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„Hart aber fair“Union schwingt rote Socken – SPD und Grüne auf einer Linie

Lesezeit 6 Minuten
Plasberg 100521

Frank Plasberg

In wenigen Tagen wählt Deutschland eine neue Bundesregierung. Die Runde bei Frank Plasberg lotet noch einmal die Chancen für Rot-Rot-Grün aus, beschäftigt sich mit der Kanzlerkandidatin und den Kandidaten, diskutiert aber auch inhaltlich. Das Thema bei „Hart aber fair“: Endspurt im Wahlkampf: Wer macht die letzten Punkte? Zu Gast am Montagabend: Die Fraktionsvorsitzenden der Parteien. Ralph Brinkhaus von der CDU/CSU, Rolf Mützenich von der SPD, die Grüne Katrin Göring-Eckardt, der Vorsitzende der FDP Christian Lindner, Amira Mohamed Ali von den Linken und Alice Weidel von der AfD.

Die ersten 100 Tage der neuen Regierung: Mindestlohn, Klimaschutz und „Jump Start“

Die Diskussion beginnt mit dem Blick in die Zukunft. Was würden die Parteien in den ersten 100 Tagen im Amt sofort angehen? Die Antworten fallen wenig überraschend aus, zeigen aber einmal mehr, wo die Prioriäten liegen.

Christian Lindner versucht es mit möglichst vielen Anglizismen und Schlagworten: Deutschland komme wirtschaftlich schlechter aus der Krise als andere Länder, es brauche darum einen „Jump Start“ und ein „Super-Abschreibungsprogramm“. Letzteres bringt der FDP-Vorsitzende jüngst in schöner Regelmäßigkeit an die Frau. Was er damit meint: Betriebe sollen Investitionen schneller abschreiben können. Das ermögliche die Finanzierung von Klimaschutz und Sozialem.

„Einfach mal machen lassen“, ist der Vorschlag der CDU für die nächste Regierung. Während der Pandemie habe es genug Eingriffe des Staates gegeben. Das CDU-Pendant zum „Super-Abschreibungsprogramm“ der Liberalen ist das „Modernisierungsjahrzehnt“. Bei jeder Gelegenheit kündigt die Union dessen Start an. Wohlgemerkt nach 16 Jahren an der Regierung.

Die SPD will in den ersten 100 Tagen den Mindestlohn von 12 Euro anschieben, die erneuerbaren Energien ausbauen und Wohnraum schaffen. Die Linkspartei will Familien mit wenig Einkommen entlasten, Pflegerinnen und Pflegern mehr zahlen und die Vermögensverteilung gerechter gestalten. Die Grünen wollen – klar – die Klimakrise angehen. Ihre Generation sei in der Pflicht, die Weichen zu stellen, dass der Planet für die Jungen ein lebenswerter Ort bleibe, sagt Katrin Göring-Eckardt.

Alice Weidel ist nicht geimpft – und dementiert wissenschaftliche Erkenntnisse

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel ist nicht geimpft. Nicht aus Egoismus, wie sie sagt, sondern weil sie „verantwortungsvoll handle“. Man solle die Leute, die sich nicht impfen lassen möchten, einfach in Ruhe lassen. Die persönliche Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, will niemand in der Runde Weidel oder anderen Bürgerinnen und Bürgern absprechen. Uneins ist man über Konsequenzen, die Ungeimpfte in Kauf nehmen müssen.

„Ich habe Verständnis, dass Leute Sorge haben“, sagt Göring-Eckardt und verweist auch auf jene, die sich nicht impfen lassen können. Aber: „Ich möchte, dass wir Sicherheit für die Kinder leisten, die bisher ungeimpft sind. Die haben hergehalten. Diese Kinder zu schützen heißt, dass sich alle impfen lassen“. Die Grünen-Fraktionschefin glaubt, dass das Impfpotential noch nicht ausgeschöpft ist. Das Impfangebot müsse noch präsenter und niedrigschwelliger sein. FDP und Linke stimmen zu. Brinkhaus sieht es anders: „Jeder der sich impfen lassen möchte, kann das tun“, so der CDU-Politiker.

Alice Weidel grätscht der Runde in der Manier einer 13-Jährigen immer wieder dazwischen. Statt sich inhaltlich auseinanderzusetzen, belässt sie es bei Nein-Doch-Nein-Doch-Spielchen – oder spricht schlicht die Unwahrheit. Etwa wenn sie behauptet es sei nicht erwiesen, dass Geimpfte weniger infektiös sind als Ungeimpfte.

FDP setzt auf Urteil des Bundesverfassungsgerichts – Linke wollen Reichensteuer

Union, AfD und FDP entlasten vor allem höhere Einkommen. Sozialdemokraten, Linke und Grüne hingegen entlasten mittlere und kleine Einkommen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Info-Instituts. „Karlsruhe wird das erledigen“, glaubt FDP-Chef Lindner. Die Liberalen haben beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen den Solidaritätszuschlag eingereicht. Rechne man diesen in den Plänen von SPD, Grünen und Linkspartei heraus, lande man bei „sehr ähnlichen Ergebnisse wie der FDP“, so Lindner. Brinkhaus stimmt zu.

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„Auch wenn man den Soli rausrechnet, entlasten die Linken die kleinen und mittleren Einkommen am stärksten“, entgegnet Linken-Fraktionschefin Mohamed Ali. Finanzieren will die Linke das über eine Reichensteuer: Für jeden Euro Einkommen über einer Million Euro pro Jahr fordert sie einen Steuersatz von 75 Prozent. „Sie glauben tatsächlich, dass dann noch Leistungsträger und Mittelständler in Deutschland bleiben?“, fragt Lindner. „Wir werden an der ungleichen Verteilung von Vermögen nichts ändern, wenn wir nicht zum Instrument der Umverteilung greifen“, hält Mohamed Ali dagegen. „Es ist überhaupt nichts falsch daran zu diskutieren, ob ein Spitzensteuersatz für bestimmte Reiche steigt“, sagt auch SPD-Fraktionschef Mützenich.

Ralph Brinkhaus: „Olaf Scholz steht für eine Linksregierung“

Anlass für Brinkhaus, das rot-rot-grüne Gespenst hinaufzubeschwören: Mützenich distanziere sich ja nicht einmal in diesem Punkt von der Linkspartei, so der CDU-Fraktionschef. „Olaf Scholz steht für eine Linksregierung. Für einen Staat, der übergriffig ist“. Einkommensungleichheit beseitige man nicht durch Umverteilung, sondern durch Bildung und Wirtschaftswachstum. Regelmäßig wird in dieser Diskussion – in verschiedensten Talks und Debatten – der fundamentale Unterschied zwischen FDP und CDU einerseits und SPD, Grünen und Linkspartei andererseits deutlich.

Letztere wollen eine Kindergrundsicherung, Mindestlohn und höhere Abgaben der Reichsten in Deutschland. Liberale und Union setzen auf Wirtschaftswachstum, die Kräfte des Marktes und Bildung als den Schlüssel, um soziale Ungleichheit auszugleichen. Dass das deutsche Bildungssystem alles andere als durchlässig ist und es nicht vom Talent, sondern der Herkunft abhängt, ob Menschen einen hohen Schulabschluss erreichen, ist allerdings inzwischen seit Jahren durch Studien belegt.

Der Vorschlag der AfD: An der Ausgabenseite ansetzen. Viel Geld werde für „Projekte hinausgeblasen, die nicht den deutschen Bürgern zugutekommen“. Illegale Migration, Illegale Euro-Rettungen, der Corona-Wiederaufbaufonds – das alles sei „ajuristisch“, zählt Weidel auf. Ernst nimmt das aus den anderen Parteien niemand.

Lindner: Habe Linksruck vor vier Jahren verhindert

Die Fraktionschefinnen und Fraktionschefs holen noch einmal zu den Kanzlerkandidaten aus. Kurzum: Ralph Brinkhaus hat nie eine bessere Landesregierung als die unter Laschet in NRW erlebt. Göring-Eckardt beschwört, nicht selten hätten sich Wahlen noch auf den letzten Metern gedreht. Lindner sieht bei der Union „inhaltliche Unschärfe“ – und verkündet, er habe vor vier Jahren mit seinem Nein zu Jamaika einen Linksruck in Deutschland verhindert. Damals habe die CDU den Grünen jedes nur denkbare Geschenk zugestanden.

Brinkhaus probiert es am Ende noch einmal mit der roten Keule: Ob SPD und Grüne wirklich wollen, dass Deutschland die Rolle als Sicherheitsanker in Europa verliere? Der CDU-Fraktionschef fabuliert gar über einen Nato-Austritt, solle es zu einer rot-rot-grünen Regierung kommen. Wer Scholz als Spitze eines linken Komplotts begreift, der findet wohl auch das wahrscheinlich.

Insgesamt brachte der Abend bei Plasberg wenig neue Erkenntnisse. Etwas anderes war nach drei Triells und Monaten unzähliger Talkrunden aber auch nicht zu erwarten. Am 26. September haben die Bürgerinnen und Bürger die Wahl.