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Verbrechen zur NS-ZeitAls in Kölns Unikliniken hunderte Menschen zwangssterilisiert wurden

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Personen sitzen im Publikum, ein Mann steht an einem Rednerpult und einige Männer sitzen auf einer Bühne und einem Podest.

Rektor Friedrich Bering spricht bei der Immatrikulationsfeier am 19. Januar 1943.

In den Universitätskliniken sind etwa 2500 Personen unfruchtbar gemacht worden, etwa zur Hälfte in der Chirurgischen Fakultät und der Frauenklinik.

Die Kölner Universität war während der NS-Herrschaft an Unrecht und Verbrechen beteiligt. In der Frauenklinik und der Chirurgischen Klinik wurden Menschen zwangsterilisiert, und das Anatomische Institut profitierte von der Hinrichtung politischer Gefangener im „Klingelpütz“. Mitarbeitende der Medizinischen Fakultät wurden aus ideologischen Gründen entlassen und verfolgt. In seinem beim Böhlau-Verlag erschienenen Buch „Die Medizinische Fakultät der Universität zu Köln in der NS-Zeit“ blickt der Medizinhistoriker Ralf Forsbach hinter die Kulissen dieser dunklen Epoche.

In den Universitätskliniken sind etwa 2500 Personen unfruchtbar gemacht worden, etwa zur Hälfte in der Chirurgischen Fakultät und der Frauenklinik. Aus den Sterilisationsbeschlüssen geht unter anderem hervor, dass 1187 Personen wegen „angeborenen Schwachsinns“, 403 wegen „Schizophrenie“ und 338 wegen „erblicher Fallsucht“ (Epilepsie) operiert werden sollten.

Kölner machte sein Schicksal öffentlich

Ein Opfer, der Zooarbeiter Paul Ludwig Quetting, war nach nationalsozialistischer Definition ein Jude. Der damals 22 Jahre alte Kölner hat sein Schicksal öffentlich gemacht: „Ich wurde 37 geholt und von da aus zur Staatspolizei und von da aus zur Lindenburg. Da wurde ich fertig gemacht. … Wenn man die Befruchter wegholt und die Hoden einspritzt, dass sie wie Steine sind – diese Menschen sind meistens gestorben. Ich staune über mich selbst, dass ich heute noch lebe. Aber viele meiner Freunde haben sich am Fensterkreuz (aufgehängt) oder sind aus dem Fenster. … Es war keine Sterilisation, es war eine Hodenkupie, wo man die Hoden herausgenommen hatte, die Hoden eingespritzt, sie waren wie Steine. … Mit diesen schweren Verletzungen musste ich Schwerstarbeit leisten.“ (NS-Dokumentationszentrum Köln, TK 11, Tonaufzeichnung Paul Ludwig Quetting).

Akten des Erbgerichtshofs dokumentieren auch, dass bei 992 durchgeführten Zwangssterilisationen in der Frauenklinik neun Operationsmethoden angewendet wurden, meistens: „Eileiter unwegsam gemacht“. 39 Frauen musste bei der Sterilisation auch Zwangsabtreibungen erdulden, darunter auch Schwangere im sechsten und siebten Monat. Die jüngste zwangssterilisierte Patientin war elf Jahre alt. „Mindestens sieben Jüdinnen wurden zur Zwangssterilisation eingeliefert. Von diesen wurden vier in der Shoa ermordet“, hat Forsbach erforscht.

Der Medizinhistoriker weist auch die Beteiligung von Schwesternschülerinnen der Lindenburg an der Deportation von Sinti nach. In einem Zeitzeuginnenbericht des NS-Dokumentationszentrums mit der damals 19-jährigen Marielies Herrmann halfen die Schwesterschülerinnen beim Lastwagentransport von „Zigeunern“ zum Messegelände Köln-Deutz mit.

Männer ziehen über eine Straße.

Rektor Hans von Haberer mit Hitlergruß beim Umzug aus Anlass des 550-jährigen Jubiläumszugs 1938.

„Bewaffnete Polizei stand vor einem Haus. Die Bewohner wurden aufgefordert, persönliche Dinge in ein Bündel zu packen und sie sollten ihre Musikinstrumente mitnehmen. … In einem Schlafraum lagen Kinder weinend in den Betten.“ Weiter heißt es in der Interviewzusammenfassung: „In Deutz führten die Schwestern die Frauen zum Duschen und Desinfizieren. Nach zwei Tagen auf dem Gelände wurden die Menschen mit einem Sammeltransport gen Osten gebracht. Den Schwestern wurde gesagt, die Zigeuner würden nach Polen zum Urbarmachen von Sumpfgebieten geschickt. Tatsächlich wurden die Menschen in das KZ Auschwitz transportiert.“ (NS Dokumentationszentrum, TK 1757, TK 2440, Interviews Marielies Herrmann, Zusammenfassung).

Während des Krieges wurden in den Kliniken auch Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. So in der Kinderklinik, wo sie zum Putzen und in der Küche eingesetzt wurden. 316 Zwangsarbeiterinnen wurden in der Frauenklinik zeitweise als Patientinnen untergebracht. Bei Transfusionen waren die Ärztinnen und Ärzte bestrebt, den Zwangsarbeiterinnen „gruppengleiches Blut“ zu geben, also Blut von Frauen derselben Nationalität. Als die übrigen Patientinnen der Frauenklinik während des Krieges weitgehend nach Mehlem evakuiert wurden, mussten die Zwangsarbeiterinnen im massiv gefährdeten Kölner Klinikgebäude verbleiben.

Wissenslücke geschlossen

Mit seinem Forschungsprojekt schließt Forsbach eine Wissenslücke in der Geschichte der Kölner Universität. Der Band gibt tiefe Einblicke in die verbrecherische Haltung der Fakultät, der Kliniken, Institute und der Verantwortlichen. „Aber wenn uns vor Augen geführt wird, wie an uns noch heute vertrauten Orten Verbrechen geschahen, zeigt dies einmal mehr, wie unmittelbar die Diktatur auch in unsere Medizinische Fakultät eingriff und wie wenig die Medizinische Fakultät diesem Eingreifen entgegensetzte“, schreibt Dekan Professor Dr. Gereon R. Fink in seinem Geleitwort.

Die Medizinische Fakultät der Universität zu Köln in der NS-Zeit, 328 Seiten, 136 Abbildungen, gebunden. ISBN: 978-3-412-52770-9 Böhlau Verlag Köln. 49 Euro.