Die Zeiten sind hart, und ein Ende der Krise nicht absehbar. Wie behauptet sich da der Karneval? Köln kann den großen Auftritt aber auch mit einfachen Mitteln.
Rosenmontag in KölnWie sich der Kölner Karneval in harten Zeiten behauptet
Improvisationstheater ist nicht vorgesehen an diesem verregneten Vormittag im Februar. Aus unzähligen Kisten befüllt Laurenz Leky, Schauspieler und Leiter des Kölner Bauturm-Theaters, weiße Plastiktüten mit Weingummi und Schokolade. „Es gibt klare Regeln, das ist Präzisionsarbeit, ähnlich wie am Fließband“, sagt Leky leicht bewundernd. Das Orangerie-Theater in der Südstadt hat sich in eine Lagerhalle verwandelt, auf dem nackten Betonboden stapeln sich Kartons. Zwei Transporterladungen. Insgesamt zwei Tonnen Wurfmaterial. Süße Grüße der Kölner Theaterszene.
Beim Rosenmontagszug wird der Verein darstellender Künste (VdK) mit einer eigenen Fußgruppe vertreten sein, 60 Personen, sogar eine Bläsergruppe haben die Künstlerinnen und Künstlern aus den eigenen Reihen formiert. Mit dem Sessionsmotto „Wat e Theater - Wat e Jeckespill“ hat das Festkomitee in Köln die karnevalistischen Scheinwerfer auf die kleinen und großen Bühnen der Stadt gerichtet, die zum Teil stark unter den Schließungen während der Corona-Pandemie gelitten hatten. Doch das Motto ist zugleich als leicht fassungsloses Kopfschütteln über die Zustände in der Welt zu verstehen. Der Rosenmontagszug wird zur sieben Kilometer langen Bühne für die Bühnen dieser Stadt. „Das wird die größte Performance der Welt. Wir werden mehrere Stunden lang bejubelt und von Zehntausenden Menschen angebrüllt“, meint Leky. Und er freut sich.
Gelder aus dem Sonderfonds
Ähnlich wie die Kulturbetriebe durfte auch der Karneval während der Krise von Geldern aus dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen profitieren. Wer die Scheinwerfer rumdreht und auf den Karneval richtet, stellt fest, dass vor allem viele kleinere Vereine mit den Folgen der Krise kämpfen. Meist Vereine mit hoher Altersstruktur und geringer Mitgliederzahl. „Teilweise sind die Säle nicht gut gefüllt, das macht mir Sorgen“, sagt Heinz-Günther Hunold, scheidender Präsident der Roten Funken im Rundschau-Interview. „Wir müssen schwer aufpassen. Am Karneval hängt ein ganzer Kosmos.“
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Nach dem Miniatur-Puppenzug während der Pandemie, einem spontan zur größten Friedenskundgebung des Landes umfunktionierten Rosenmontagszug 2022 und dem Kraftakt des Karnevalsjubiläums im vergangenen Jahr herrscht allenthalben Sehnsucht nach Normalität. „Es hat eine Biedermeier-Stimmung eingesetzt. Die Menschen agieren nicht mehr so expansiv, sondern abwartender. Wir erleben eine Art Selbstbesinnung, die von der Frage dominiert wird: Was brauche ich noch?“, sagt der Buchautor und Psychologe Wolfgang Oelsner. Mit dem Begriff der Normalität tut sich Manuel Moser, Vorstand des Vereins darstellender Künste schwer. „Normalität gibt es im Theater nicht. Unsere Aufgabe ist das Verbreiten von Optimismus.“
Die Zurückhaltung vieler Menschen ließ sich zuletzt an Umsatzeinbußen in der Möbelbranche ablesen oder am veränderten Reiseverhalten. Urlaube in Deutschland gewinnen an Beliebtheit, Sparsamkeit dominiert viele Lebensentscheidungen. Das Kölner Festkomitee hatte das vorige Geschäftsjahr mit einem Minus von rund 370 000 Euro abgeschlossen, Corona-Hilfen mussten zurückgezahlt werden, auch das Jubiläumsjahr schlug mit Sonderausgaben zu Buche. Umso größer war die Freude über die Verlängerung der Fernsehverträge mit ARD und ZDF, die auch weiterhin die Proklamation des Dreigestirns, Rosenmontagszug und Sitzungen ausstrahlen werden. Vor der Pandemie hatte das Festkomitee einen Rekordgewinn präsentiert.
Fast schon erleichtert gestand Zugleiter Holger Kirsch bei der Vorstellung der Persiflagewagen, „noch nie so entspannt“ vor einem Rosenmontagszug gewesen zu sein. Trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen und dem alljährlichen Kunststück etwa 12 000 Zugteilnehmende durch ein sieben Kilometer langes Spalier Hunderttausender Jecker zu schleusen. Als der Zug im Vorjahr im Rechtsrheinischen startete und über die Deutzer Brücke zog, verwandelten Altstadt-Panorama und Dom zur großstädtischen Kulisse des jecken Höhepunkts. Der Anflug von Weltstädtigkeit wird nun gegen das vertraute Veedels-Flair getauscht. „Das ist gut so, denn der Karneval ist für uns im Rheinland ein wichtiges Ritual zur Selbstvergewisserung, ob das Vertraute noch funktioniert“, erklärt Oelsner.
Nirgendwo sonst manifestiert sich das Zelebrieren des Kleinen und der gleichzeitige Wunsch nach Größe in diesem Rosenomntagszug so wie im Hänneschen-Theater. Die städtischen Puppenspiele feiern 222-jähriges Bestehen, Knollendorf ist zur Heimat unterschiedlichster Charaktere geworden. Zum Jubiläum hat Künstler Werner Blum aus den Holzpuppen Großfiguren von 4,50 Metern Höhe zur Seite wachsen lassen. Und Zugleiter Kirsch träumt von mechanischer Aufrüstung einiger Wagen, um die Figuren künftig mit drehbaren Köpfen und Extremitäten ausstatten zu können. Der Karneval soll beweglich bleiben.
Die Bühnen im Rosenmontagszug
1914 waren die Theater schon einmal Thema im Kölner Rosenmontagszug.Damals noch nicht im Sessionsmotto, denn dieses war der „Weltausstellung“ gewidmet. Ein Persiflagewagen trug damals den Titel: „Theater einst und heute“. Zu sehen war auf dem Wagen ein großes Kinoportal, denn die Lichtspielhäuser gewannen zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Die Verhöhnung des Theaters war erst auf der Rückseite des Wagens zu erkennen. Gezeigt wurde ein Schauspielhaus mit leeren Rängen und der spöttische Hinweis „Alle Billets noch zu haben“. Zugleich bettelt der Theaterdirektor Passanten um Geld an. Die Aquarellzeichnungen des Wagens gehören heute zum Fundus des Kölnischen Stadtmuseums.
Die Medienwissenschaftlerin Dr. Friederike Grimm hat sich ausführlich mit der Theater-Persiflage im Zug vor 110 Jahren befasst. „Die Theaterkrise war mitnichten durch das aufstrebende Kino ausgelöst worden: Die Sujetauswahl der Theater ein weltfremder bildungsbeflissener Spielplan — war mit verantwortlich für den ausbleibenden Erfolg, wie der Karnmevalswagen unterhaltsam verdeutlicht“, meint Grimm.
Hintergrund der Theater-Krise sei zugleich ein Umbruch in der Kinolandschaft. Die Filmbranche habe zunehmend auf Stoffe, Schauspielerinnen Schauspieler und Autoren des klassischen Sprechtheaters zurückgegriffen. Das Kino habe damals eine neue Zielgruppe angesprochen, nämlich das Theaterpublikum. Zugleich habe das Sprechtheater unter den strengen Auflagen der Gewerbeordnung gelitten und Besucherrückgänge verzeichnet. (tho)