30 Jahre nach dem Konzert auf dem Chlodwigplatz ruft die Künstlerinitiative „Arsch Huh“ in der Kölner Lanxess-Arena zu Solidarität und Wachsamkeit gegen rechte Gewalt auf.
Lanxess-Arena„Arsch Huh“ sendet starkes Zeichen gegen Hass und Hetze
Der Sängerin Sogand, die extra für diesen Auftritt aus dem Iran angereist ist, stehen die Tränen in den Augen. „Lasst die Träume der Menschen im Iran nicht platzen“, sagt sie.
Was können wir in Köln tun, um den Menschen im Iran zu helfen, die für ihre Menschenrechte eintreten und dafür ihr Leben riskieren, fragt der Autor Navid Kermani und liefert die Antwort direkt hinterher. „Wir müssen die Aufmerksamkeit hochhalten. Die Menschen im Iran dürfen nicht aus den Schlagzeilen verschwinden.“
Zum iranischen Protestsong „Baraye“ strecken viele Besucher iranische Flaggen in die Höhe, Handylichter und Feuerzeuge verwandeln die Lanxess-Arena ein Lichtermeer. Ein emotionaler Moment der Solidarität.
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Von diesen besonderen Momenten folgen an diesem Abend viele. Mit gut 17 000 Zuschauern kommt die Kundgebung in der Arena nicht ganz an die geschätzt 100 000 Menschen auf dem Chlodwigplatz heran, die damals gemeinsam unter dem Titel „Arsch Huh“ erstmals ein Zeichen gegen Rassismus und rechte Gewalt setzten.
Arsch Huh: Alte Botschaft, neue Schauplätze
Doch was zählt, ist auch 30 Jahre später nicht der Ort oder die Zahl der Menschen vor der Bühne. Es ist die Botschaft. Und die ist die gleiche wie vor drei Jahrzehnten – auch wenn seitdem neben dem, was vor der eigenen Haustür passiert, weltweit viele Schauplätze dazu gekommen sind, bei denen es sich lohnt, auch aus der Ferne Stellung zu beziehen. Der Krieg in der Ukraine ist so ein Schauplatz, oder eben das menschenverachtende Vorgehen des Regimes im Iran.
„Einer för all“ von den Beer Bitches ist ein sehr persönlicher Song über eine ukrainische Familie. „Ich habe mir vorgenommen, nicht wegzuschauen. Nur wenn wir unser Mitgefühl kultivieren, können wir unsere Menschlichkeit bewahren“, sagt Anke Schweizer, eine der Mitinitiatoren von 1992. Sie singt in „Treibgut“ über Flüchtlingskinder, auf die niemand wartet, der sie liebt.
Ludwig Sebus' beeindruckende Rede in der Lanxess-Arena
Frenetischer Jubel brandet auf, als Wolfgang Niedecken auf dem Videowürfel der Lanxess-Arena erscheint. Zugeschaltet aus Leipzig spielt er mit Niedeckens BAP den Titel, der seit 30 Jahren als Leitmotiv für die Künstlerinitiative steht: „Arsch huh – Zäng ussenander“. Sein Appell – „Bleibt wachsam“ geht auch danach fast unter im Applaus. Noch mehr bringt Ludwig Sebus die Arena mit seiner beeindruckenden Rede zum Beben. Sein Aufruf: „Lasst uns immer bewusst sein, dass es die Freiheit ist, die wir niemals aufgeben dürfen. Nichts ist wichtiger als die Freiheit.“
Das Publikum ist bunt durchmischt. Da sind solche dabei, die den 9. November 1992 aus nächster Nähe miterlebt haben. Viele von ihnen haben ihre Kinder im Schlepptau, die die Geschichten von damals nur aus Erzählungen kennen. Diejenigen, die sich dieses Mal in die ersten Reihen am Bühnenrand drängeln, sind eher jüngere Besucher.
Verantwortlich dafür sind ganz offensichtlich Bands wie Cat Ballou, Querbeat oder Miljö, die der Botschaft der Initiative eine jüngere Stimme verleihen und Themen wie Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit noch einmal auf eine ganz andere Weise erzählen. „Mol di Veedel bunt“, klingt das etwa bei Miljö. Oder Eldorado, die im mitreißenden „Minsche“ singen: „Bes du Mann oder och Frau, vielleicht weisst du't nit jenau, Liebe es wat du druss määhs.“
Ansonsten ist der Abend eng getaktet. Die 37 Programmpunkte in rund viereinhalb Stunden klingen auf den ersten Blick nach Festival. Stimmungsmäßig passt der Vergleich aber nur in Teilen. Die Grundstimmung ist gelöst, vereinzelt - erst weniger, später mehr - tanzen die Menschen. Andere sitzen eher nachdenklich auf ihren Plätzen. Bewegend ist die Kundgebung wohl für alle - auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
Das Themenspektrum ist breit. Autor Frank Schätzing hat es mit seiner humorigen Klima-Rede fast ein bisschen schwer, die Zuschauer direkt nach dem emotionalen Blick in den Iran zu erreichen. Die Arsch-Huh-Band um Ex-Hohn Hannes Schöner widmet sich in „Alles verlore“ Armut und Obdachlosigkeit, Querbeat thematisiert laut und eingängig Verschwörungstheoretiker, die am Ende "Allein" sein werden.
Als die Bläck Fööss sich um Punkt 23 Uhr fragen, ob es "E Levve donoh" - ein Leben nach Hass und Sorgen - gibt, haben sich die Reihen in der Arena bereits gelichtet. Für viele dauert der XXL-Kundgebung einfach zu lange.
Gänsehaut-Momente in der Lanxess-Arena
Wer gegangen ist, verpasst weitere Gänsehaut-Höhepunkte. "Wann Jeiht D'r Himmel Widder Op" von den Höhnern etwa, das auch schon 1992 schon Teil von "Arsch Huh" war. Oder Brings, die die Arena mit "Liebe gewinnt" in ein Lichtermeer verwandeln.
Auch der Mann, der den ersten Stein der Bewegung 1992 angestoßen hatte, steht zu später Stunde noch auf der Bühne: der kölsch-türkische Musiker Nedim Hazar. Den Titel "Quotentürke" rappt er gemeinsam mit seinem Sohn Eko Fresh, der im Anschluss zusammen mit Kasalla die "Jrönen Papajeie" der Stadt besingt.
Drohung gegen Planschemalöör-Sänger Juri Rother
Was Juri Rother, Frontmann der Band Planschemalöör, dann kurz vor Mitternacht erzählt, zeigt, warum die Künstlerinitiative heute genau wie vor 30 Jahren nötig ist. Vor wenigen Tagen hing an seiner Tür ein Zettel. Darauf wird er von Unbekannten als „Zigeuner“ beschimpft. Und weiter: „Wir kennen deine Termine. Wir kriegen dich.“ Als Symbol des Zusammenhalts stellen sich alle Künstler der Kundgebung auf der Bühne hinter Rother und seine Band.
Auch wegen Vorfällen wie diesen - im wahrsten Sinne vor der eigenen Haustür - ist die "Arsch Huh"-Veranstaltung wie vor 30 Jahren nicht nur ein bloßes Statement. Sie ist vor allem auch eine Aufforderung an jeden einzelnen, sich einzubringen, die Stimme gegen Hass und rechte Gewalt zu erheben – und ganz deutlich ausgedrückt: den Arsch hochzukriegen.
Denn das, was Wolfgang Niedecken bereits 1992 nach seinem Erlebnis mit dem Blaumann beim Bäcker textete, trifft auch 30 Jahre später noch genauso zu: „Wenn mir dä Arsch nit huh krieje, ess et eines Daachs zu spät.“