Alexander Feuerherdt ist einer der gefragtesten Schiedsrichter-Experten und als Lehrwart oberster Aus- und Fortbilder im Fußballkreis Köln.
Kölner Schiri-Ausbilder Feuerherdt„Es ist Respekt von beiden Seiten gefordert – Empathie ist keine Einbahnstraße“
Es kommt vor, dass Auseinandersetzungen auf Fußballplätzen den Unparteiischen vollkommen entgleiten. Neben Spielern, Trainern und Fans werden in erschreckend großer Zahl sogar Erziehungsberechtigte auffällig.
Es wird ungeniert gepöbelt – problemlos auch unterhalb der Gürtellinie bis hin zur Schamesröte. Spielabbrüche für die Schiedsrichter sind dann oftmals der letzte Ausweg, um die Eskalationsspirale zu durchbrechen. Nach Erhebungen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist in der abgelaufenen Spielzeit bundesweit annähernd jede 200. Begegnung nicht zu Ende geführt worden. Ein besorgniserregender Wert. Besserung scheint allerdings in Sicht.
Möglicherweise steht dies im Zusammenhang mit der sogenannten Kapitänsregel und dem Stopp-Konzept. Beides sind neue Hilfsmittel, die den Schiedsrichtern seit Saisonbeginn zur Verfügung stehen – und offenbar greifen.
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Im Fußballkreis Köln steht nach 502 Partien kein Spielabbruch wegen Gewalt oder Diskriminierung zu Buche
Eine Auswertung nach sieben Spieltagen könnte zumindest als erster vorsichtiger Trend gedeutet werden. So steht im Fußballkreis Köln von der Kreisliga A bis zur Kreisliga D nach sieben Spieltagen und mehr als 520 Meisterschaftsspielen im Herrenfußball kein einziger Spielabbruch zu Buche, der auf Gewalt oder Diskriminierung zurückzuführen wäre.
Einzig die Begegnung zwischen Makkabi Köln und DSK Köln in der Kreisliga D musste am 15. September in der 51. Spielminute abgebrochen werden. Ursächlich hierfür war allerdings, dass das mit nur acht Spielern angetretene DSK Köln nach zwei verletzungsbedingten Ausfällen die nach dem Regelwerk erforderliche Anzahl von sieben Spielern nicht mehr stellen konnte.
Alexander Feuerherdt (55) ordnet diese Tendenz ein und gewährt weitere Einblicke in das Wechselspiel zwischen Spielern und Unparteiischen. Der Wahl-Kölner ist einer der gefragtesten Schiedsrichter-Experten und als Lehrwart oberster Aus- und Fortbilder im Fußballkreis Köln. Hauptberuflich ist er als Leiter Kommunikation und Medienarbeit für die DFB-Tochtergesellschaft DFB Schiri GmbH tätig und damit Sprachrohr der Bundesliga-Schiedsrichter.
Herr Feuerherdt: Sie beobachten hin und wieder auch im Fußballkreis Köln direkt vor Ort das Geschehen. Täuscht unser Eindruck oder geht es nach der Einführung von Kapitänsregel und Stopp-Konzept auf den Fußballplätzen tatsächlich gesitteter zu?
Alexander Feuerherdt: Kapitänsregelung und Stopp-Konzept sind zwei gute Werkzeuge zur Deeskalation. Und auch mein Eindruck ist, dass die Schiedsrichter diese Tools nutzen. Die ersten Rückmeldungen sind vielversprechend und deuten darauf hin, dass es funktioniert. Eine belastbare empirische Auswertung liegt aber noch nicht vor, dafür ist die Saison noch zu jung. Ich hoffe, dass sich die Instrumente auch bewähren, wenn die Saison auf die Zielgerade geht und es um die Wurst geht.
Worin liegt der Kern der beiden Hilfsmittel?
Sie können dazu beitragen, die Szenerie zu beruhigen und die Position des Schiedsrichters zu stärken. Im Idealfall gibt es auch dadurch weniger Spielabbrüche und weniger Angriffe auf Unparteiische.
Die Auslegung der Kapitänsregelung wird jedoch mitunter missverstanden.
Der Kapitän ist der erste Ansprechpartner der Schiedsrichter. Nur er ist befugt, in für das Spiel relevanten Situationen – also vor allem bei Toren, Strafstößen und Feldverweisen – den Schiedsrichter um die Begründung für eine Entscheidung zu ersuchen. Das bedeutet aber nicht, dass die anderen Spieler von der Kommunikation mit dem Schiri ausgeschlossen sind, wenn Gesprächsbedarf besteht und es sachlich zugeht. Es bedeutet jedoch auch nicht, dass der Kapitän „meckern“ darf. Er muss sich sportlich verhalten und hat eine Vorbildfunktion, auch gegenüber seinen Mitspielern.
Beim sogenannten Stopp-Konzept werden die Teams in ihre eigenen Strafräume beordert.
Diese Maßnahme kann wirkungsvoll und geeignet sein, die vor allem im Amateurfußball mitunter erhitzten Gemüter zu beruhigen, wenn eine Partie kurz vor der Eskalation steht. Alle Beteiligten können sich in dieser Unterbrechungspause sprichwörtlich abkühlen, ihrer Emotionen wieder Herr werden und sich über mögliche Konsequenzen Gedanken machen. Sollte sich nach einer weiteren Unterbrechung keine Besserung einstellen, das wird den Teams zuvor deutlich signalisiert, ist die Begegnung abzubrechen. Ein solcher Fall ist mir bislang aber nicht bekannt.
Gibt es Regionen oder gar Stadtteile, in denen den Schiedsrichtern die Spielkontrolle häufiger entgleitet als anderswo?
Es ist schwierig, dazu etwas Verlässliches zu sagen. Wenn einem Schiri die Spielkontrolle abhandenkommt, liegt das häufig auch an den Mannschaften oder Zuschauern. Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, dass es in ländlichen Raum grundsätzlich etwas ruhiger zugeht als in Großstädten.
Es gibt Trainer, die im Austausch mit Schiedsrichtern fehlende Empathie und das oberlehrerhafte Auftreten beklagen.
Umgekehrt gibt es auch Schiedsrichter, die der Meinung sind, dass manchen Trainern die Empathie und manchmal auch der Anstand fehlen. Nur erklärt kein Schiri so etwas öffentlich, das ist bei den Trainern leider bisweilen anders. Generell gilt: Auch bei den Unparteiischen ist der eine etwas versierter als der andere, was die Kommunikation betrifft. Das ist auf den Fußballplätzen nicht anders als sonst im Leben. Was den Umgang miteinander angeht, ist ein respektvoller Umgang von beiden Seiten gefordert. Denn Empathie ist keine Einbahnstraße.
In der Vergangenheit hatten Schiedsrichter recht schnell die Nase voll und sich einer anderen Freizeitbeschäftigung zugewandt. Wie ist die aktuelle Lage?
Zum ersten Mal seit 20 Jahren haben zuletzt bundesweit mehr Schiedsrichter angefangen als aufgehört zu pfeifen. Die Zahlen steigen wieder, das ist erfreulich und hoffentlich eine Trendwende. Und es ist bitter nötig, denn je weniger Schiris es gibt, desto weniger Spiele werden von neutralen Referees geleitet. Zur jüngsten positiven Entwicklung hat die große DFB-Kampagne „Jahr der Schiris“ beigetragen, mit der die Unparteiischen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt worden sind. Dazu gehörten auch die Begleitung junger Schiris durch Bundesliga-Schiedsrichter bei einer Spielleitung und Neulingslehrgänge in den Räumlichkeiten von Profiklubs, beispielsweise in der Leverkusener BayArena.
Lassen Sie uns kurz die Szenerie wechseln: Nach einem internen Dokument der Schiedsrichter-Kommission der UEFA zufolge steht mit einigen Monaten Verspätung fest, dass Deutschland im EM-Viertelfinale gegen Spanien vom englischen Schiedsrichter Anthony Taylor (45) ein berechtigter Handelfmeter verwehrt wurde. Wie sagen Sie dazu?
Der spanische Spieler Cucurella hat seinen linken Arm zwar an den Körper zu ziehen versucht, aber damit auch in die Flugbahn des Balles bewegt. Im Moment des Handspiels war der Arm außerdem ein Stück vom Körper entfernt und Cucurella zum Ball geneigt. Das sind die Argumente für die Strafbarkeit dieses Handspiels, und die überwiegen letztlich. Deshalb: Ja, es hätte einen Strafstoß geben müssen.
Als Mitbegründer des Podcasts „Collinas Erben“ ist die Frage nach dem besten Schiedsrichter aller Zeiten eigentlich hinfällig.
Ja, das stimmt. Der Weltfußball hat über die Jahrzehnte eine Vielzahl ausgezeichneter Schiedsrichter hervorgebracht. Für mich persönlich ist Pierluigi Collina dennoch unerreicht.
Was zeichnete Collina, der von 1998 bis 2003 sechsmal in Folge zum Welt-Schiedsrichter gewählt wurde, aus?
Collina hat es auf eine besondere Art verstanden, mit Spielern umzugehen, und er genoss weltweit größte Wertschätzung. Er hat seine natürliche Autorität mit Empathie verknüpft, ohne dabei mit den Spielern zu fraternisieren. Seine Akzeptanz war riesig, er wirkte nahezu unantastbar. Collina war gewissermaßen der erste Pop-Star unter den Schiedsrichtern, er hat neue Maßstäbe gesetzt. Das macht ihn besonders.