Der alltägliche WahnsinnDivertissementchen im Stream – mit Colonia und Corona
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Köln – Der Epilog soll es richten: Mutter Colonia als fleischgewordene Jungfrau eines Kölner Dreigestirns lugt aus der Himmelspforte, singt die Melodie vom „Kölsche Jung“ und ruft dazu auf, auch in harten Zeiten ein flottes „Zillche“ aufzuführen. Die Jungs von „Cäcilia Wolkenburg“ waren sofort begeistert und haben mit Hilfe des Opernteams diesmal ein zeitgemäßes Divertissementchen für die heimischen Wohnzimmer hergestellt – Mundart-Komödie und Musikrevue per Stream, „Zillche reloaded“ mit anrührendem Happy-End zu kölschen Klängen.
Corona und Colonia, die Virologen und die „Bierologen“, mexikanisches Bier und starker Zigarrentabak mit dem krönenden Namen und nicht zuletzt die Legende von der heiligen Corona und ihrer Nähe zur Vaterstadt Köln bilden den Bodensatz der Handlung, aus der Regisseur und Librettist Lajos Wenzel eine neue Legende erfindet. Wahres und Mögliches mischen sich zu einer Geschichte, deren unwahrscheinlicher Plot in einer Inhaltsangabe auf acht Seiten zu komprimieren versucht wird.
Diese sollte die Fan-Gemeinde der Spielgemeinschaft vor dem Bild- und Tonkonsum unbedingt intensiv studiert haben, sonst droht schnell Orientierungsverlust in dem Revue-artigen Mix. Irgendwann fällt auf der Bühne die Frage: „Warum ist das jetzt wichtig?“ Und irgendwie rührt diese Formulierung erlösend am Herzen des Betrachters.Eigentlich wollte das Kreativteam um den Künstlerischen Leiter Jürgen Nimptsch mit „Napoleon en Kölle“ einziehen. Aber ein weiser Blick in die Glaskugel brachte diesen Plan unter wahrscheinlichen Hygienebestimmungen schnell ins Wanken. Die nun initiierte überbordende Stoffsammlung zum neu angedachten Thema Corona war mehr als erg iebig. Der Eindruck entsteht allerdings im Endprodukt, einer Flut der Bilder und Ideen, dass so ziemlich alles auch Eingang ins Buch fand – was ja in einer bunten Show von rund 90 Minuten auch möglich sein kann. Andererseits sollte eine Geschichte erzählt werden.
Das Stück: Die Fantasie schlägt hohe Wellen um historische Details. In Finalfragen bleibt Lajos Wenzel ein Meister.
Die Regie: Wesentlich resultiert die Personenführung aus den Abstandsregeln auf der Bühne: Sie sind das Thema.Die Musik: Die kleinere Band schlägt härter zu. Die Bühnenspielgemeinschaft verschließt sich nicht vor moderneren Klängen.
Es geht um den Kölner Männer-Gesang-Verein, dessen Mitglieder nicht mehr zur Probe gehen, woraufhin deren Gattinnen nervös werden. Angeblich liegt es an Corona. Konkurrenz für die Sänger-Damen? Die historische Corona, Gattin des Victor von Siena, wurde während der Christenverfolgung zwischen zwei herabgebogene Palmen gespannt und zerrissen. Einige Fetzen der Märtyrerin brachte Kaiser Otto der III. in den Dom, allerdings in den in Aachen. Auch deshalb ist die heilige Corona sauer, als sie jetzt Köln besucht. Hier darf sie sogar offiziell nicht als Pandemie-Heilige agieren – ihre Rache ist furchtbar: Corona-Bier und Zigarren für alle, die Stadt wird in einen Rausch versetzt, die Klopa pierversorgung wackelt.
Potpourri aus Schlager, Pop und Rock
Thomas Guthoff hat das diesmal vorwiegend auf Schlager, Pop bis Rock ausgerichtete Potpourri humorig und musikalisch ansprechend arrangiert. Das Streichorchester wurde abstandsfreundlich gestrichen, dafür spielt die Zillche-Hausband „Westwood Slickers“, platziert über der Bühne.Von Paolo Conte bis Deep Purple, immer wieder aufgepolstert mit Ausflügen ins rheinische Liedgut, reicht das diesjährige Programm, und sogar kubanische Rhythmik gelingt den Herren des Chores. Dazu tanzen die Ballettmäuse in gewohnt ausgefallenen Kostümen (von Judith Peter), auch mal als Corona-Bierchen mit Zitronenhütchen.
Natürlich wird auch der alltägliche Wahnsinn des notwendigen Hygiene-Verhaltens thematisiert, vorwiegend die kölsche Art, damit Umzugehen. Niemand veralbert die Pandemie – keine leichte Aufgabe in einer Komödie. Aber dies gelingt keimfrei. Die Stimmung bleibt gut bei „Alle Gläser h uh“, gesungen vor einer Burg aus Bierkisten mit „Lecker Kölsch“, der rheinischen Gegenoffensive zur mexikanischen Freibierflut.
Und wirklich ganz warm ums Herz wird es über die gesamte Schlussphase, bis Colonia (genial: Peter Klaff) die Corona-Panik zusammenfasst: „Du brauchst Humor, wenn du Angst hast, oder wenn du unter Druck stehst. Denn Humor schweißt zusammen, und Lachen ist sowieso gesund!“ Dafür macht das aktuelle Divertissementchen auch auf der Leinwand Mut. Dafür sei den unerschütterlichen Aktivisten des KMGV gedankt.
90. Minuten. Im WDR-Fernsehen am Samstag, 13.2., 11 Uhr und als Stream auf der Seite der Kölner Oper bis einschließlich 12.2.