Die illegale Drogenszene in Köln wird nicht sich selbst überlassen - ganz im Gegenteil. Hilfsangebote gibt es unter anderem durch die Streetworker des Aufsuchenden Suchtclearings.
Kölner Drogenszene„Es gibt ein Recht auf Verwahrlosung“
Ein Mann steht mit heruntergelassener Hose in einer Seitenstraße des Neumarktes und spritzt sich in die Leiste. „Bürgerinnen und Bürger stellen sich oft die Frage: Warum hilft dem keiner? Dabei wissen sie oft gar nicht, ob derjenige nicht schon längst unsere Hilfe angenommen hat“, sagt Stefan Lehmann, Leiter des Aufsuchenden Suchtclearings (ASC) beim Gesundheitsamt. Acht Streetworker in Zweierteams des ASC sind unter der Woche täglich unterwegs. Sie tragen keine Uniformen, ihre Arbeit ist für andere weitestgehend unsichtbar. „Und das ist auch gut so, denn wir sind in erster Linie für die Menschen da, die diese Hilfe brauchen.“
Was wollen und brauchen drogensüchtige Menschen in Köln? Die Mitarbeitenden des ASC kennen die Probleme, aber auch die Wünsche der Menschen, die ihrer Sucht im öffentlichen Raum nachgehen. Die Kooperation zwischen Gesundheitsamt und drei Suchthilfeträgern - dem Sozialdienst Katholischer Männer, der Drogenhilfe Köln und dem Verein Vision - soll im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit drogenabhängige Menschen in das bestehende Kölner Suchthilfesystem vermitteln. Um noch mehr Menschen zu helfen, sollen jetzt neue Stellen für weitere Streetworker geschaffen werden.
Die Basis: Anonymität und Freiwilligkeit
Manchmal dauere es lange, bis jemand diese Hilfe auch annimmt, sagt Stefan Lehmann. Bei einem Klienten habe es rund sechs Jahre gedauert, ihn in die Substitution zu vermitteln. „Wir reden hier von erwachsenen, selbstbestimmten Menschen. Es ist ganz wichtig, dass sie selbst ihre Entscheidungen treffen“, sagt Lehmann. Alles beruhe auf einer starken Basis der Anonymität und Freiwilligkeit. „Das ist ein ganz wesentliches Merkmal der niedrigschwelligen, aufsuchenden Straßensozialarbeit.“ Lehne jemand die Hilfe ab, sei das vollkommen okay. „Dann gehen wir am nächsten Tag wieder hin. Wir haben einen langen Atem und wir geben keinen auf.“
Die Menschen, die das Team des ASC im öffentlichen Raum aufsucht, konsumieren unter anderem Heroin, Kokain, Crack oder Amphetamine. Zuallererst geht es um eine Kontaktaufnahme: „Wenn wir jemanden noch nicht kennen, stellen wir uns vor und fragen zuerst, ob alles okay ist und ob er oder sie Hilfe braucht“, erklärt Lehmann die Kernaufgaben der Streetworker. „Wir führen eine ganz wertschätzende und wertfreie Kommunikation.“ Informationen, Beratung, unbürokratische Hilfe - das alles bietet das ASC an, etwa zu Krankenversicherung, Schulden oder Leistungsbezügen sowie dem Drogenkonsumraum.
Einer der Hotspots ist der Neumarkt
Eine Studie von Professor Daniel Deimel an der Katho NRW über die Drogenszene am Neumarkt stellte im vergangenen Jahr fest: 32 Prozent der 119 Befragten sind obdachlos und schlafen draußen. Es bestehe ein dringender Bedarf an Wohnraum und Unterkünften, insbesondere für Menschen, die noch sehr spät am Abend Drogen konsumieren und die vorhandenen Notschlafstellen nicht nutzen können.
Zuständig sind die Streetworker des ASC für das ganze Stadtgebiet. Die sogenannten Hotspots für die illegale Drogenszene seien aber seit vielen Jahren gleich: der Neumarkt und Umgebung, rund um den Hauptbahnhof, der Wiener Platz und Umgebung und das Areal zwischen den Haltestellen Kalk Post und Kalk Kapelle. Viele andere Plätze gehörten aber auch dazu, etwa der Appellhofplatz. Über ein großes Netzwerk erfahren die Streetworker zudem von anderen Lagerstätten oder Treffpunkten. Die meisten Klientinnen und Klienten, so wie die Konsumenten genannt werden, sind dem ASC bekannt.
„Sucht ist unglaublich facettenreich und äußerst individuell“, erklärt Lehmann. Die Konsumentinnen und Konsumenten illegaler Drogen, die auch im öffentlichen Raum konsumieren, seien nur ein Bruchteil dessen, was sichtbar sei. „Drogenkonsum gibt es in allen Gesellschaftsschichten“, weiß der Experte. Den einen Grund gebe es dafür nicht: „Menschen nehmen Drogen, um sich zu beruhigen oder um sich aufzuputschen“, so Lehmann, „oder sie greifen zu Suchtmitteln, weil sie körperliche oder seelische Schmerzen nicht mehr aushalten können.“ Meist führe ein langer Weg in die Abhängigkeit.
Schwangere im Drogenkonsumraum
Selbst wenn man um die Gründe weiß: Der sichtbare Konsum harter Drogen sei dennoch für viele schwer auszuhalten, so Lehmann. „Ich beziehe mich da übrigens mit ein. Für mich ist es auch nach vielen Jahrzehnten noch schwer, Dinge auszuhalten, gerade wenn es um lebensbedrohliche Situationen geht. Ich habe aber gelernt, dass es in Deutschland auch ein Recht auf Verelendung und auf Verwahrlosung gibt.“ Solange kein anderer in seiner Freiheit eingeschränkt sei oder Straftaten begangen werden, gilt die Entscheidung des Einzelnen. „Auch Schwangere dürfen den Drogenkonsumraum nutzen“, so Lehmann, der auch für den Konsumraum am Neumarkt verantwortlich zeichnet. „Wir bieten natürlich Hilfe an - nicht morgen, nicht in zwei Stunden, sondern sofort.“
Wenn man Stefan Lehmann fragt, was er sich wünscht, hat er schnell eine Antwort parat: „Dass wir Menschen nicht mehr stigmatisieren und dass wir zu Menschen nicht mehr Müll - also Junkie - sagen. Das ist menschenunwürdig.“ Es sei an der Zeit, besser aufeinander zu achten. „Am besten fängt man bei sich selber und im eigenen Kreis an.“ Kann man beim Drogenkonsumraum und dem Aufsuchenden Suchtclearing denn von Erfolg sprechen? Lehmann glaubt daran. „Wir retten Leben. Und das nehmen viele Klientinnen und Klienten dankbar an.“
Drogenkonsum in Zahlen
80 bis 120 Menschen gehören der Drogenszene am Neumarkt an, an anderen Stellen in der Stadt sind es ungefähr ein Drittel davon.
50 bis 80 Menschen besuchen täglich den Drogenkonsumraum am Neumarkt. Viele davon kommen mehrmals, manche jede Stunde.
Drogenkonsumräume im Rechtsrheinischen
Am Hauptbahnhof und am Neumarkt gibt es bereits zwei Drogenkonsumräume, in Kalk und Mülheim sollen nach einem Ratsbeschluss ebenfalls zwei weitere entstehen. Noch wurde kein Standort gefunden.
„Die Wirksamkeit von Drogenkonsumräumen sind wissenschaftlich belegt“, so Stefan Lehmann. Hilfsangebote sollten immer in der Nähe der Drogenszene etabliert sein, damit diese auch wahr- und angenommen werden.