Konzertsommer 2022Mitglieder der Redaktion erinnern an die besten Momente
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Köln – Dieser Sommer ist einzigartig. Weil für einige Wochen wieder alles möglich ist. Trotz Krieg und dramatisch steigenden Preisen oder vielleicht auch gerade deshalb feiern tausende Musikfans wieder in Sälen, in der Arena und im Rheinenergie-Stadion, wo sich die Stars die Klinke in die Hand gaben. Sechs persönliche Erinnerungen an einen unvergleichbaren Musiksommer –der noch nicht ganz vorbei ist.
Billie Eilish in der Lanxess-Arena
Zehn Ariana Grandes wiegen eine Billie Eilish nicht auf. Selbst dann nicht, wenn man sie alle einzeln in rosa Glitzertütchen packen, mit Strassbändern umwickeln und mit brennenden Wunderkerzen illuminieren würde. Die 20-jährige ist der Gegenentwurf von solchem Bling-Bling. Was sie nicht davon abhält, am 21. Juni in der Lanxess-Arena eine hochprofessionelle Show auf Weltniveau zu bieten. Aber eine, die Herz und Hirn und Seele hat. Statt auf fluffiges Popcorngesäusel zu setzen, macht Eilish lieber klare Ansagen. „Sei kein Arschloch!“. „Urteile über niemand in diesem Raum!“ „Habt Spaß, bitches!“ Das sind drei Sätze, die hängenbleiben. Und die wohl noch Tage und Monate danach, in Clubs, auf Schulhöfen oder bei Cliquentreffen zitiert werden. Besser kann man für faires Miteinander-Umgehen keine Werbung machen. Und dem (Cyber)-Mobbing den Kampf ansagen. Ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Dafür aber mit Spaßfaktorgarantie. Dass Eilish keine geklonte Casting-Barbie ist, sondern eine selbstbewusste junge Frau mit eigenen Vorstellungen macht das Ganze noch viel authentischer. Mehr solche Idole für die Welt!
Red Hot-Chili Peppers im Stadion
Endlich wieder ein Weg-Bier auf dem Spaziergang zum Open-AirKonzert, ein Fischbrötchen zur Stärkung, natürlich ein T-Shirt der Peppers als Souvenir und endlich wieder ein Stimmengewirr von ausländischen Touristen, die man in der Corona-Zeit vermisst hat. Kölle war neben Hamburg der einzige Ort, an dem Band in Deutschland spielte und es machte so viel Laune. Ausgelassen tanzen, klatschen, schreien und die Hits der Bands mitsingen, Ein toller Abend – aber mit einem ganz kleinen Tränchen im Auge ging später wieder raus in normale Leben. Erstens: „Under the Bridge“ spielten die wilden Jungs nicht und zweitens – wann kommt die Band endlich wieder?
Die Bühne in Müngersdorf ist bei den Stadion-Konzerten im Sommer in der Regel Weltstars und nationalen Legenden vorbehalten. Ausnahmen bestätigen diese ungeschriebene Regel. Denn in diesem Jahr waren da ja noch fünf Jungs aus der Stadt mit K, die sich mit – ungewollt – drei Jahren Vorlauf auf die große Bühne trauten, dort vor 40 000 Fans über zweieinhalb Stunden ihr Herz ausschütteten und damit ein Stück kölsche Stadion-Konzert-Geschichte schrieben. Weil die Menge den Musikern von Kasalla in jeder Sekunde ansehen konnte, welch großer Traum da gerade in Erfüllung ging. Weil die Emotionen Frontmann Bastian Campmann gleich mehrfach am Abend übermannten. Und weil die Band es schaffte, das Publikum mit auf diese sichtbar außergewöhnliche Gefühlsreise zu nehmen. Ob es eine einmalige Reise bleiben wird, weiß niemand. Aber gerade weil das der Fall sein könnte, kostete die Band jeden Moment aus. Vermutlich um ein vielfaches intensiver, als das ein Weltstar tut, der schon Jahrzehnte durch die Arenen dieser Welt tourt.
Seeed beim Summerjam
Es ist ein Moment, der trotz der Hitze an dem Abend des 1. Juli, Gänsehaut verleiht. Beim 35. Jubiläum des Summerjam-Festivals steht der Headliner Seeed endlich auf der Bühne. Die Berliner Band spielt nicht einfach nur ihre Songs, die von Klassikern wie „Schwinger“ und „Music Monks“ zu den Titeln des neuen Albums „Bam Bam“ reichen, sondern sie liefert eine Show mit einstudierten Tanzmoves. Das Publikum kennt sowieso fast jedes Wort der eingängigen Texte und geht bei allen Songs mit. Es ist vor allem eines an dem Abend: heiß. Und das nicht nur in der schwitzenden Menge, sondern auch die Luft zwischen Band und Publikum knistert. Trotzdem bleibt ein Moment Zeit um an das 2018 verstorbene Bandmitglied Demba Nabé zu denken. Mit Handylichtern und Feuerzeugen entsteht ein einzigartiges Lichtermeer.
Tocotronic im E-Werk
Dirk von Lowtzow ruft im Mülheimer E-Werk in den Saal (Achtung, Ironie): „Singt mit uns diesen Sommer-Hit.“ Und dann schreit er „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“ ins Mikrofon. Neben „Nie wieder Krieg“ ist das die zweite sehr plakattaugliche aktuelle Hymne der Band. Alle sind bereit, alles wirkt plötzlich wie eine Abmachung, wie ein Versprechen von Zügellosigkeit, das eingelöst werden darf. Ein Rock-Konzert zu besuchen, ist wie auf eine Reise zu gehen. Sich mitnehmen zu lassen, vom Sound, von den krachenden Gitarren und der elektrisierenden Stimmung. Das alles passiert an diesem Abend, und vermutlich hat das auch mit dem Corona-Entzug zu tun. „Drüben auf dem Hügel möchte ich sein, im letzten Abendsonnenschein.“ Und dann noch mehr von diesen Hamburger Jahren in den 90ern. Das Unglück muss zurückgeschlagen werden. Unbedingt.
Nick Cave in der Lanxess-Arena
Orkan? Vulkan? Tornado? Wenn man versucht, den Auftritt von Nick Cave am 27. Juni in der Lanxess-Arena zu beschreiben, kommt man unweigerlich auf solche naturgewaltigen Vergleiche. Der 64-Jährige ist ein Phänomen. Während andere Künstler in seinem Alter entweder längst weg vom Fenster, sichtlich angenagt vom Zahn der Zeit oder auf der Resterampe zur Rente sind, hat Cave scheinbar eine lebenslange Lizenz für Rock’n’Roll. Mit seinen Bad Seeds pustet er die Hütte so kräftig durch, dass selbst notorischen Konzertbesuchern die Luft weg bleibt. Von bloßem Krawall ist das aber weit entfernt. Dazu berührt diese Stimme viel zu stark, und es gibt viel zu viele intime Momente an diesem Abend. Was treibt ihn an? Was treibt ihn um? Fragt man sich zuweilen. Im Wissen, dass Cave kurz zuvor einen Sohn verloren hat. Trauerbewältigung kann man so oder so betreiben. Musik ist eine Möglichkeit.
Das war es noch nicht: Es stehen in diesem noch einige Termine auf dem Plan: Am 22. Juli gastiert Harry Styles in der Lanxess-Arena, am 28. Juli spielt Tom Jones auf dem Roncalliplatz, zwei Tage später gastieren dort die Pixies. Und an 19., 20. und 21. August feiern die Bläck Fööss drei Jubiläumskonzerte, ebenfalls vor dem Dom auf dem Roncalliplatz. Es gibt noch Restkarten.