Rundschau-Serie „Spurensuche“Auf den Spuren von Schriftstellerin Anna Seghers in Köln
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Wo hat Romy Schneider Rotwein getrunken? Wie erlebte Heinrich Böll die Stadt nach 1945? In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Kölner Zeit vor, Orte ohne Gedenktafeln.
Anselm Weyer widmet sich der Schriftstellerin Anna Seghers.
Köln – „Wir fanden Lehrer, Gelehrte“, erzählt die Schriftstellerin Anna Seghers über ihre Zeit am Museum für ostasiatische Kunst in Köln, „die leidenschaftlich die Selbstständigkeit der Kunst Chinas verteidigten. Sie stritten mit Kunsthistorikern, die in der Antike Europas den einzigen Ursprung künstlerischer Gestaltungskraft erblickten.“ Durch das gesamte weitere Werk von Anna Seghers zog sich dann auch der Versuch, sich vom eurozentrischen und kolonialen Blick zu lösen und sich einen unverstellten Blick auf die Menschen zu bewahren.
Fasziniert von der ostasiatischen Kunst
Geboren wurde Anna Seghers als Netty Reiling 1900 in Mainz, wo sie auch ihr Abitur machte. Anschließend begann sie in Heidelberg neben Geschichte und Sinologie vor allem Kunstgeschichte zu studieren. Eine nahe liegende Wahl, war doch ihr Vater Isidor Reiling der angesehene Kunst- und Antiquitätenhändler, der sich durchaus vorstellen konnte, dass sein einziges Kind sein Geschäft einmal weiterführte. Besonders fasziniert jedoch zeigt sich seine Tochter nicht von der europäischen, sondern von ostasiatischer Kunst. Also zog es sie nach Köln.
Hier nämlich, an der heutigen Adolf-Fischer-Straße, Ecke Gereonswall, war im Oktober 1913 ein Museum eigens für Ostasiatische Kunst eröffnet worden. Nicht nur das. Die von Adolf Fischer gesammelten Exponate aus China, Korea und Japan wurden nicht als künstlerisch minderwertige Kuriositäten ausgestellt, sondern als westlichen Artefakten gleichrangige Kunstwerke.
Also wechselte Netty Reiling 1921, unterstützt und bestärkt von ihren Eltern, an die erst zwei Jahre zuvor neu gegründete Universität zu Köln, damals noch am Claudiusplatz in der Südstadt, obwohl doch ihr Studienfach, die Kunstgeschichte, hier noch gar nicht angeboten wurde. Nachweisbar ist, dass sie sich am 4. November 1921 für das Studienfach Philosophie einschrieb und 63 Mark für den Besuch von vier Veranstaltungen zu bezahlen hatte. Ein übersichtliches universitäres Programm. Vor allem aber konzentrierte sie sich auf ihr Praktikum am Museum für ostasiatische Kunst, das sie wohl mit Hilfe ihres Vaters ergattert hatte. Es sollte eine prägende Erfahrung für sie werden.
Zeit in Köln erweiterte den Blick auf die Kunst
„Während meiner Arbeit am ostasiatischen Institut kam ich in einen Kreis junger Leute, mit denen ich mich eng befreundete“, verriet Seghers in einem Interview aus den 1970er Jahren. Darunter waren Karl With und seine Ehefrau Irene, mit der Seghers eine lebenslange Freundschaft verbinden würde. Zwar verließ Netty Reiling Köln schon im Sommer 1922 wieder, um zurück nach Heidelberg zu gehen, wo sie sich wieder, wie es die Universitätswissenschaft verlangte, verstärkt der europäischen Kunst widmete. 1924 sollte sie über Jude im Judentum im Werke Rembrandts promovieren. Ihrer Zeit in Köln aber sei es zu verdanken, so sollte Anna Seghers später verkünden, dass sich ihre Sicht auf die Kunst geweitet hatte. „Meiner Freundschaft mit diesem Kreis verdanke ich, dass ich heute noch viel und gern über verschiedene Kunstepochen lese und die Kunst besonders liebe, die man fälschlich primitiv nennt“.
Netty Reiling besuchte Köln noch mehrmals. Dann jedoch kam der Nationalsozialismus. Die junge Schriftstellerin, die sich inzwischen das Pseudonym Anna Seghers zugelegt hatte, wurde als Kommunistin und Jüdin von der Gestapo verhaftet. Ihre Bücher wurden verboten und verbrannt. Also floh sie zusammen mit ihrem Mann, dem gleichfalls aus einer jüdischen Familie stammenden László Radványi, und ihren beiden Kindern aus Deutschland, über die Schweiz nach Paris und von dort nach Mexiko.
Bestürzt über die Geschichte Kölns im 2. Weltkrieg
Ihren ehemaligen Studienort jedoch verlor sie nicht aus dem Blick. Auch als der gesamte Atlantische Ozean zwischen ihr und ihrer Heimat lag, nahm sie erschüttert zur Kenntnis, wie die Metropole am Rhein während des Zweiten Weltkriegs fast dem Erdboden gleichgemacht wurde. „Die Stadt Köln, auf die in der Nacht zum 1. Juni 1942 Flugzeuge der Royal Air Force ihre Brandbomben geworfen haben, war seit mehr als zweitausend Jahren das große westliche Zentrum deutscher Geschichte“, klagt sie in ihrem 1942 veröffentlichten Aufsatz Köln. Die stolze Kölner Geschichte setzt sie hier in Kontrast mit der Gegenwart: „Nicht so berühmt wie sein Dom, doch noch erhabener in ihrer alten Zeugenschaft, in ihrer einfachen kühnen Planung, standen St. Gereon mit den Mosaiken und St. Maria im Kapitol mit den geschnitzten Holztüren. Sie standen. Denn in der Nacht auf den 1. Juni ist auch St. Maria im Kapitol, die auf dem einstigen römischen Markt- und Ratsplatz gegründete, in Flammen aufgegangen.“ Seghers konnte hier nur den Kopf schütteln. Sie erinnerte sich, wie die Menschen „am Tag nach dem Rathenau-Mord“, den sie ja selbst in Köln erlebte hatte, „das andere Gesicht der Stadt“ gesehen hatten, als Köln nämlich „nächst Berlin die mächtigste, die wuchtigste Demonstration des Reiches stellte“. Leider verrät sie nicht, ob sie selbst bei den Demonstrationen dabei war, am Neumarkt am 27. Juni 1922 und eine Woche später, am 4. Juli 1923, auf dem Sportplatz am Aachener Tor, doch wäre das doch sehr naheliegend.
Die Kölner Arbeiter, so schreibt Seghers, seien von den Kapitalisten verraten worden. „Hitler fand Geldgeber unter der rheinischen Industrie.“ Und Seghers erinnert an Kölner Widerstandskämpfer wie den Kommunisten Josef Engel, der hingerichtet worden und in Köln beerdigt worden war. „Jetzt liegt auch dieses Grab unter den Trümmern“, klagt Seghers. „Wir aber denken mit Trauer und Achtung, dass eine jede deutsche Stadt, auf die jetzt Bomben fallen, solche Art Gräber enthält, Gräber von Männern, die die ersten Gefallenen waren im Krieg gegen den Faschismus, die schon, als die Welt noch allzu geneigt war, Frieden mit Hitler zu machen, ihren Guerillakampf führten.“
Im Exil publizierte Seghers dann 1942 mit Das siebte Kreuz 1942 ein Werk, das nicht nur ein international gefeiert Bestseller wurde, sondern auch in die Weltliteratur eingegangen ist.
Nach dem Krieg kehrte sie nach Deutschland zurück – in den östlichen Teil. Als Vorsitzende des Schriftstellerverbands wurde sie zu einer der Hauptrepräsentanten der DDR-Literatur und gab nicht nur wegen ihrer Veröffentlichungen Anlass zu vielerlei Diskussionen, sondern auch, wenn sie öffentlich schwieg – etwa als ihr Verleger Walter Janka wegen angeblicher „konterrevolutionärer Verschwörung“ vor Gericht stand. Sie starb am 1. Juni 1983 in Ost-Berlin.
Anselm Weyerist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigt sich vielfältig mit der Kölner Stadtgeschichte.