Köln – Im anderen Gespräch dürfen Kölner Prominente sich das Thema aussuchen. Querbeat-Sänger Jojo Berger hat mit Kaja Hempel über Digital Detox (Digitale Entgiftung) gesprochen. Also über die Auszeit von digitalen Medien. Mit dieser Folge geht die diesjährige Serie zu Ende.
Warum haben Sie das Thema ausgesucht?
Jojo Berger: Ich habe es gewählt, weil uns das in der Phase, in der wir das Album geschrieben haben, sehr beschäftigt hat. Ich habe den Selbstversuch gemacht in der Zeit, in der wir nicht viel gespielt haben und präsent sein mussten. Ich wollte einen Monat durchhalten, aber am Ende sind es nur zehn Tage geworden.
Warum haben Sie aufgehört?
Weil man in einen Moment kommt – und das ist eigentlich super schade –, in dem man denkt, man würde etwas von der Welt verpassen. Man denkt, man wäre nicht mehr genug informiert. Es ist total krass, dass einem klar wird, wie sehr man Informationen nur digital konsumiert. Ich frage mich manchmal, wie sind die Leute früher darauf aufmerksam geworden, dass irgendwo ein Konzert stattfindet oder dass überhaupt irgendwo irgendetwas stattfindet.
Zur Person
Jojo Berger ist Sänger der 13-köpfigen Band Querbeat. Neben dem 36-Jährigen kennen sich sechs weitere Mitglieder noch aus der Schule. Ursprünglich kommt die Gruppe aus Bonn. Gemeinsam besuchten sie das Kardinal-Frings-Gymnasium. Gegründet wurde die Brass-Pop-Band im Jahr 2001. In den Kölner Karneval stieg Querbeat 2007 ein. „Nie mehr Fastelovend“ und „Da Plän“ sind kölsche Mega-Hits. Das neue Album „Radikal Positiv“ ist am 23. Juli erschienen. (khe)
Und warum wollten Sie es ausprobieren?
Wenn man immer swipet, scrollt, wischt und nachrecherchiert, dann gibt es irgendwann diesen Algorithmus, der dir sagt, was du zu mögen hast oder was dir gefallen könnte. Und das ist wirklich krass. Ein Beispiel: Wenn ich mir ein Trikot vom 1. FC Köln bestelle, dann wird mir vorgeschlagen, den Verein zu liken, und dann wird mir schon das nächste Video vom FC vorgeschlagen. Das sind noch harmlose Sachen, aber bei den ganzen Verschwörungstheorien ist das genauso. Du klickst einmal eine komische Seite an und dann hast du den ganzen Feed voll mit dem Thema. Da purzelt man immer eine Ebene tiefer. Mich hat der Gedanke verrückt gemacht, dass die Leute nicht mehr schaffen, daraus zu kommen und damit ihre eigene Wahrheit kreieren. Das ist auch ein Grund für politische Missstände, dass Leute wie Trump überhaupt erst an die Macht kommen. Die erste falsche Info verbreitet sich häufig so unfassbar schnell, dass man mit dem Widerlegen gar nicht hinterherkommt. Der Algorithmus macht am Ende ein Bild von einer falschen Wahrheit. Um daraus zu kommen und zu schauen, ob sich die Sachen verändern, die mir vorgeschlagen werden, wollte ich eine Pause machen.
Kunst und digitale Medien: Ist es möglich ohne sie auszukommen?
Ist es als Künstler heutzutage überhaupt möglich, ohne digitale Medien auszukommen?
Als Künstler ist man drauf angewiesen. Wir möchten nah am Zeitgeist sein und nichts verpassen. Das war auch der Grund, der mein Selbstexperiment beendet hat. Ich möchte kreativ sein, und ich schreibe über Menschen, Gesellschaft und das Verhalten untereinander. Ohne das Digitale war mir das einfach nicht genug. Danach hatte ich auch das Gefühl, ich muss etwas aufholen, Nachrichten beantworten und sogar die Entwicklung zurückzuverfolgen. In der Zeit, in der wir als Künstler nicht auf der Bühne stehen konnten, war es natürlich nochmal schwieriger, wenn man gar nicht mit den Fans kommunizieren kann. Da ist ein soziales Medium wie Instagram oder Facebook ein Geschenk für Künstler um stattzufinden.
Also wenn Sie nicht bekannt wären, meinen Sie, das hätte besser funktioniert?
Ich glaube schon. Vielleicht wäre auch schon eine andere Zeit im Jahr gut. Aber während wir ein Album gemacht haben, war es keine gute Idee. Obwohl ich mich in der Zeit ohne Handy gesünder gefühlt habe. Ich habe danach noch Studien über dieses weiß-blaue Licht gelesen. Dem Gehirn wird dadurch suggeriert, dass du noch wach bleiben musst. Das heißt, man fällt viel schlechter in den Schlaf. Und das habe ich auch gemerkt: Wenn ich nicht auf das Handy geguckt habe, bin ich stressfreier eingeschlafen. Ich hatte früher immer ein kleines Büchlein am Bett liegen und habe Song- oder Textideen noch aufgeschrieben, damit ich die nicht mit in den Schlaf nehme. Durch den Konsum von sozialen Medien sind es nicht mal meine eigenen Ideen, die mir durch den Kopf schwirren, sondern man verarbeitet die ganzen Informationen weiter. Ich glaube, das ist im Unterbewusstsein total der Stress. Es hat gut getan, den auf Ebbe zu stellen.
Ist es Ihnen schwer gefallen, das Handy überhaupt wegzulegen?
Es ist fast wie eine Sucht. Wenn ich morgens aufgestanden bin, war es wirklich ein Kampf, nicht auf das Handy zu gucken. Es tut wirklich weh. Ich habe gemerkt, dass mein Körper das will, und das hat mir noch mehr Angst gemacht. Ich habe gedacht, ich kann das mit meinem Kopf kontrollieren und sagen: Ich geh’ jetzt nicht ans Handy. Aber irgendwas in mir hat dieses Verlangen und sehnt sich nach dieser Info und auch nach dieser Routine. Es ist ganz viel in den Alltag übergegangen, und es gibt Apps, die einem die Bildschirmzeit zeigen. Das sind manchmal vier Stunden am Tag. Das muss man sich mal vorstellen. Vier Stunden von diesem Tag habe ich nur am Handy gehangen. Wie traurig das ist, was ich da an echtem Leben verpasst habe.
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Ihr habt auch genau darüber einen Song geschrieben.
Ich habe früher in einer WG gewohnt, und gegenüber wohnt immer noch der gleiche Mann, der sich morgens ans Fenster setzt und erst abends wieder das Fenster zu macht. Der kommentiert alles - und das ist ja eigentlich eine total krasse Parallele. Der guckt sich Sachen an, sieht streitende Pärchen, Menschen die aus dem Urlaub kommen, schöne und schlechte Karren. Er hört Nachrichten, die sich Leute erzählen, und gibt dann seine Kommentare ab wie: Bist du schon wieder hier. Genau das, was die Leute bei Facebook auch machen. Und wir haben gedacht: Eigentlich hat der Typ es verstanden, weil er nicht auf sein Handy guckt, sondern in die echte Welt. Der Refrain ist: Häng dich mit Tanqueray ans Fenster, das echte Leben ist schon längst da, und das ist dein Zurück.
Möchten Sie noch einmal eine digitale Auszeit nehmen?
Ja, ich möchte es ausprobieren. Das Heftige ist, man muss Vorkehrungen treffen. Ich muss bestimmten Personen sagen, dass ich dann offline bin, weil die sich sonst Sorgen machen. Aber wenn ich es nochmal mache, dann suche ich mir vielleicht die Weihnachtszeit aus, wo man eh bewusst runterschaltet. Und da habe ich auch das Gefühl, dass ich nichts verpasse, weil alle anderen machen ja auch nichts.
Aber tricksen Sie sich damit nicht selbst aus, wenn Sie das Handy nur dann weglegen, wenn Sie das Gefühl haben, eh nichts zu verpassen?
Das stimmt. Es entschärft natürlich die Intensität des Experiments. Aber ich scheine schon der Typ dafür zu sein, der eine größere Angst davor hat, etwas zu verpassen, als so vernünftig zu sein, das Handy wegzulegen.
Digital Detox bedeutet entgiften. Würden Sie sagen, soziale Medien sind Gift?
Ich glaube, ja. Es tut insofern nicht gut, weil Menschen sich vergleichen, aber nicht mit der Wahrheit. Ein 16-jähriges Mädchen sieht vielleicht andere Mädels bei Instagram und andere Schönheitsideale. Die sind dann vielleicht in Bali unter einem Wasserfall im perfekten Licht zu sehen, und mit einem Filter wird das Bild noch verschönert. Theoretisch weiß sie das, aber denkt vielleicht trotzdem: So schön werde ich nie im Leben sein. Und das vergiftet. Generell sind die Vergleiche giftig, weil sie die Wertschätzung für dich, was du bist und für das, was du gerade machst, abstufen. Aber ich habe auch Freunde, die weiter entfernt leben und da bekomme ich über die sozialen Medien mit, was die machen. Dafür finde ich die sozialen Medien toll. Heutzutage werden auch viele Künstlerinnen und Künstler online entdeckt. Dafür braucht man kein großes Musiklabel mehr. Das ist eine gewisse Freiheit. Über Facebook haben wir auch unseren ältesten Fan kennengelernt: Der kam aus den Niederlanden, hat uns angeschrieben und war mit 100 Jahren auf unserem Konzert. Dem haben wir einen Stuhl an die Bar gestellt.