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Stadtarchiv-EinsturzWie kommt die Stadt auf 600 Millionen Euro als Vergleichssumme?

Lesezeit 4 Minuten
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Die Einsturzstelle des historischen Stadtarchivs am Waidmarkt.

  1. Die Stadt Köln und die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) haben am Dienstag die Pläne präsentiert, wie es nach dem Vergleich der Stadt mit der Arbeitsgemeinschaft (Arge) Los-Süd am Waidmarkt weitergeht.
  2. Die Arge hat für die Stadt die Nord-Süd-U-Bahn gebaut, bis am 3. März 2009 das Historische Archiv während des Baus einstürzte.
  3. Die Stadt verklagte die Arge-Baufirmen auf 1,07 Milliarden Euro, hat sich nun auf einen Vergleich über 600 Millionen Euro eingelassen, damit der Bau weitergeht.
  4. Die Fragen und Antworten.

Wann fährt endlich die neue U-Bahn?Die KVB-Vorsitzende Stefanie Haaks sagte: „Wir können jetzt wieder davon ausgehen, dass ein Ziel, 2027/2028 wieder in Betrieb gehen zu können, in greifbare Nähe kommt. Hätten wir den Vergleich nicht abgeschlossen, hätte es sicher zu einer größeren Verzögerung geführt.“ Noch sind das keine fixen Termine, eine Zeitachse will die KVB in den nächsten Monaten präsentieren. Zur Erinnerung: Die ersten Bauarbeiten für den Tunnel zur Nord-Süd-Stadtbahn fanden im Januar 2004 statt, fahren sollte die Bahn 2011. Im Optimalfall ist die U-Bahn Stand jetzt 16 Jahre später als geplant fertig.

Wann geht es auf der Baustelle weiter?

Das dauert noch, weil die Baugrube zunächst saniert werden muss, also der Zustand vor dem 3. März 2009 hergestellt werden muss. Dafür muss der Beton aufwendig entfernt werden, mit dem damals die Grube gesichert wurde. Aktuell liegen die Pläne dafür bei der Bezirksregierung Köln, sie muss sie zunächst noch genehmigen. Die Stadt erwartet ein Ergebnis für das dritte Quartal 2020, das beginnt heute und dauert noch bis zum 30. September.

Und was ist mit dem Gutachter?

Das Landgericht hatte im Beweissicherungsverfahren Prof. Hans-Georg Kempfert als Gutachter eingesetzt, er sollte ermitteln, warum das Archiv eingestürzt ist. Kempfert war bis zuletzt mehrere Jahre in der Grube im Einsatz, das ist jetzt vorbei. Durch den Vergleich braucht es kein Gerichtsverfahren mehr und keine Ursachensuche.

Warum gibt es gerade jetzt den Vergleich?

Stadtdirektor Stephan Keller sagte: „Wir haben von städtischer Seite sehr bewusst den Ausgang der Strafverfahren abgewartet, bevor wir in die Klärung der zivilrechtlichen Auseinandersetzung eingestiegen sind. Es war wichtig zu klären, wer für den Einsturz verantwortlich ist.“ Wie berichtet, hat das Landgericht in einem gesonderten Strafverfahren geklärt, wer sich beim Archiv-Einsturz strafbar gemacht hatte. Der Richter hatte 2018 einen KVB-Bauüberwacher zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt, 2019 folgte eine einjährige Gefängnisstrafe auf Bewährung für einen Oberbauleiter. Er arbeitete für die Arge. In beiden Fällen liegt eine Revision beim Bundesgerichtshof vor, die Urteile sind also nicht rechtskräftig, trotzdem wollte die Stadt das Verfahren um den Schadenersatz beenden.

Wie kommt man auf 600 Millionen Euro?

Durch eine Kompromissrechnung anhand zweier Quoten, erstens: Die Haftung dem Grunde nach, also ob die Arge überhaupt verantwortlich ist. Und zweitens: Die Haftung der Höhe nach, also wie viel Wert durch den Einsturz beschädigt wurde und wie viel zu erstatten ist. Im ersten Punkt übernimmt die Arge 80 Prozent der Haftung, im zweiten 50 Prozent der Schadenshöhe. Die Summe errechnet sich wie folgt: 1,07 Milliarden Euro zuzüglich Zinsen hatte die Stadt von der Arge gefordert.

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Bislang hat die Stadt Köln 150 Millionen Euro am Waidmarkt schon ausgegeben, sie sind laut Stadt beidseitig anerkannt und werden deshalb zunächst von den 1,07 Milliarden Euro abgezogen. 927 Millionen Euro sind demnach der Ausgangswert, 50 Prozent davon sind 463,5 Millionen Euro (Haftung der Höhe). Nun schlägt man die 150 Millionen Euro wieder drauf und hat 613,5 Millionen Euro. Legt man die 80-Prozent-Quote an (Haftung dem Grunde), bleiben 490 Millionen Euro. Darauf kommen 110 Millionen Euro Zinsen, das macht 600 Millionen Euro.

Warum stimmt die Stadt dem Vergleich zu?

Weil der tatsächliche Wert der Archivalien unklar ist. Ein Gutachter hatte die Restaurierungskosten zwischen 517 und 660 Millionen Euro verortet. Die Arge hat laut Stadt den Verkehrswert der Archivalien vor dem Einsturz nur mit 75 Millionen bewertet. Vor Gericht hätte das für die Stadt schlecht ausgehen können, Stadtdirektor Keller nannte als Beispiel einen Bildband aus dem Archiv namens „Schöne Städte in Europa“. Der Gutachter hatte ihn mit einem vierstelligen Betrag eingeschätzt. Doch der Bildband ist laut Keller im Handel für acht Euro erhältlich. Hätte ein Gericht den vierstelligen Wert oder die acht Euro angesetzt, wenn es um die Schadenssumme gegangen wäre? Das Beispiel zeigedie Risiken eines Prozesses für die Stadt.

Was sagen die Baufirmen zu dem Vergleich?

Zur Arge Los-Süd zählen Bilfinger SE, Wayss & Freytag Ingenieurbau AG und Ed. Züblin AG, jeweils 200 Millionen Euro übernehmen die Versicherungen der Unternehmen. Die Arge besteht darauf, dass die Schadensursache weiter unklar ist. Sie teilt mit: „Daher gilt bei diesem technisch höchst komplexen Thema für die Arge nach wie vor, dass die Ursache nicht abschließend geklärt ist.“ Zusätzlich zu den 600 Millionen Euro müssen sie auf eigene Kosten die U-Bahn fertig bauen, inklusive eines Kulturraumes. Wie lange das dauert und wie viel es kostet, konnte ein Sprecher nicht sagen.

Was ist mit der Sanierung der Severinstraße?

Der Deckel auf der Baugrube, der die Straße trägt, ist marode. Der Austausch soll rund zwölf Monate dauern, die Straße komplett gesperrt werden. Die Arbeiten sollten im April beginnen, laut KVB fehlt eine statische Prüfung. Wann es losgeht, ist unklar.