Mit Mark Benecke durch die Kölner Südstadt„Erinnert mich ans New Yorker East Village“
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Köln – Im Hausflur steht ein Wolpertinger. Entenfüße, Storchenschnabel – dieses Tier findet sich in keinem Zoologie-Buch. „Von der Jahrestagung der deutschen Präparatorinnen und Präparatoren“, erläutert Mark Benecke die Herkunft des bayerischen Fabelwesens. Er springt die letzten Treppenstufen hinunter, und schon stehen wir auf der Landsbergstraße in der Kölner Südstadt. Zwei Bögen aus Blauregen spannen sich über die Fahrbahn. „Sieht geil aus, wenn die blühen“, sagt Benecke. „Dann duftet hier die ganze Gegend.“
Deutschlands einziger Kriminalbiologe
Benecke stülpt sich eine schwarze Wollmütze über den rasierten Schädel. Unter dem Kragen seiner Jacke lugt ein Tattoo hervor: „Der Heilige Geist nach einem Holzschnitt von Albrecht Dürer.“ 50 Jahre ist Benecke in diesem August geworden – ein Mann von schmaler Statur, dem sein umfangreiches Fachwissen um die Entwicklung von Maden und Insekten in toten Körpern den Beinamen „Doktor Made“ eingebracht hat. „Dr. Mark Benecke – International Consulting – Kriminalbiologische Forschung und Beratung – Forensic Biology Unit“ steht auf einem blank geputzten Messingschild neben der Eingangstür des schlichten Mehrparteienhauses, in dem sich sein Labor befindet.
Doch der Mann hat auch andere Interessen. Gerade erst hat er zusammen mit der Illustratorin Kat Menschik ein wunderbares Buch auf den Markt gebracht: „Mark Beneckes illustriertes Thierleben“. Deutschlands einziger „öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren“ wurde in Rosenheim geboren. Aufgewachsen ist er in Zollstock. Zu Hause jedoch fühlt sich Benecke seit vielen Jahren im Severinsviertel. Die Gegend erinnere ihn ans East Village in New York, wo er Ende der 1990er Jahre eine Weile gelebt habe, sagt er. Bunt, an manchen Stellen ein bisschen abgeschrammt. Bevölkert von „echten Leuten“ aus der ganzen Welt. Und genau die wollen wir bei unserem heutigen Veedel-Spaziergang treffen. „Die echten, die unsichtbaren Menschen, die weder Macht noch Ruhm anstreben, sondern einfach nur ein normales Leben führen wollen.“
Doch erst einmal schlendern wir durch die Toreinfahrt der ältesten Holzhandlung Kölns. Die 1830 gegründete Firma Theodor Schumacher Söhne – Holzcity hat ihren Geschäftssitz im selben Gebäude wie Beneckes Labor. Im Mittelalter stand in der heutigen Landsbergstraße 16 eine Kirche des Zisterzienserinnenklosters Sion, die 1833 dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ende der 1840er Jahre entstand an nämlicher Stelle das neugotische Wohnhaus Erben. Auch davon ist wenig geblieben: Eine Madonnenfigur aus dem 19. Jahrhundert an der Außenwand des heutigen Gebäudes, außerdem drei Männerköpfe aus Stein an einer Wand im Innenhof. Benecke marschiert durch das weitläufige Gelände und steuert eine finstere Ecke in einer der Hallen an. Gemeinsam wuchten wir eine schwere Holzklappe hoch, Vogelfedern stieben zur Seite.
Privatmuseum mit Skelett
Vor uns, unter einer Glasplatte, liegt ein menschliches Skelett, das Benecke vor einigen Jahren aus einem Haufen Knochen zusammengesetzt hat. Das Grab ist Teil eines Privatmuseums von Wiljo Schumacher, zu dem ein kleiner Ausstellungsraum mit römischen Funden in den Geschäftsräumen der Firma gehört. In der Antike habe sich entlang der heutigen Severinstraße ein Gräberfeld erstreckt, erzählt Benecke. Die Knochen „seines“ Skeletts stammten wahrscheinlich aus einer der hinteren Reihen, wo die weniger Betuchten ihre letzte Ruhe fanden.
Weiter geht es zur Straße Im Sionstal, vorbei an kniehohen Kellerfenstern, die noch aus der Vorkriegszeit stammen. „Ich mag es, wenn man die alte Bausubstanz erkennt. Mir ist auch egal, ob die Wände beklebt oder besprayt sind“, sagt Benecke und hofft, dass seinem Veedel langfristig eine Gentrifizierung und die damit verbundene „Mieterhöhungsscheiße“ erspart bleibt. „Ich will keine Dorfidylle“, stellt er klar. Es gehe vielmehr um den Erhalt des sozialen Lebens vor Ort, um die kleinen Läden, wo man hingehen und „ein bisschen quatschen“ könne. In Haus 17 hat seit 25 Jahren die Kölner Graphikwerkstatt ihre Räume. Das Geschäft ist spezialisiert auf Tiefdruck, Hochdruck und experimentelle Drucktechniken. Jutta Vollmer öffnet für Benecke gern die Tür und führt uns in einen hohen, lichtdurchfluteten Raum mit schweren, alten Druckmaschinen. Der lange Werktisch ist verwaist – Jutta Vollmer hofft, wie viele hier, auf bessere Zeiten.
Restaurant Italiana
„Wenig Kundschaft“, klagt auch Roberto Sinapi. Etwas verloren steht er in der Tür von Beneckes Lieblingsrestaurant, dem Restaurant Italiana an der Ecke Rosenstraße/Im Sionstal. Über dem Eingang hängt noch das rote Schild mit dem Lorbeerkranz, das Sinapi zum 40. Jubiläum aufgehängt hat. Das ist zwei Jahre her. In diesen Wochen ist Kölns wohl ältestes italienisches Lokal geschlossen, der Außerhausverkauf läuft schleppend. „Die Leute kochen lieber selber, statt etwas zu bestellen“, sagt Sinapi, der als junger Mann mit seiner Frau Rita aus der Region Latium in die Kölner Südstadt zog. Inzwischen lebten viele Italiener im Viertel, erzählt Benecke im Weitergehen. „An manchen Vormittagen höre ich mehr Italienisch als Kölsch.“ Roberto gehöre noch zur ersten Einwanderergeneration und halte wie die meisten von ihnen fest an den alten Traditionen. „Bestell bloß keine Pizza Hawaii bei ihm“, warnt er. „Die gibt es in Italien nämlich nicht, und die Luft gefriert, wenn Du danach fragst.“ Eine Gefahr, der sich Benecke nicht aussetzt. Er bestellt grundsätzlich Pizza vegetale.
Sahan Supermarkt
Wir biegen ein in die Severinstraße. Werfen einen Blick in den Sahan Supermarkt an der Ecke Landsbergstraße. „Der war schon immer hier und ist einfach super.“ In den Auslagen vor der Tür türmen sich sonnengoldene Kürbisse, sattgrüne Gurken und Granatäpfel in harten, roten Schalen.In Haus 189 betreibt Murat Garinyan, der aus Armenien stammt, ein Tabak- und Lottogeschäft. Wir stören ihn beim Essen im Hinterzimmer, doch bei Beneckes Eintritt schiebt er den Teller beiseite, die Begrüßung ist herzlich. Und schon holt er ein paar alte Zeitungsausschnitte hervor, die ihn in seinem früheren Kiosk gegenüber der Kirche St. Johann Baptist in der Severinstraße zeigen. „Die mit dem schiefen Turm.“ Jahrelang hielt er nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs aus neben dem „Loch“. Das, sagt er, seien keine schönen Erinnerungen.
Azin's Nähkästchen muss schließen
Ein letzter Stopp gilt Azin’s Nähkästchen. Vor 17 Jahren hat Azin Honari aus dem Iran den handtuch-schmalen Laden für Schneiderbedarf und Kurzwaren in Haus 130 eröffnet. Jetzt klebt ein Schild „Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ im Fenster. Benecke eilt hinein. „Was ist passiert?“ „Corona“, sagt Azin Honari. Sie könne die Miete nicht mehr zahlen. Wie es jetzt weitergeht, weiß die 59-Jährige nicht. Benecke und sie kennen sich seit Jahren. Er habe ihr bei den Einbürgerungstests geholfen, erzählt er. „Ich habe sie sogar mal mit in ein Wahllokal genommen, damit sie sieht, wie das in Deutschland funktioniert.“
Biografie und Lieblingsorte
Mark Benecke ist der bekannteste Kriminalbiologe Deutschlands. Geboren wurde er 1970 im bayerischen Rosenheim. Er wuchs in Köln-Zollstock auf und studierte Biologie und Psychologie an der Universität zu Köln. Bekannt wurde er unter anderem durch Fernsehsendungen wie „Medical Detectives“ „Autopsie – Mysteriöse Todesfälle“.
Lieblingsorte
Privatmuseum Wiljo Schumacher, Firma Theodor Schumacher Söhne – Holzcity, Landsbergstraße 16, Führung nach Terminabsprache, 0221- 31 60 65
Ristorante Pizzeria Sinapi, Rosenstraße 43, 0221-31 46 19 ; Kölner Graphikwerkstatt, Im Sionstal 17, 0221-3100425; Sahan Supermarkt, Severinstraße 142
„Ich war selber Einwanderer, als ich in New York gelebt habe, und weiß, wie man sich fühlt“, erklärt Benecke sein Engagement für die iranische Nachbarin. Er sei damals dankbar für jede Hilfe gewesen. Inzwischen sitzen wir auf einer Bank und trinken dünnen Kaffee aus braunen Bechern und arbeiten noch ein paar Stichworte ab. Sein emotionalster Kriminalfall? „Wir kümmern uns ausschließlich um das, worum es wirklich geht. Um die Spuren.“ Lieblingsland? „Habe ich nicht. Die Menschen sind überall gleich.“ Corona? „Immer Daumen hoch. Et kütt wie et kütt.“