interesse weckt. Und dann gehst du dem nach. Im Studio muss man geduldig sein.

Wie bereiten Sie sich aufs Songschreiben vor? Hören Sie sich viel Musik von anderen Künstlern an?

Nein, ich höre nicht sehr viel Musik. Ich bereite mich mental vor. Ich weiß, dass ich geduldig und zu einer bestimmten Zeit im Studio sein muss, um dort bis zum Abendessen zu arbeiten. Das habe ich mein Leben lang gemacht. Es ist also eine Disziplin. Ein berühmter Golfer hat einmal gesagt: „Je härter ich übe, desto mehr Glück habe ich“. Ich glaube, das trifft auch auf mich zu.

Das Stück „Harmony Road“ handelt davon, wie es ist, in einem sogenannten Problemviertel aufzuwachsen. Kennen Sie das soziale Stigma, nach Ihrer Postleitzahl beurteilt zu werden?

Ich komme aus einer ziemlich harten Stadt im Norden Englands. Aber ich bin dankbar dafür. Denn meine Herkunft gab mir den Antrieb, zu fliehen. Mein Ausweg aus dieser Situation war Bildung. Ich erhielt ein Stipendium für eine Schule, in der man mir beibrachte, ein Gentleman zu sein. Das hat natürlich nicht geklappt, aber Musik und Bildung waren definitiv mein Ausweg. Ich schätze meinen Lebenslauf jetzt mehr, als wenn ich reich gewesen wäre.

Wie war Ihre Kindheit in Wallsend, einem Vorort von Newcastle upon Tyne?

Ich habe schon mit sieben Jahren meinem Vater bei der Arbeit geholfen, der Milch ausgeliefert hat. Ich musste immer um fünf Uhr aufstehen, und abends trug ich Zeitungen aus. In der Stadt selbst gab es nur zwei Arbeitgeber, eine Werft und eine Kohlenmine. Beides kam für mich nicht infrage. Aber ich habe schon Geld verdient.

Waren Sie ein aufmüpfiger junger Mann?

Nicht wirklich. Ich war nie im Knast! (lacht) Und gegen meine Familie habe ich rebelliert, indem ich abgehauen bin. Ich habe sie dann auch nicht sehr oft besucht.

„Loving Youist ein unter die Haut gehender, gospelartiger Song über Eifersucht. Haben Sie da auch eigene Erfahrungen mit einfließen lassen?

Ich bin 71 und habe das ganze Spektrum der Gefühle in Bezug auf die Liebe erlebt: Von Schmerz über Eifersucht bis zu großer Freude. Also kann ich mit einer gewissen Authentizität darüber schreiben. Und doch schreibe ich nicht autobiografisch. Die schlimmste Art von langweiligem Lied ist: „Ich liebe dich, und du liebst mich“, denn das ist ein geschlossener Kreis. „Ich liebe dich, aber du liebst jemand anderen“ - das ist für einen Schriftsteller interessant zu erkunden, weil es dreidimensional ist.