- Rüdiger Bertram hat über 70 Kinder und Jugendbücher geschrieben.
- Im Gespräch mit Bernd Imgrund erklärt er, was eine gute Geschichte ausmacht und warum lesende Väter wichtig sind
Sie haben schon als Student Glossen für den WDR geschrieben. Worum ging es da?
Vor allem um Kulturthemen und alltägliche Beobachtungen.
Sie flanieren gern?
Durch meine Lesungen bin ich viel unterwegs. Ich erlaufe mir die fremden Städte und mache dabei Fotos und Notizen.
Haben Sie einen Bezug zum Flaneur Charles Baudelaire und seinen „Blumen des Bösen“?
Ich verstecke manchmal ein paar Disteln in meinen Geschichten, das reicht.
„In meinen Büchern möchte ich gute Geschichten erzählen.“ Wie kommt man da hin?
Gerade für Kinder und Jugendliche gilt: Man darf nicht langweilen. Geschichten müssen unterhaltsam und spannend sein. Immer.
Warum gilt das erst recht für Kinder?
Die legen ein Buch einfach weg, wenn es sie nicht packt. Das merke ich auch bei Lesungen. Die Erwachsenen bei der lit.Cologne bleiben vielleicht sitzen, selbst wenn sie sich langweilen. Kinder tun das nicht, die werden unruhig.
Wie literaturaffin ist denn die Jugend von heute?
Es gibt absolute Hardcore-Leser, vor allem unter den Mädchen. Der Knackpunkt liegt bei etwa zehn Jahren, wenn das Handy immer mehr in den Vordergrund gerät. Und natürlich hängt es auch von den Eltern ab.
Zur Person
Rüdiger Bertram wurde 1967 in Ratingen geboren. Zum Studium (Geschichte, Germanistik, VWL) kam er nach Köln, wo er parallel als freier Journalist arbeitete (Kölnische Rundschau, Zeit, WDR). Nach einer Ausbildung zum Drehbuchautor schrieb er für die Serien „Bernds Hexe“ (RTL) und „Mein Chef und ich“ (Sat.1). 2005 veröffentlichte er sein erstes Kinderbuch, über 70 weitere folgten.
2010 landete er mit „Coolman und ich“ (2010) einen Bestseller, der ihn endgültig zu einem der erfolgreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren machte. Das Buch erschien in über 25 Ländern.
2020 wurde in Spanien und Deutschland sein Roman „Der Pfad“ verfilmt (u.a. mit Julius Weckauf und Volker Bruch). Rüdiger Bertram gewann zahlreiche Preise, darunter 2022 den des Deutschen Börsenvereins als Lesekünstler des Jahres.
Er wohnt in der Südstadt.
Was ist anders, wenn man nicht an einer Bildungsbürgerschule liest?
Es ist schwieriger, aber zugleich reizvoller. Man erlebt dort spannendere Begegnungen und Diskussionen. Diesen Schülern kannst du in der Stunde zumindest zeigen: So etwas wie Bücher, wie Literatur gibt es noch, und das macht Spaß.
Sie haben an der Kölner Internationalen Filmschule (ifs) eine Drehbuchausbildung gemacht. Hat das etwas gebracht?
Unglaublich viel! Früher haben die Leute einfach angefangen zu schreiben. Kann man machen. Aber man kann das Handwerk auch richtig lernen: Wo fängst du an, wie endest du, wo setzt du Plotpoints und so weiter. Sehr wichtig auch: wie man Dialoge schreibt. In älteren Kinderbüchern reden einige Figuren oft zu literarisch.
Und Sie passen sich der Jugendsprache an?
Das funktioniert nicht. Jugendsprache ist immer im Wandel, da hängst du zwei, drei Jahre hinterher, bis dein Buch erscheint.
Ihr erfolgreichstes Buch heißt ,Coolman und ich’, erschienen 2010.
Stimmt. Das hat bislang die höchste Auflage und wurde in 25 Ländern veröffentlicht. Wenn du einmal so einen Bestseller geschrieben hast, gehen plötzlich sehr viele Türen auf.
Sie waren mit diesem Buch unter anderem in Hongkong, Pretoria und Palermo.
In Hongkong war ich an einer deutschen Schule. In Palermo war eine Übersetzerin dabei. Als ich gehen wollte, hielt mich die Lehrerin zurück: ,Die Kinder haben noch etwas vorbereitet.’ Und dann stand die ganze Klasse auf und sang für mich ,Oh Tannenbaum’.
Und wie kamen Sie in Kindergefängnisse in Manila?
Die TV-Kommissare Dietmar Bär und Klaus Behrendt haben nach der Folge „Manila“ den Kölner Tatort-Verein gegründet, der sich für Kinderrechte nicht nur auf den Philippinnen engagiert. Ich war mit Dietmar und Jo Bausch in Manila. Wir sind in diese furchtbaren Knäste rein, wo dreißig, vierzig Kinder wegen lächerlicher Vergehen in einer winzigen Zelle sitzen. Daraus entstand erst ein Theaterstück und dann der Roman „Knastkinder“.
Kinder brauchen Helden, haben Sie mal gesagt.
Sie brauchen Vorbilder, ja, aber keine strahlenden Helden. Meine Bücher beginnen oft mit einem Antihelden, der vielleicht ein bisschen kleiner oder schwächer als die anderen ist und sich im Laufe der Geschichte zum Helden wandelt.
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Ist man als Kinderbuchautor nicht intellektuell unterfordert?
(lacht) Totaler Blödsinn, wieso sollte man? Ich habe keine Probleme damit, „nur“ Kinderbuchautor zu sein. Ich finde das im Gegenteil viel schwieriger und interessanter!
Hilft es, als Kinderbuchautor selbst noch einen Kindskopf zu haben?
Wichtiger ist, sich daran zu erinnern, wie das damals war. Also dass diese Zeit, sagen wir zwischen 8 und 14, auch manchmal ziemlich schlimm war.
Sie versuchen stets, noch eine zweite Humorebene für die Eltern einzubauen. Warum?
Weil ich als Vater selber weiß, wie schrecklich es ist, manche Kinderbücher vorzulesen.
Stichwort Bobo Siebenschläfer.
(lacht) Die Kinder lieben ihn, Erwachsene eher nicht so, vor allem wenn man die Bücher immer und immer wieder vorlesen muss. Deswegen bemühe ich mich immer um eine zweite Ebene. Den Kindern sind die Anspielungen zwischen den Zeilen völlig egal, aber die Eltern freuen sich.
Sie bekommen Post nicht nur von Kindern, sondern auch von Müttern. Was steht da drin?
Also ich bekomme keine Schlüpfer geschickt (lacht). Ein Buch wie ,Coolman’ mit seinen vielen Comics von Heribert Schulmeyer richtet sich nicht zuletzt an Jungs. Und wenn dann so ein Nichtleser plötzlich zu lesen anfängt, schreibt seine Mutter mir einen netten Brief. Wobei ich auch sage: Jedes Kind hat das Recht, nicht zu lesen. Und es ist ja auch nicht so, dass es früher, vor den Sozialen Medien, nur Leseratten gab.
Wie wichtig ist der lesende Vater?
Sehr wichtig, weil er das vor allem für Jungs relevante Rollenmodell ist.
Höchstens mit einem Revolverblatt in der Hand.
Ein Buch ist natürlich schon schöner, aber kann auch der Kicker sein. Die Jungen müssen sehen, dass Lesen eben nicht nur etwas für Mädchen ist.
Sie haben den Lesekünstler-Preis des Börsenvereins gewonnen. Wie tragen Sie vor?
Relativ klassisch. Ich trage kein Kostüm und mache kein Multimedia-Brimborium. Aber ich versuche bis zur sechsten Klasse schon, komisch und unterhaltsam zu sein. Dafür sitze ich auch nicht steif hinterm Pult, sondern stehe und laufe herum und suche Augenkontakt. Wenn ich allerdings für Größere aus dem „Pfad“ oder aus „Knastkinder“ lese, ist das eine komplett andere Veranstaltung.
Hat Papier eine Zukunft?
Ich denke ja. Schon wegen der Situation des Vorlesens. Das ist eine hochintensive Zeit, die man zusammen verbringt. Da passiert viel mehr als nur die Geschichte aus dem Buch, das hat mit Nähe und Geborgenheit zu tun. Mit einem Tablet in der Hand kann ich mir das nicht vorstellen. Übrigens belegen das auch die Verkaufszahlen: E-Books spielen im Kinderbuch so gut wie keine Rolle.
Spielt Köln eine Rolle für Ihr Schreiben?
Hin und wieder baue ich eine Mainzer Straße ein, weil ich da wohne. Und in den „Magischen Vier“, einer älteren Fantasy-Geschichte, gibt es eine Litfaßsäule, die auf der Allee bei uns vor der Haustür steht. Aber bisher spielt noch keine Geschichte direkt in Köln.
Sie haben gesagt: ,Ob die versteckte Botschaft nachhaltig ankommt? Da werde ich in letzter Zeit zunehmend skeptischer.’ Inwiefern?
Ich schreibe keine Plakate und mache keine Botschaften-Literatur. Aber natürlich geht es immer auch um Werte. Ich habe in den letzten Jahren so ein wenig den Glauben verloren, dass Bücher etwas ändern können.
Früher hatten Sie den?
Ja, trotzdem werde ich weiter versuchen, Werte wie Toleranz, Freundschaft und Verantwortung durch meine Geschichten zu vermitteln. Ich bin im Moment nicht optimistisch, was die Weltläufte angeht. Aber ich weiß auch: Mir geht es gut, ich bin privilegiert. Ich lebe von dem, was ich am liebsten mache. Als 12-Jähriger hätte ich nie gewagt zu träumen, dass ich mal Bücher schreibe und davon leben kann.