Weltweit gibt es über eine halbe Million Profi-Fußballer. Nur sieben aktive Profis haben sich bisher als homosexuell geoutet.
Kölner ProduzentNeuer Film „Das letzte Tabu“ - wo sind die schwulen Fußballer?
Homosexuelle Politiker? Sind nichts Besonderes mehr, ebenso wie die meisten öffentlichen Personen, die sich als schwul oder lesbisch outen. Im 21. Jahrhundert scheinen sich Liberalität und Weltoffenheit – zumindest in der westlichen Welt – endlich durchgesetzt zu haben. Es gibt allerdings Bereiche, in denen Homophobie immer noch völlig normal ist, und dazu gehört das Massenphänomen Fußball.
Über dieses Problem berichtet ein neuer Dokumentarfilm, der seit Dienstag beim Streaming-Anbieter Amazon Prime zu sehen ist: „Das letzte Tabu“ beschreibt die immer noch vorhandene Unsichtbarkeit von schwulen Fußballprofis in Deutschland und der Welt. Angesichts von über 1000 professionellen Kickern im Land ist es merkwürdig, dass sich immer noch keiner geoutet hat. Weltweit gibt es sogar über 500.000 Profifußballer, und gerade einmal sieben aktive Profis haben sich bis heute als homosexuell geoutet. Angesichts von bis zu 10 Prozent homosexuell lebenden Menschen in unserer Gesellschaft erscheint es eher wahrscheinlich, dass hier Zehntausende ihre sexuelle Identität vor der Öffentlichkeit verstecken.
Das Problem ist laut der sehenswerten Dokumentation nicht die moderne Gesellschaft, sondern die rückwärtsgewandt denkende Welt des Fußballs, wo Geld, falsche Männlichkeitsideale oder Angst vor dem Versagen immer noch dominieren. Überall, wo die Massen im Spiel sind und Männlichkeitswahn existiert, wird es für Minderheiten kritisch. „Fußball ist eine archaische Sportart, hier wird alles, was nicht männlich oder aggressiv zu sein scheint, ausgegrenzt oder als feminin und weich gesehen“, sagt die Sportwissenschaftlerin Tanja Walther-Ahrens in der Dokumentation, und sie hat recht. Noch immer hört man täglich in Kabinen, auf den Tribünen oder in den Hobbymannschaften Deutschlands homophobe Sprüche oder Witze. Kaum einer der Kicker ist sich darüber im Klaren, was das regelmäßige Ausgrenzen von Minderheiten in den Köpfen der Nicht-Heterosexuellen bewirken kann.
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Die Konsequenzen der Ausgrenzung
„Das letzte Tabu“ macht die Konsequenzen des Ausgrenzens von Schwulen in der Fußballwelt mehr als deutlich: Mit viel Tiefgang werden die Biografien von verschiedenen homosexuellen Fußballern dargestellt, insbesondere die berührende Lebensgeschichte von Justin Fashanu, der sich 1998 aufgrund des riesigen öffentlichen Drucks das Leben nahm. Zudem wird die Situation in Deutschland genau beleuchtet: Die Geschichte von Thomas Hitzlsperger, der sich kurz nach seiner Karriere als homosexuell outete, ist hinlänglich bekannt – dennoch ist es sehr interessant zu verfolgen, wie sich Journalisten (Rolf Töpperwien), Spieler (Per Mertesacker), Schiedsrichter (Babak Rafati) oder Kulturwissenschaftlerinnen (Tatjana Eggeling) zur Situation von Minderheiten und Homosexuellen äußern. Interessant: Rafati spricht von drei oder vier Spielern in jedem Bundesliga-Kader, die schwul seien. Am schlimmsten seien Angst und psychischer Druck, welche die Profis davon abhielten, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Hier entwickelt die Doku ihre besondere Stärke: Es geht weniger um Homosexualität als großes Fragezeichen im Fußballsport, als noch mehr um die psychische Belastung von Menschen im Profifußball, egal aus welchem Grund. Rafati selbst hatte unter großem Druck zu leiden – als Schiedsrichter war er ebenso öffentlicher Scham und Versagensängsten ausgesetzt, so dass er sich 2011 fast das Leben nahm. Ex-Nationalspieler Per Mertesacker bezieht klar Position: „Ich glaube, der Fußball hat noch nicht begriffen, was wirklich wichtig ist und wie man eine Persönlichkeit schützen kann. Der Fokus im Fußball ist immer nur auf den Spielern, und fast nie auf dem Menschen.“
Homophobe Stimmung in vielen Stadien
Die zahlreichen Interviews und Perspektiven sorgen für eine rundum vielschichtige Dokumentation von Leopold Hoesch und Manfred Oldenburg, welche die Normalität der Vielfalt auch in der Männerdomäne Fußball zeigt. Die homophobe Atmosphäre, die vor allem in den vergangenen Jahrzehnten in den Stadien herrschte, lähmte viele Spieler und machte sie psychisch kaputt. „Ich konnte nicht mal mit mir selber sprechen, mit niemandem, hatte täglich Minderwertigkeitsgefühle und Angst. Jede Geste in der Öffentlichkeit raubte mir Kraft und Energie“, erklärt der ehemalige DDR-Jugendnationalspieler und Homosexuelle Marcus Urban.
Heute sind wohl weniger die Fans das Problem – diese sorgen mit Aktionen für Vielfalt oft in den Stadien für Aufklärung. „Das letzte Tabu“ macht um so mehr Verbände und Funktionäre als Problem aus – Spielern werde oft geraten, sich gegen das Outing und für die Karriere zu entscheiden. Die Aktionen von Fifa und DFB gegen Homophobie werden in der Doku als halbherzig und mangelhaft bezeichnet. Stattdessen, wie Marcus Urban es erklärt, dominiere die Maxime: „Nimm das Geld, aber lebe weiter in Angst.“
Dabei machen Beispiele aus Tschechien, wo ein Nationalspieler sich als schwul geoutet hat, oder aus den USA, wo ein schwuler Profi von seinem ganzen Team unterstützt wird, Mut. Die Dokumentation stellt diese Vorbilder explizit heraus. Die Nichte von Justin Fashanu stellt fest: „Es zeigt, dass wir uns weiterentwickeln, und nicht zurück.“ Dennoch mahnt der Film auch zur Vorsicht: „Es ist immer noch schwer, es gibt so viel zu tun. Ich nehme in den letzten Jahren mehr Spannungen in der Gesellschaft wahr“, betont Thomas Hitzlsperger.
Am Ende liefert der tiefgründige Beitrag Einblicke in die Seelen von Sportlern und Menschen, die funktionieren müssen. Man stellt fest, dass unsere offene Gesellschaft sich weiter in einem Prozess befindet, der gerade erst begonnen hat. Vieles muss noch passieren, damit Minderheiten sich auch im Fußball frei fühlen können. Oder, wie Marcus Urban es sagt: „Das Leben im Fußball musst du dir holen, es gibt dir niemand wieder zurück“.
Das Kölner Gesicht hinter „Das letzte Tabu“
Leopold Hoesch (54) ist einer der bekanntesten Filmproduzenten des Landes. Mit „Das Wunder von Bern“ oder „Das Drama von Dresden“ feierte er internationale Erfolge, zudem hat er zahlreiche Dokumentarfilme produziert, welche mehrfach ausgezeichnet wurden. Für Das Drama von Dresden erhielt er den International Emmy Award, zudem konnte er sich mehrfach über den Deutschen Fernsehpreis freuen.
1999 gründete er die Filmproduktion Broadview TV GmbH. Seither ist er geschäftsführender Gesellschafter der Firma mit Sitz in der Südstadt. Der gebürtige Kölner ist Botschafter der International Academy of Television Arts & Sciences. Mit der Filmdoku „Das letzte Tabu“ setzt er seine Reihe von erfolgreichen Sportdokumentationen fort: 2022 bekam er für Schwarze Adler, einer Doku über dunkelhäutige deutsche Nationalspieler, den Laureus-Award - auch „Sport-Oscar“ genannt. Weitere erfolgreiche Dokumentationen waren Die Unbeugsamen, Kroos, Nowitzki und Moses.