Strompreise steigen in NRWWas tun als Verbraucher in der Klemme?
Köln – Schätzungsweise mehr als zwei Millionen Strom- und Gaskunden bundesweit mussten sich im vergangenen Jahr kurzfristig und unfreiwillig nach einem neuen Energielieferanten umsehen. Zuletzt hatte der Lieferstopp der Versorger Stromio und gas.de für Schlagzeilen gesorgt. Die Kunden werden zwar vom Grundversorger ihrer Region weiterbeliefert – doch das kann teuer werden.
Große Preisunterschiede bei Energieversorgern
Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW, spricht in diesem Zusammenhang sogar von Schikane. Eine Stichprobe für Nordrhein-Westfalen, die er kurz vor dem Jahreswechsel auf Twitter veröffentlicht hat zeigt: Die Preisunterschiede der Energieversorger sind groß. Für Neukunden in der Grundversorgung kann es demnach vor allem bei den Stadtwerken Gütersloh teuer werden.
Ein 14-tägig kündbarer Tarif weist für 3000 Kilowattstunden einen Arbeitspreis pro Kilowattstunde von 91,98 Cent aus. Bei den Stadtwerken Münster werden 27,48 Cent fällig. Wird Eon für die Grundversorgung zum Beispiel in Osnabrück, im benachbarten Niedersachsen, gewählt, liegt der Preis bei 30,75 Cent. Die Ersatzversorgung übernimmt Eon nicht. Wie viele Kunden aufgrund eines Lieferstopps ihres Anbieters zu Eon in die Grund- und Ersatzversorgung gefallen sind, teilt das Unternehmen auf Anfrage unserer Redaktion nicht mit.
Größere Strommengen nötig
Doch nicht nur für Verbraucher kann der Wechsel in die Grund- und Ersatzversorgung mitunter deutlich teurer werden als zuvor, auch für die einspringenden Energieversorger kann eine hohe Zahl an Neukunden zu zusätzlichen Kosten führen: Sie müssen sich am Energiemarkt zum Beispiel mit zusätzlichen Strommengen eindecken. Und hier sind die Preise derzeit auf einem hohen Niveau.
Mit welchen Mehrkosten zu rechnen ist, die langfristig möglicherweise auch die Bestandskunden mittragen müssen, ist den Versorgern zufolge schwer einzuschätzen. Man müsse abwarten, wie sich der Preis weiterentwickele und dies mit den an den Börsen gesicherten Mengen abgleichen.
Es wird Kritik an Billiganbietern geäußert
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) übt derweil Kritik: „Billiganbieter betreiben Geschäftemacherei auf Kosten der Kunden und wälzen das ökonomische Risiko auf die Grundversorger ab“, so Präsidentin Marie Luise Wolff. Sie fordert ein Eingreifen der Bundesregierung.
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„Vor dem Hintergrund der durch externe Faktoren explodierenden Preise an den Energiemärkten kann es nicht weiter angehen, dass Anbieter in Niedrigpreiszeiten Reibach machen und sich bei steigenden Preisen nicht mehr um ihre Kunden kümmern.“ Dass Grundversorger Verantwortung übernähmen, müsse von der Politik honoriert und unseriösen Geschäftsmodellen in der Daseinsversorgung Einhalt geboten werden.
Tipps: Zählerstand notieren und Dauerauftrag abstellen
Wie viele Kunden 2021 von der Insolvenz oder dem Lieferstopp eines Anbieters betroffen waren – dazu gibt es laut Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen keine offiziellen Zahlen. Eigenen Schätzungen zufolge sind von einem Lieferstopp oder einer Insolvenz von Energiediscountern bundesweit rund 1,5 Millionen Stromkunden und bis zu 700000 Gaskunden betroffen, sagt Energieexperte Sieverding. Alleine der jüngste Lieferstopp von Stromio betreffe rund 700000 Stromkunden. Dass gas.de mit der Marke „Grünwelt Energie“ Kunden nicht mehr versorgt, betreffe rund 350000 Haushalte.
Betroffene Kunden sollten unbedingt Einzugsermächtigungen oder Daueraufträge widerrufen. Außerdem sollten sie sich schnellstmöglich den Zählerstand notieren und ihrem neuen Versorger mitteilen, rät die Verbraucherzentrale. Ohne Strom und Gas stehen die Kunden nicht da, der zuständige Grundversorger – meist Stadtwerke – übernehmen die Belieferung. Allerdings liegen meist die Preise höher als zuvor beim Energiediscounter.
Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Energiebelieferung?
Einige Grundversorger stufen Neukunden, die aufgrund der Insolvenz eines Energieversorgers in die Ersatz- und Grundversorgung wechseln, in einen teureren Tarif ein als Bestandskunden. Ob das zulässig ist, wird aktuell kontrovers diskutiert. Verbraucherschützern zufolge ist eine solche Praxis nicht zulässig. „Irgendwann werden darüber Gerichte entscheiden“, so Sieverding. Für den Energieexperten ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Energiebelieferung auch ein schlechtes Signal für den Wettbewerb. „Auch wenn ich Verständnis für die schwierige Situation der Energielieferanten habe, der Kunde, der sich auf einen Anbieterwechsel eingelassen hat, hat nichts falsch gemacht.“
Für das Jahr 2022 rechnet Sieverding sowohl mit weiteren Pleiten von Energieversorgern als auch mit Belieferungsstopps. Letzteres halten Verbraucherschützer für Trickserei von Discountern, die oftmals bereits als graue beziehungsweise schwarze Schafe aufgefallen sind. Nach Angaben der Bundesnetzagentur haben in diesem Jahr bereits 38 Energielieferanten – ohne Stromio – die Beendigung der Lieferung angezeigt. Zwölf von ihnen haben die Lieferung bereits eingestellt.