AboAbonnieren

Mit Rheinlandtaler ausgezeichnetDr. Carl Dietmar hat viele Mythen der Kölner Geschichte geradegerückt

Lesezeit 6 Minuten
Die Stadt als Forschungsobjekt: Historiker Dr. Carl Dietmar.

Die Stadt als Forschungsobjekt: Historiker Dr. Carl Dietmar.

„Das Ergebnis war für Köln nicht immer positiv, und das hat mir oft den Vorwurf eingebracht hat, Köln nicht zu lieben“, sagt Dr. Carl Dietmar.

Liebe ist manchmal schmerzhaft. So wie bei Ihrer Liebe zu Köln?

Als Historiker muss man ja den Gegenstand, den man bearbeitet, nicht unbedingt lieben. Eine Stadt muss man auch nicht lieben, aber ich habe mich immer bemüht, die Fakten richtig darzustellen. Das Ergebnis war für Köln nicht immer positiv, und das hat mir oft den Vorwurf eingebracht hat, Köln nicht zu lieben.

Wann haben Sie erstmals gemerkt, dass die Menschen in Köln ganz zufrieden sind mit vielen Halbwahrheiten in ihrer Geschichte?

In meiner Dissertation habe ich das Verhältnis des Hauses Luxemburg zu Frankreich untersucht. Ein zentraler Moment war die Schlacht von Worringen, die den Limburger Erbfolgekrieg entschieden hat. Es haben da zwei Parteien gekämpft, die einen Anspruch auf das Herzogtum Limburg erhoben hatten, der Graf von Luxemburg und der Herzog von Brabant. Der Kölner Erzbischof hat sich dann auf die Seite der Luxemburger geschlagen, die Bürger Kölns hatten dem Erzbischof ein Jahr vor der Schlacht von Worringen hoch und heilig versprochen, sich nie auf die Seite seiner Gegner zu schlagen. Ein Jahr später war dieses Versprechen vergessen. In der Kölner Stadtgeschichtsschreibung wurde diese Auseinandersetzung um Limburg nie richtig thematisiert, es ging immer nur um den großen Freiheitskampf der Kölner Bürger gegen den bösen Erzbischof. Das war es aber nicht. Im Grunde haben die Kölner ihr Treueversprechen gebrochen – ein Verrat steht also am Beginn der ruhmreichen Kölner Stadtfreiheit.

Wie kam es dazu, die angebliche Narrenrevolte von 1935 als blanke Übertreibung zu entlarven?

Karneval in der NS-Zeit war immer ein Tabu-Thema gewesen, das ist mir relativ spät aufgefallen. Als ich 1988 zum ersten Mal das Foto des antisemitischen Wagens aus dem Rosenmontagszug 1934 mit dem Titel „Die Letzten ziehen ab“ sah, dachte ich: Was ist das denn? In früheren Darstellungen war das Verhalten der Karnevalisten stets als Akt des Widerstands geschildert worden, vor allem mit Hinweis auf die „Narrenrevolte“. Dabei ging es aber nur um die organisatorische Unabhängigkeit. Den ideologischen Vorgaben der Nazis hatte man sich längst gebeugt. Diese dunkle Seite des organisierten Karnevals wurde totgeschwiegen.

„Trizonesien-Lied“: „Gutes Beispiel für den damals vorherrschenden Zeitgeist“

Und nach dem Krieg wurde das „Trizonesien-Lied“ zur heimlichen Nationalhymne...

Das Lied ist ein gutes Beispiel für den damals vorherrschenden Zeitgeist. Heute gibt es viele Menschen, die den Inhalt als unerträglich empfinden, denn nach Holocaust und Massenmorden sangen die Menschen in Köln fröhlich: „Wir sind keine Menschenfresser, doch wir küssen umso besser.“

Seit einigen Jahren wird in Köln der „Karl-Küpper-Preis“ für Zivilcourage verliehen — Küpper bot als Büttenredner den Nazis oftmals Paroli. Aber auch das ist nur ein Teil der Wahrheit, oder?

Genau. Er ist gegen die Nazis eingetreten, kein Zweifel, dafür gebührt ihm Hochachtung. Aber auch er hat in Büttenreden antisemitische Witze erzählt und sich über die „bolschewistischen Flintenweiber“ im Spanischen Bürgerkrieg lustig gemacht. In einer Biografie, die über ihn erschienen ist, wird derartiges aber nicht erwähnt. Damit will ich keineswegs sagen, dass Karl Küpper Antisemit oder Nazi war! Dass er aber sehr wohl wusste, worüber die Leute in den Sitzungssälen lachen, gehört nun mal zur Wahrheit.

Wie hat die Stadtspitze damals auf einige Ihrer Veröffentlichungen reagiert?

Es gab oft Beschwerden, auch vom Oberbürgermeister. Ein Beispiel: Im November 1992, nach den fremdenfeindlichen Anschlägen in Lichtenhagen, fand die wunderbare Solidaritätskundgebung mit rund 100 000 Menschen auf dem Chlodwigplatz statt. Der Beginn von „Arsch huh“. Was danach passierte, hat mich doch verwundert. Der Oberbürgermeister erzählte damals immer wieder, in Köln sei alles anders als im Rest der Republik — seit 2000 Jahren hätten hier Einheimische und Fremde friedlich zusammen gelebt.

Aber dem war natürlich nicht so.

Ich konnte es nicht mehr hören. Und hab„ einen entsprechenden Artikel geschrieben, in dem geschildert wurde, dassKöln seit dem Spätmittelalter eine sehr intolerante und fremdenfeindliche Stadt war. Die Juden durften erst seit 1797 wieder in der Stadt leben, 1424 hatte man sie ausgewiesen. Dann wurden die „Zigeuner“ rausgeworfen und schließlich die Protestanten. Mein Artikel ist dummerweise am Tag nach der Proklamation des Dreigestirns im Januar 1993 erschienen. Bebildert war er mit dem antisemitischen Karnevalswagen. Und ein Museumsdirektor war sich nicht zu schade, meinen Artikel als „Geschichtsklitterung“ zu bezeichnen.

Dietmar veröffentlichte mehr als 15 Bücher

Sie sind bei mehr als 15 Büchern Autor oder Co-Autor. Ihr Buch „Kölner Mythen - Wie die Kölner sich ihre Wahrheit basteln“ war allerdings das am wenigsten verkaufte.

Überspitzt bezeichne ich dieses Buch immer als mein „Lebenswerk“. Die Nazizeit ist das zentrale Element des Buches, aber auch die Stadtgründung und das Verhältnis zu den vielen Heiligen wird thematisiert. Es gab immer Dinge, die man sich in Köln im positiven Sinne zurecht gelegt hat. Nehmen Sie alleine die Behauptung: „Hitler war nur einmal in Köln und ist so kühl empfangen worden, dass er nie mehr wieder kam.“ Das stimmte natürlich nicht. Hitler hat selbst gesagt, in keiner anderen Stadt habe man ihm solche Ovationen bereitet wie in Köln. Aber sehr oft habe ich das Gefühl, dass viele Kölner diese Dinge gar nicht wissen wollen.

Insgesamt wurden von Ihren Büchern 180 000 Exemplare verkauft. In vielen Kölner Haushalten wird also irgendwo ein „Dietmar“ im Regal stehen.

Auf diese Zahl kann ich, so glaube ich, stolz sein. Wobei man sagen muss, dass es kaum eine andere Stadt gibt, die sich so sehr mit sich selbst beschäftigt, wie Köln. Ich besitze etwa 1500 Bücher über Köln. Wenn es allein zig Bücher über den Melatenfriedhof gibt, sagt das einiges über die Stadt aus. Insofern war damit zu rechnen, dass sich die Bücher einigermaßen gut verkauften.

Während des Studiums haben Sie mit einigen Kommilitonen die Zeitschriftenreihe „Geschichte in Köln“ gegründet. Das Gespür für diese Themen kam also schon früh.

Es ging damals nicht allein darum, ein Forum zu bieten für die Veröffentlichung guter studentischer Husarbeiten. Hauptanliegen war es, Köner Stadtgeschichte an der Universität zu verankern. Bis dahin gab es das nicht. An der Kölner Almer Mater ging es damals immer nur um Welt- und intergalaktische Geschichte. Unsere Zeitschrift hat dazu beigetragen, dass seither auch die Stadtgeschichte an der Uni eine Rolle spielt.

Sie sind bislang nicht gerade mit Auszeichnungen überschüttet worden. Erfüllt Sie die Verleihung des Rheinlandtalers deshalb mit Genugtuung?

Ja, es ist eine späte Anerkennung, und irgendwie fühlt man sich geschmeichelt, wenn man wahrgenommen wird. Dass dieser Preis vom Landschaftsverband verliehen wird, empfinde ich in gewisser Weise als bezeichnend.

Wann ist Ihr Interesse für Geschichte entstanden?

Offenbar schon sehr früh. Wir hatten zu Hause eine große Bücherwand, in der auch drei Bände mit dem Titel „Illustrierte Weltgeschichte“ standen. Als ich noch nicht lesen konnte, habe ich meine Mutter wohl dauernd gefragt, was es mit diesem oder jenem Bild in diesen Büchern auf sich hat. Sobald ich lesen konnte, habe ich in diesen Bänden gestöbert. Hört sich kurios an, aber so begann meine Liebe zur Geschichte.