Köln – Unvorstellbar: Da wird der Kölner Dom, die größte katholische Kathedrale nördlich der Alpen, am 15. Oktober 1880 mit einem großen Fest eröffnet, aber die katholischen Wortführer rufen dazu auf, den Feierlichkeiten fern zu bleiben. Irgendwie undankbar, könnte man meinen. Denn der Anteil der Preußen an der Vollendung des Doms ist nicht zu unterschätzen.
Vor allem gaben sie einen Großteil des Kapitals für das Projekt. Der Impuls für den Weiterbau kam hingegen von einem Kölner Gemäldesammler. Sulpiz Boisserée fand 1816 in Paris die noch fehlende Hälfte des mittelalterlichen Plans für die mächtige Westfassade mit ihren Türmen. Bereits zwei Jahre zuvor war in Darmstadt die andere Hälfte gefunden worden. Den Südturm zierte zu jener Zeit seit fast 300 Jahren ein mittelalterlicher Baukran – so lange war keine Maurerkelle geschwungen und kein Stein mehr behauen worden. Zwischenzeitlich hatten die Franzosen die Bauruine sogar kurz als Materiallager und Pferdestall genutzt. Erst die erneute Weihe 1801 führte den unvollendeten Dom wieder seiner ursprünglichen Bestimmung als Gotteshaus zu.
Lieblingsprojekt der Eliten
Neben den wiedergefundenen Plänen war zu Beginn des 19. Jahrhunderts aber auch die Romantik eine treibende Kraft: Mittelalterbegeisterung, die Betonung von Sehnsüchten, Mysterien und Geheimnissen spielten eine wichtige Rolle beim Vorhaben, ein breites öffentliches Interesse für den Weiterbau herzustellen. Das gelang derartig gut, dass 1841 die königliche Erlaubnis erging zur Gründung des überkonfessionellen und bürgerlichen Zentral-Dombau-Vereins.
Der Dom war ein Lieblingsprojekt der Eliten, aber auch die Bevölkerung begeisterte sich für die Vollendung der Kathedrale. Die Grundsteinlegung erfolgte bereits ein Jahr später im Beisein von König Friedrich Wilhelm IV., der als Jugendlicher Feuer und Flamme für den Dom gewesen sein soll. Er zeichnete ihn sogar – und verpflanzte ihn dabei im Rahmen künstlerischer Freiheit auf die Spree-Insel.
Nur, welches Interesse hatte der protestantische König, der auch Oberhaupt der evangelischen Kirche war, an der Fertigstellung einer katholischen Kathedrale? Trotz seiner jugendlichen Schwärmerei für den Dom und darin gefeierten Heiligen Messen waren für Friedrich Wilhelm IV. wie auch für seinen Nachfolger Wilhelm I. die Katholiken politisch lästig. Immerhin achteten sie im Papst eine nicht nationale Autorität. Sie waren zwar eine Minderheit im Reich, aber eben eine große, organisierte Minderheit, die ab 1870 mit dem Zentrum auch noch politische Schlagkraft über alle Gesellschaftsklassen hinweg entfaltete. Darum waren König und später Kaiser auch mehr an der Symbolkraft des Doms als National- und Kaiserdenkmal gelegen. Frankreich, mittlerweile Erbfeind genannt, überflügeln, das schmeckte den Hohenzollern. Die Vorstellung, die ebenfalls gotische Kathedrale Notre-Dame von Paris mit dem Kölner Dom in den Schatten zu stellen, mithin das größte Bauwerk der Welt zu errichten, das war die Kragenweite der Preußenherrscher.
Streit um Gestaltung und Dekor
Im Dombau-Verein trafen die unterschiedlichen Interessen direkt aufeinander. Propreußische Nationalliberale und ultramontane Papstanhänger schenkten sich nichts. Der Flügelkampf entzündete sich in der Auseinandersetzung um die Kaiserglocke, die aus französischen Beutegeschützen gegossen werden sollte. Die Bittschrift an den Kaiser, er möge ihnen die Beutegeschütze überlassen, unterschrieben noch beide Fraktionen. Um Gestaltung und Dekor brach ein heftiger Streit aus. Die Katholiken befürchteten allmählich, die Deutungshoheit über den Dom zu verlieren. Mit den in den 70er Jahren verabschiedeten Kulturkampfgesetzen Bismarcks und der Flucht des Kölner Erzbischofs Paulus Ludolf Kardinal Melchers vor einer erneuten Verhaftung ins Exil in die Niederlande, sah sich der katholische Teil im Dombau-Verein zusehends isoliert. So erklärt sich der Aufruf zum Fernbleiben bei der Eröffnungsfeier 1880.
Geschlagen gaben sich die Katholiken aber nicht, sie wandten sich vielmehr dem Mittel der Subversion zu. Sie nutzten die Domskulptur, um den Preußen ihr politisches Bekenntnis vorzuhalten. In der Figur des Athanasius blickt ihr Widerstand noch heute auf den Hauptbahnhof und ist eine Art steingewordene Auflehnung gegen Preußen. Athanasius wurde vom römischen Kaiser mehrmals verbannt. Für die Zeitgenossen hatte Athanasius noch eine aktuellere Bedeutung. 1838 hatte der Publizist Joseph Görres ein Buch gleichen Namens geschrieben, das rasch zu einem politischen Bestseller avancierte. Görres wendete sich darin scharf gegen fürstliche Allmachtsvorstellungen und Willkür und trat kompromisslos für die Freiheit der Kirche ein. Die Platzierung am Nordportal, direkt gegenüber des Bahnhofs, war kein Zufall. Preußische Reisende wurden so von einer Art steingewordener Protestnote begrüßt – so wie der Kaiser bei Domeröffnung 1880.