Für eine Studie haben Drogenkonsumierende am Neumarkt ihren Alltag fotografiert. Ein Forscherteam hat mit ihnen gesprochen und sie erzählen lassen.
Drogenszene in KölnDrogenabhängige am Neumarkt geben Einblick in ihr Leben
Zahlen zur Drogenszene am Neumarkt gibt es bereits viele: Statistiken zum Konsum, zur Nutzung des Drogenkonsumraums und den Straftaten rund um den Platz. Sie füllen unzählige Aktenordner. Ebenso sind Bilder allseits präsent, die die Verelendung in der Stadtmitte zeigen. Doch eins bleibt meistens vor der Öffentlichkeit verborgen: Wie es innerhalb der Szene aussieht. Wie es in der Welt der Süchtigen und ihrer Dealer zugeht.
Verborgene Welten
In diese verborgene Welt des Brennpunktes Neumarkt haben nun Professor Daniel Deimel von der Technischen Hochschule Nürnberg sowie Dr. Tim Lukas und Dr. Bo Tackenberg von der Universität Wuppertal ein Schlaglicht geworfen. In den vergangenen zwei Jahren haben sie ein Forschungsprojekt am Neumarkt durchgeführt, durch das der Blick frei wird in das Leben der Betroffenen am Drogenhotspot. Nun wurden die Ergebnisse beim Deutschen Suchtkongress in Köln vorgestellt.
Während des Projektes hat das Forscherteam den Neumarkt buchstäblich durch die Augen den Konsumierenden gesehen. Sie haben Einwegkameras an Betroffene verteilt und sie gebeten, ihren Alltag zu fotografieren. Die daraus entstandenen Bilder zeigen teils Szenen, die die meisten Menschen nie zu Gesicht kriegen, oder lieber wegschauen: Personen, die dealen, versteckte Orte, an denen sich die Abfälle des Konsums häufen, oder auch einfach nur Bilder von der U-Bahnstation oder Mitarbeitenden des Ordnungsamtes. Aber immer Bilder mit Aussagekraft.
Crack ist „angekommen“
„Die Crack-Problematik ist in den deutschen Städten angekommen“, sagt der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkard Blienert, der ebenfalls an dem Kongress teilnahm. Crack stellen Konsumierende meist selbst her. Sie kochen Kokainsalz mit Natron auf und erhalten sogenannte Cracksteine. Diese können dann mit einer Pfeife geraucht werden. Über die Lungen wirkt das Kokain viel schneller als über die Nasenschleimhäute, wenn es geschnupft wird.
Die Lage am Neumarkt wird seit Jahren diskutiert. Die Konflikte in den Sozialräumen sowie die Beschwerden von Anwohnern und Geschäftsleuten nehmen zu. Auch der Eröffnung des Drogenkonsumraums gingen lange Diskussionen voraus. In der öffentlichen Debatte ist häufig von Angsträumen die Rede. Deimel stellt dieser These entgegen, dass auch die Konsumierenden Angst hätten, sich an diesen Orten nicht wohlfühlten.
Bei der Studie hat sich besonders das Quartier des Josef-Haubrich-Hofes als Hotspot gezeigt. Das Areal ist überwiegend in öffentlicher Hand, jedoch kümmere sich laut Deimel die Stadt kaum um das Areal. Als Folge habe sich der Ort zum Drogenhotspot gewandelt. Es sei ein Risikoumfeld, geprägt von Gewalt, Gesundheitsrisikos und Vermüllung. „Die Situation dort ist sowohl für die Konsumenten als auch für die Anwohner nicht tragbar“, bekräftigt Professor Deimel. Insbesondere, weil der Ort für viele Konsumenten Drogenhotspot und Rückzugsort zugleich ist.
Einige von ihnen ziehen sich für einen Moment der Ruhe dorthin zurück, wo die Kriminalität besonders hoch ist. Dass die Drogensüchtigen den Josef-Haubrich-Hof auch als Ruheort nutzen, ist darin begründet, dass viele von ihnen obdachlos sind. Rund 30 Prozent der Befragten lebten auf der Straße.
„Es ist sehr, sehr schwer“
Wie das Leben auf und um den Neumarkt ist, hat vor allem eine Betroffene mit der Einwegkamera dokumentiert. Sie hat sich selbst am Eingang der Schildergasse beim Betteln fotografieren lassen. Außerdem hat sie eine Rattenfalle als Symbolbild aufgenommen. „Es ist sehr, sehr schwer wirklich hier rauszukommen“, sagte die Obdachlose Drogensüchtige. Die Ausweglosigkeit heize die Stimmung in der Szene an. Die sei von gegenseitiger Demütigung und aufkommender Wut geprägt, berichtet die Betroffene. Deimel dazu: Für die betroffene Person sei die Lage dermaßen aussichtslos, dass sie ihr Leben einer Rattenfalle gleichsetzt.
Nicht nur Einwegkameras gaben die Forscher aus, sie führten auch Interviews mit den Süchtigen vom Neumarkt. Dabei sagten einige der Interviewten, dass sie sich am Neumarkt nicht wohlfühlten, aber dorthin kommen müssten, um sich ihre Drogen zu besorgen. „So gezwungen unter Leuten zu sein, ist sehr, sehr schwierig und macht einen auch krank“, erzählte eine betroffene Person dazu. Einige gaben auch an, dass sie gar nicht gerne in der Öffentlichkeit konsumieren würden, aber schlichtweg keine Wahl hätten - trotz der Konsumräume. Dort nähmen laut Professor Deimel in den vergangenen Wochen die Nutzungszahlen ab. Der Grund sei im Crack zu suchen. Kaum ist dessen Wirkung verflogen, giert der Süchtige nach der nächsten Dosis. Die Wirkung der „Steine“ hält nur etwa 20 Minuten an. So bleibt zu wenig Zeit, um sich am Drogenkonsumraum anzustellen.
Wenn die Zeit nicht reicht für den Konsumraum
Die Forschenden fordern deswegen unter anderem mehr Express-Plätze im Konsumraum, damit die Substanzen in einem sichereren Umfeld als dem Neumarkt konsumiert werden können. Gleichzeitig brauche es mehr niederschwellige Substitutionsangebote, auch für Menschen ohne Krankenversicherung.
Das Forscherteam plant, die Ergebnisse ihrer Studie demnächst in Köln öffentlich auszustellen. Mit den Bildern und Stadtkarten möchten sie auf das Leid der Betroffenen aufmerksam machen. Ihr Leidensdruck soll in der öffentlichen Debatte um die Drogenszene am Neumarkt mehr Gehör finden.