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Was hinter Putins Kreml-Beben steckt„Genau das will Russland zerstören, nur dann kann es Weltmacht sein“

Lesezeit 6 Minuten
Russlands Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit Sergei Schoigu. Der bisherige Verteidigungsminister bekommt einen neuen Job – und das wirft neue Fragen auf. (Archivbild)

Russlands Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit Sergei Schoigu. Der bisherige Verteidigungsminister bekommt einen neuen Job – und das wirft neue Fragen auf. (Archivbild)

Wladimir Putin wechselt seinen Kriegsminister. Experten halten eine andere Personalie aber für „spannender“ – und sticheln gegen Steinmeier.

Dass es nicht so gut läuft mit Sergei Schoigu und Russlands Krieg gegen die Ukraine, konnte man 2023 bereits erahnen. Damals sorgte eine simple Geste von Wladimir Putins langjährigem Kriegsminister für viel Belustigung in der Ukraine und darüber hinaus. „Werden wir gewinnen?“, wurde Schoigu damals von einem TV-Reporter gefragt. Der Minister zögerte kurz – und zuckte schließlich deutlich mit den Achseln, ehe er lakonisch erklärte: „Wir haben ja keine andere Wahl.“

Nun ist Schoigu seinen Job los – und soll durch Andrej Beloussow ersetzt werden. Die Entscheidung Putins, seinen langjährigen Verteidigungsminister zu entlassen, kommt durchaus überraschend, auch wenn es nach der Festnahme seines Stellvertreters zuletzt erste Anzeichen dafür gegeben hatte.

Kriegsminister Sergei Schoigu bekommt neuen Job von Putin

Schoigu ist aber nicht nur seinen bisherigen Job los, sondern wird auch der künftige Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates. Unter russischen Propagandisten galt das am Sonntagabend sogar als Beförderung. Der prominenteste Vertreter des Sicherheitsrates ist seit Kriegsbeginn Ex-Präsident Dmitri Medwedew, der regelmäßig mit Wutausbrüchen für Aufsehen sorgt – und nun einen neuen Chef bekommt.

Hardliner Nikolai Patruschew ist raus. Was aus dem Ex-KGB- und bisherigen Sicherheitsratschef wird, bleibt zunächst unklar. Patruschew gilt als großer Unterstützer Putins – und des Krieges gegen die Ukraine. Manche Russland-Experten sehen in seinem Abgang das eigentliche Erdbeben in Moskau.

Sergei Schoigu: Intimfeind von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin

Schoigu hingegen ist seit Kriegsbeginn immer wieder in die Kritik geraten. Auch bei Jewgeni Prigoschin, dem verstorbenen Chef der Söldnergruppe Wagner, der den Minister mehrfach öffentlich bloßgestellt und für den Misserfolg der russischen Invasion verantwortlich gemacht hatte. Im Netz kursierten nach Putins Entscheidung schnell wieder alte Memes und Zitate des Söldnerchefs, in denen Prigoschin die Unfähigkeit Schoigus angeprangert hatte.

Trotz des ewigen Vorwurfs der Inkompetenz sei Schoigu „einer von Putins engsten politischen Weggefährten“, kommentierte der Historiker Matthäus Wehowski das Ränkespiel im Kreml. Von „all den Figuren“ im russischen Sicherheitsapparat sei der 68-Jährige „der am wenigsten Irrsinnige“, jedoch auch hochgradig korrupt gewesen.

„Der am wenigsten Irrsinnige“ in Wladimir Putins Kabinett

Die „enorme Korruption“ im Verteidigungsministerium habe dazu geführt, dass Russlands geplanter „Enthauptungsschlag“ gegen die Ukraine zu Kriegsbeginn gescheitert sei, so Wehowski. „Etwa 40 Prozent“ des Militärbudgets seien „in die Taschen korrupter Militärs geflossen“.

Die Wahl von Beloussow als Schoigus Nachfolger gilt bei Politikexperten derweil als klarer Hinweis auf Putins Pläne. Mit Andrej Beloussow macht der Kremlchef einen ausgewiesenen Wirtschaftsfachmann zum Verteidigungsminister. Die Entscheidung sei eine direkte Folge von Schoigus Problemen mit dem militärisch-industriellen Komplex in Russland, erklärte die russische Politologin Tatjana Stanovaja bei X.

Schoigu-Nachfolger mit Aufgabe: „Putin bereitet sich auf viele weitere Kriegsjahre vor“

Die Wahl des „anscheinend kompetenten Ökonomens“ Beloussow signalisiere „ziemlich deutlich“, dass Putin den Sieg über die Ukraine durch eine Kriegswirtschaft erzwingen wolle, die der ukrainischen und der ihrer Unterstützer im Westen überlegen sei, erklärte derweil der britische Sicherheitsexperte Jimmy Rushton. „Putin bereitet sich auf viele weitere Kriegsjahre vor.“

Der Wirtschaftsexperte Andrej Beloussow wurde von Kremlchef Putin zum neuen Verteidigungsminister ernannt.

Der Wirtschaftsexperte Andrej Beloussow wurde von Kremlchef Putin zum neuen Verteidigungsminister ernannt.

Wenn Beloussow Verteidigungsminister werde, dann werde er ein „Minister für Kriegswirtschaft“, befand auch der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange bei X. Aus der Politik gibt es ebenfalls Zustimmung: Mit Beloussow setze Putin „verstärkt auf Kriegswirtschaft“, erklärte CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter am Sonntagabend in dem Kurznachrichtendienst.

Die Analysten vom amerikanischen Institut für Kriegsstudien (ISW) gehen unterdessen noch weiter. Die Umbesetzung im Kabinett deute darauf hin, „dass Putin bedeutende Schritte zur Mobilisierung der russischen Wirtschaft unternimmt“, schreiben die Analysten in ihrem Lagebericht. Putin wolle so einen „langwierigen Krieg in der Ukraine“ unterstützen und sich „möglicherweise auf eine künftige Konfrontation mit der NATO vorbereiten“.

Putins neuer Mann Andrej Beloussow: „Minister für Kriegswirtschaft“

Ob neben Schoigu auch der Generalstabschef der russischen Armee, Valeri Gerassimow, seinen Posten wird räumen müssen, bleibt zunächst unklar. Der Armeechef bleibe im Amt, versicherte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Sonntagabend jedenfalls. „Vorläufig“ seien keine Änderungen auf dieser Position vorgesehen.

Politologin Stanovaja geht davon aus, dass weitere Personalrochaden folgen werden. Trotz der „überraschenden Umbesetzungen“ werde sich die „allgemeine Politik“ des Kremls jedoch ebenso wenig verändern wie die „Entscheidungsmechanismen“ in Moskau, führte die Wissenschaftlerin vom Carnegie Russia Eurasia Center aus. „Putins Hauptziel“ sei es, die russischen Streitkräfte „effektiver zu unterstützen, während die meisten Elemente der bestehenden ‚Struktur‘ intakt bleiben“ sollen, erklärte Stanovaja.

Was wird aus Putins langjährigem Gefährten Nikolai Patruschew?

Die „spannendere Entwicklung“ sei ohnehin, dass Sicherheitsratschef Patruschew seinen Platz räumen müsse, erklärte derweil Thomas Riegler, Historiker an der Universität Graz. Dass der „inkompetente“ Schoigu auf Patruschew folge, sei ein Zeichen dafür, dass der Sicherheitsrat „zunehmend ineffektiv“ werde und zu einem „Abstellgleis für sachlich verzichtbare doch loyale Personen“ verkomme, befand auch der Russland-Experte Alexander Dubowy bei X.

Um Patruschews Zukunft gibt es erste Gerüchte. Sogar über die Gründung einer „neuen Struktur“ unter der Leitung des ideologischen Hardliners wird in Russland spekuliert, auch wenn dieses Szenario unter Experten als unwahrscheinlich gilt. „Eine wichtige Position innerhalb der Präsidialverwaltung mit Zuständigkeit für ideologische Fragen“ sei für Patruschew jedoch vorstellbar, erklärte Dubowy.

Sergej Lawrow bleibt Außenminister: „Bellevue erleichtert“

Der Kreml äußerte sich am Sonntag zunächst nicht zur künftigen Aufgabe von Putins langjährigem Gefährten. Patruschews neue Rolle werde in den kommenden Tagen bekannt gemacht, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow lediglich.

Kremlchef Wladimir Putin im Gespräch mit seinem langjährigen Unterstützer Nikolai Patruschew. Der Hardliner dürfte nach seinem Abgang als Sicherheitsratschef einen neuen Posten bekommen. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin (l.) im Gespräch mit seinem langjährigen Unterstützer Nikolai Patruschew. Der Hardliner dürfte nach seinem Abgang als Sicherheitsratschef einen neuen Posten bekommen. (Archivbild)

Auf weitere Änderungen in seinem Kabinett verzichtet Putin in seiner sechsten Amtszeit. Nach 20 Jahren im Amt wird damit auch künftig der Außenminister Russlands Sergej Lawrow heißen. Auch um einen möglichen Abgang des Chefdiplomaten hatte es zuletzt Spekulationen gegeben. Der 74-Jährige ist bereits seit 2004 im Amt und damit der dienstälteste Außenminister weltweit.

Auch diese Entscheidung blieb derweil nicht unkommentiert. „Bellevue erleichtert“, kommentierte der Kölner Politologe Thomas Jäger Lawrows Verbleib bei X – und spielte damit auf die einst guten Beziehungen zwischen dem jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und Lawrow während Steinmeiers Amtszeit als Außenminister an.

Putins Kriegsziele bleiben unverändert: „Nur dann kann Russland Weltmacht sein“

Russlands Kriegsziele sieht Jäger derweil trotz der Personalrochaden unverändert. Die Europäische Union habe Jahrhunderte von Krieg in Europa transformiert, erklärte der Kölner Politikwissenschaftler. Kein Staat in der EU fürchte noch einen Angriff eines anderen Mitgliedstaates, keiner bereite sich auf die Verteidigung gegeneinander vor, führte Jäger aus – und fügte an: „Genau das will Russland zerstören, denn nur dann kann Russland Weltmacht sein.“

In Moskau macht man aus diesen irren Plänen derweil keinen Hehl: Noch in der Vorwoche veröffentlichte Schoigus künftiger Vize im Sicherheitsrat ein 45 Seiten langes Essay – und erklärte dort nicht nur die Ukraine zu „Faschisten“, sondern auch die EU und jegliche weitere Unterstützer Kiews. Die Ukraine sei für Russland „nur der Anfang“ in einem langen Kampf für eine neue Weltordnung, schrieb Dmitri Medwedew.