Köln – Andrea Heil ist Mitglied bei „Architects for Future“, eine Initiative von Menschen aus dem Bereich Bau, die sich mit der Klimabewegung „Fridays for Future“ um Greta Thunberg solidarisieren. Das Ziel: einen nachhaltigen Wandel in der Baubranche anzustoßen. Ein großer Bremsklotz in der Praxis ist Beton. Der Baustoff ist ebenso allgegenwärtig auf Baustellen wie klimaschädlich.
Betonherstellung verursacht acht Prozent Treibhausgas-Emissionen
In der Klimadebatte stehen ja einige Sünder immer wieder am Pranger: das Auto, das Fliegen, die Kohle, manchmal auch die Kuh. Dagegen wird übers Bauen auffällig wenig gesprochen, dabei entfallen allein auf die Betonherstellung acht Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen. Warum ist das so?
Autos zum Beispiel sieht man jeden Tag in der Stadt, man sieht den Auspuff qualmen. Das ist natürlich plakativer als eine Baustelle. Bei Emissionen zur Herstellung von Produkten wie Baustoffen sprechen wir von sogenannten grauen Emissionen. Der Name macht es schon ganz gut deutlich: Das sind Emissionen, die in dem versteckt sind, was verbaut wird, im Beton oder im Stahl. Das ist erheblich, wird aber häufig in den Debatten übersehen.
Die Betonwüsten, die gerade in vielen Großstädten entstehen und neuen Wohnraum schaffen sollen, sind also die wahren Klimakiller?
Sie sind zumindest auch einer der Klimakiller, weil im Vorfeld viel CO2 ausgestoßen wird. Das Bindemittel im Beton ist der Zement. Gerade dessen Herstellung ist enorm CO2-intensiv, der CO2-Ausstoß der weltweiten Zementproduktion ist drei- bis viermal so hoch wie der des Flugverkehrs. In Anlehnung an den Begriff „Flugscham“ reden manche jetzt schon von „Betonscham“.
„Wir verbauen Beton einfach inflationär“
Sie fordern also den Beton-Verzicht?
Das ist eine große Diskussion innerhalb der Klimaschutz-Bewegung. Es gibt die Forderung, analog zum Kohle-Ausstieg auch einen Beton-Ausstieg einzuleiten. Ich bin Bauingenieurin und überzeugt, dass wir in manchen Bereichen Stand heute ohne Beton nicht auskommen; im Tunnelbau beispielsweise. Aber: Wir verbauen Beton einfach inflationär. Und da, wo er bereits in Form von Gebäuden verbaut worden ist, reißen wir diese einfach ab und bauen neue Beton-Klötze.
Also mehr recyceln fürs Klima?
Da müssen wir dringend umdenken. Recycling findet kaum statt, denn im Regelfall wird der Beton-Schotter nur zum Verfüllen von Löchern und im Straßenbau als Unterbau downgecycelt. Wir brauchen klimafreundlichen, kreislauffähigen Beton! Das Produkt muss von vornherein für Kreisläufe designt werden, anstatt sich erst nach dem Abriss Gedanken zu machen, was man jetzt mit dem ganzen Schutt macht. Und mit dem Bestandserhalt von Betontragwerken bei Sanierungen ist heute schon eine echte Kreislaufführung von Beton in Form eines zweiten Lebenszyklus nach der Sanierung möglich.
Ist Lobbyismus mitverantwortlich?
Wer verhindert hier denn Fortschritte? Etwa eine Beton-Lobby?
Klar! Es gibt große Beton-Hersteller in Deutschland und weltweit. Und natürlich diejenigen, die aufs Verbauen von Beton spezialisiert sind. Das Geschäft läuft gut und der Veränderungsdruck ist daher gering. Die Branche hat sich selbst Klimaziele gegeben…
Bis zum Jahr 2050 soll Beton klimaneutral werden…
Ja, es gibt Nachhaltigkeitsbroschüren, in denen man nachlesen kann, wie: Andere Industriezweige sollen riesige Mengen klimaneutrale Energieträger bereitstellen, die dann bei der Betonherstellung eingesetzt werden können. Die verbleibenden CO2-Emissionen sollen mit extrem energieaufwändigen Verfahren wie der sogenannten CCS-Speicherung am Schornstein abgefangen und zum Beispiel in Norwegen in den Boden gepumpt werden. CCS befindet sich aktuell erst im Entwicklungsstadium, ist extrem teuer und braucht selbst viel Energie.
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Wir schaffen uns da neue Endlager von Stoffen, die nicht entweichen dürfen, in diesem Fall CO2-Lager. Die zweite „Lösung“ ist CCU – Carbon Capture and Utilisation –, also CO2 am Schornstein abfangen und Nutzung des CO2, z.B. für die Herstellung von künstlichem Kerosin. Dann wird das CO2 immerhin zwei Mal „genutzt“, einmal für Zement und dann fürs Fliegen, aber am Ende ist es doch in der Atmosphäre. Also keine echte Lösung!
Im Betonpreis werden die Klimafolgen nicht mitgerechnet
Die Branche hält dagegen, der Beton entzieht der Luft im Zuge seiner Festigung auch CO2.
Ja, den Prozess gibt es, er heißt Carbonatisierung. Erstens wird dabei aber nur ein Bruchteil des CO2 aufgenommen, das bei der Produktion emittiert wurde. Zweitens gilt das nur für Beton, der unmittelbaren Kontakt zur Luft hat – etwa bei Brückenbauten. Gebäude sind ja meistens verputzt oder anderweitig verkleidet. Da entfällt dieser Prozess und damit auch das Argument. Zudem schadet die fortschreitende Carbonatisierung der Stahlbewehrung.
Aber mal aus Bauherrensicht betrachtet: Beton ist billig!
Na klar, aber warum denn? Weil die Klimafolgekosten nicht eingepreist werden. Weil die Zementindustrie vom EU-Emissionszertifikatehandel sogar profitiert, da sie mehr Zertifikate bekommt, als sie braucht, wie man kürzlich bei Frontal21 sehen konnte. Weil Zementhersteller sogar Geld bekommen, dafür, dass sie Restmüll als Brennstoff nutzen, statt dass sie Brennstoff einkaufen müssen. Und weil die meisten Zementwerke Befreiungen bekommen und nicht dieselben Katalysatoren und Filter wie Müllverbrennungsanlagen haben müssen, obwohl dort genau das immer mehr verbrannt wird: Müll. Außerdem werden immer neue Kiesabbaugebiete ausgewiesen. Bei uns in Bayern ist neuer Kies günstiger als gebrochener Altbeton. So hat Recycling keine Chance.
Der Wohnraum ist knapp, die Mieten steigen gerade in den Städten immer weiter. Wir müssen also doch bauen.
Die Debatte wird sehr eindimensional geführt. Viele Städte entwerfen auf grünen Flächen neue „nachhaltige“ Wohnquartiere. Was ist mit den vorhandenen Gebäuden? Warum nicht Baurecht schaffen und das Aufstocken von Wohnhäusern um ein bis zwei Stockwerke ermöglichen? Das ist mit Holz als Baustoff ohne Weiteres möglich. Darüber hinaus braucht es ein realistisches Leerstands-Management.
Wie viele Wohnungen stehen als Spekulationsobjekte in Großstädten leer? Wie viele Büroetagen sind nun dank Homeoffice ungenutzt und könnten zum Wohnraum umgebaut werden? Und: Die Bevölkerung in Deutschland ist ja ziemlich stabil. Wohnraum ist also eigentlich für alle vorhanden. Nur eben nicht da, wo die Menschen hinwollen, weil es dort vermeintlich attraktiv ist. Warum nicht die Regionen aufwerten, aus denen Menschen wegziehen? Die Antworten auf die Wohnraumknappheit lauten: Aufstocken, Umnutzen, Aufwerten. Aber sicher nicht: mehr Beton.
Es bedarf zukunfsfähiger Wohnraumkonzepte
Der Betonbau boomt ja nicht nur in Großstädten. Auch auf dem Land drehen sich die Betonmischer… was sind da die Alternativen?
Natürlich der Einsatz alternativer Baustoffe, etwa Holz. Aber auch hier gilt: den vorhandenen Wohnraum sinnvoller nutzen. Vielfach ist es doch so, dass die Babyboomer im Rentenalter jetzt alleine in ihren überdimensionierten Einfamilienhäusern sitzen, die Kinder sind längst ausgezogen. Das ist sicher nicht sinnvoll, weil der Wohnraum nicht effektiv genutzt wird.
Was wäre besser?
Die Grundrisse von Wohnhäusern sehen immer noch so aus wie in den 60er-Jahren. Wir brauchen zukunftsfähige Wohnraumkonzepte. Wieso nicht von vornherein so planen, dass sich das Haus nach dem Auszug der Kinder leichter aufteilen und beispielsweise eine Einliegerwohnung abspalten lässt oder das Dachgeschoss zur zweiten Wohnung umbauen. Da müssen wir einfach kreativer denken. Das ist sinnvoller als die Abrissbirne, um Platz für ein neues Wohnhaus zu schaffen.
Wie sinnvoll ist Holz als Alternative? Die Ressource ist begrenzt, und ein gefällter Baum speichert kein CO2.
Auch diese Frage ist in der Klimaschutzbewegung heiß diskutiert. Manche sagen: ,Wir bauen uns mit Holz aus der Klimakrise“. Andere sagen, man muss die Wälder stehen lassen, damit sie weiterhin CO2 einlagern. Ich persönlich bin eher auf der Seite von Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel setzt den Fichten-Monokulturen in Deutschland arg zu. Es zeichnet sich ja ab, dass die Zukunft in klimaresilienteren Mischwäldern liegt. Man sollte also die Fichten fällen, bevor sie Dürre oder Borkenkäfer zum Opfer fallen, und das Holz sinnvoll verbauen.
Wichtig dabei ist eine Einzelentnahme, kein Kahlschlag großer Flächen. Sonst ist der Waldboden ungeschützt und wird zum CO2-Emittenten. So kann der Waldumbau beschleunigt und das gespeicherte CO2 in langlebigen Strukturen wie Gebäuden eingelagert werden.