Vor 14 Jahren schlug ein Unglück eine Narbe in diese Stadt, die bis heute schmerzt: Am 3. März 2009 stürzte das Stadtarchiv in eine Baugrube am Waidmarkt. Und es wird wohl noch viele Jahre brauchen, bis die Baustelle verschwindet.
WaidmarktSo lange wird noch an der Archiveinsturzstelle in Köln gearbeitet
Er sagte es mit aller Vorsicht: „2028, vielleicht 2029“. So die Prognose des Diplomingenieurs Dirk Höllermann, als er vor zwei Jahren gefragt wurde, wann denn erstmals eine Stadtbahn den Waidmarkt unterqueren werde. Damals stellte er als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft (Arge) den Sanierungsplan für Kölns „ewige Wunde“ vor: das monumentale Loch in der Südstadt, in das am 3. März 2009 das Stadtarchiv hineinstürzte. Und Höllermann war gut beraten, Vorsicht walten zu lassen. Denn zum 14. Jahrestag des Archiveinsturzes zeichnet sich mal wieder ab, Prognosen für den Waidmarkt stehen auf tönernen Füßen: 2028 ist ganz sicher nicht mehr zu halten – und 2029 wohl ebenso wenig. Wie die Rundschau aus dem Umfeld der in der Arge zusammengeschlossenen Baufirmen erfahren hat, wird intern mittlerweile die Jahreszahl 2033 als eventuelles Fertigstellungsdatum genannt.
Braucht es noch das Gleiswechselbauwerk?
Die in der Arge zusammengeschlossenen Baufirmen und die Stadtverwaltung suchen händeringend nach Beschleunigungsmaßnahmen, um endlich die Wunde schließen zu können. Es gibt kaum noch Denkverbote, aber auch kaum noch Möglichkeiten. Es ist der Grund für die Baustelle am Waidmarkt und damit in letzter Instanz Ursache für das Unglück. Es handelt sich um ein dreigeschossiges Bauwerk, das zwischen die beiden Tunnelröhren für die Nord-Süd-Stadtbahn „geschaltet“ ist. In ihm sollen die Bahnen von dem einen auf das andere Gleis wechseln können. Für den Betrieb von enormer Wichtigkeit, wenn beispielsweise einer defekten Bahn ausgewichen werden muss. Doch braucht es das Gleiswechselbauwerk an dieser Stelle, 20 Meter unter dem Waidmarkt, wirklich noch?
Die Nord-Südstadtbahn wird in einer dritten Baustufe über die Bonnerstraßverlängert und soll gar mit einer vierten Baustufe dereinst bis nach Meschenich führen. Viel Spielraum für ein Gleiswechselbauwerk an einer anderen Stelle. Wie die Bezirksregierung Köln als Genehmigungsbehörde der Rundschau bestätigt, gab es „Überlegungen“, auf das Gleiswechselbauwerk am Waidmarkt zu verzichten. Die Baustelle in der Südstadt würde das enorm beschleunigen. Die beiden Tunnelröhren für die Stadtbahn müssten nur noch „durchgezogen“ werden.
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Dennoch, zu einem Antrag wird es wohl nicht kommen: „Sollten Änderungen an der Bauausführungen geplanten werden, bedürfte dies auf Antrag der Vorhabenträgerin einer Änderung des bisherigen Planfeststellungsbeschlusses durch die Bezirksregierung.“ Mit dieser offiziellen Antwort aus dem Haus des Regierungspräsidenten hatten sich die Überlegungen erledigt, müsste doch das Genehmigungsverfahren komplett neu aufgerollt werden. Der erhoffte Zeitgewinn durch den Verzicht auf das Bauwerk würde durch den bürokratischen Aufwand wieder zunichte gemacht.
Braucht es eine Halle unter der Erde?
Zwei Menschenleben kostete der Archiveinsturz. Unzählige Archivalien müssen mühsam restauriert werden, nicht wenige sind für immer verloren. Es wurde schnell klar, über dieses Unglück kann nicht einfach hinweggegangen werden, es braucht ein Gedenken. Die Initiative „Archivkomplex“ warb für eine „Halle mit dem Knick“. Sie sollte im oberen Geschoss des Gleiswechselbauwerks als Kulturstätte entstehen. Die Idee fand viel Anklang, bis hin zu einer unterstützenden Resolution des Stadtrates. Doch mittlerweile versucht die Stadtverwaltung, die Weichen weg von der unterirdischen Halle zu stellen.
Gäbe es die Option, auf das Gleiswechselbauwerk zu verzichten, würde der „Halle mit dem Knick“ sowieso die Basis fehlen. Aber auch mit Gleiswechselbauwerk könnten die Arbeiten beschleunigt werden, würde das Gedenken vollständig auf die Oberfläche verlagert werden. Die Initiative „Archivkomplex“ hält offiziell an der Halle fest, zeigt sich aber für geeignete Alternativen offen. Es laufen „Arbeitsgespräche“ dazu. Das Gleiswechselbauwerk steht im Grundwasser.
Was wird aus der bisherigen Bausubstanz?
Um dem anstehenden Wasser Stand halten zu können, wurden vor dem Archiveinsturz sogenannte Schlitzwände gesetzt, eine Umgrenzung der Baugrube aus Stahlelementen. Auf der Innenseite dieser Schlitzwände wurden dann Betonwände gegossen. Doch als die Bauarbeiter die Schlitzwände in den Boden trieben, kam es zum alles entscheidenden Fehler. Ein größerer Stein wurde im Erdreich belassen, anstatt ihn zu bergen. Ein Schlitzwandelement wurde einfach an dem Findling vorbeigetrieben. So entstand auch in der späteren Betonwand ein Loch , durch das Grundwasser eindrang. Erdboden wurde ausgespült. Unter dem Archiv entstand ein Hohlraum. Das Unglück nahm seinen Lauf.
Der Stein, der alles auslöste, wurde mittlerweile geborgen. Er soll auf einem Betriebshof liegen. Seit Januar 2022 wird ein Gutachten darüber erstellt, ob die Spundwand für die Fertigstellung des Gleiswechselbauwerks weiter verwendet werden kann. Die Ergebnisse sollten eigentlich schon seit über einem halben Jahr vorliegen. Doch die Ausarbeitung „dauert beinahe ein Jahr und damit deutlich länger als geplant“, bestätigt eine Sprecherin der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB).
Neben Verzögerungen bei den Sanierungsarbeiten trägt auch das dazu bei, dass 2028/2029 nicht mehr zu halten sind. Das Ergebnis des Gutachtens wird dann nochmals Auswirkungen auf den weiteren Baustellenverlauf haben. Kann die Schlitzwand weiter verwendet werden, geht es schneller. Ob die Arge bei dem intern kommunizierten Feststellungsjahr 2033 mit der vorhanden Spundwand oder mit einer neuen plant, darüber wird sich allseits ausgeschwiegen. Offizielle heißt es dazu in einer Mitteilung der KVB lediglich: „Wie nach der Vorlage des Gutachtens zur Schlitzwand weitergearbeitet wird und wann das Bauvorhaben voraussichtlich abgeschlossen werden kann, teilen die Beteiligten mit, sobald aufgrund der ausgewerteten Daten zuverlässige Aussagen hierzu gemacht werden können.“
Was geschieht gerade auf der Baustelle?
Die KVB teilt dazu mit: „Aktuell werden am Waidmarkt Unterwasserarbeiten durchgeführt. Taucher räumen die vier in das Bauwerk mündenden Tunnelröhren frei, entfernen dort eingedrungenen Kies und provisorischen Auflastbeton aus der Zeit direkt nach dem Einsturz. Zum Teil werden massive tonnenschwere Betonklötze am Kran ausgehoben. Sind die Tunnelröhren gesäubert, werden dort Schotte eingebaut.“ Daran schließt sich ein aufwendiger Sanierungsplan für das gesamte Gebäude an, für den es weltweit keine Vorlage gibt.