AboAbonnieren

Interview

Reimredner Jörg Runge
„Im Karneval muss es auch mal wehtun“

Lesezeit 6 Minuten
Jörg Runge bei der Sitzung „Ärm en Ärm“ der Rundschau-Altenhilfe.

Jörg Runge bei der Sitzung „Ärm en Ärm“ der Rundschau-Altenhilfe.

Reimredner Jörg Runge spricht im Interview über die Kraft der Sprache, das Glücklichsein und gesellschaftlichen Egoismus.

Jörg Runge (52) steht als „Tuppes vum Land“ in der Bütt. Thorsten Moeck sprach mit ihm über Party im Saal und Respekt vor der Kunst.

Hauptsache Alkohol, Hauptsache dicht – Programmpunkte interessieren da nicht, heißt es in einem Ihrer Reime. Sie fordern Rücksicht und Respekt in den Sälen. Warum genau jetzt?

Schon seit zwei Jahren gibt es die Aktion „Mehr Respekt für Redner“, dieser Slogan ist mir aber zu plakativ und zu kurz gegriffen. Was kommt denn als nächstes? Redner bitte nicht füttern? Was im Saal passiert, ist Spiegelbild unserer Gesellschaft. Und das speist sich aus mehreren Themen, zum einen ist das verloren gegangener Respekt in der Gesellschaft, das andere ist die nachlassende Konzentrationsfähigkeit, das dritte Thema ist ein starker Trend zur Individualisierung, wodurch uns in der Gesellschaft oft der kleinste gemeinsame Nenner fehlt.

Bei Streaming-Portalen ist sogar jeder sein eigener Fernsehregisseur.

Exakt. Früher gab es drei Fernsehprogramme und Samstagabend-Filme waren ein Straßenfeger, und an der Bushaltestelle gab es ein gemeinsames Thema.

Wo im Alltag stellen Sie Egoismus fest?

Nehmen wir nur mal die Debatten im Deutschen Bundestag – da steht jemand am Rednerpult und spricht, während viele Abgeordnete im Saal demonstrativ auf das Handy starren. Das halte ich für ein fatales Signal, da sträuben sich mir als Kommunikationstrainer die Haare. Wir sprechen hier vom gesetzgebenden Verfassungsorgan der Bundesrepublik. Ich wünsche mir, dass Respekt nicht immer nur wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird, sondern auch in einer Debatte lebt. Als Beispiel taugt aber auch ein Supermarkt. Was passiert denn, wenn eine zusätzliche Kasse geöffnet wird? Mit Hauen und Stechen geht es dann um den eigenen Vorteil.

Es gibt nichts Schlimmeres, als sein Publikum zu ermahnen.
Jörg Runge

Mussten Sie schon mal eine Rede abbrechen?

Nein, tatsächlich noch nicht. Kürzlich bin ich in einem Festzelt aufgetreten, in dem vielleicht jemand registriert hat, dass da vorne ein jemand in der Bütt steht. Ich habe dann meine Rede geändert und meine „Festival-Rede“ gehalten, so nenne ich sie, die würde auch in Wacken funktionieren, ist kürzer und die Menschen können viel mitreimen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich mag Festzelte, niemand darf so zart besaitet sein und die Atmosphäre eines Schweigeklosters erwarten. Aber die Wahrheit liegt in der Mitte. Es gibt nichts Schlimmeres, als sein Publikum zu ermahnen.

Sie sind der letzte Reimredner im Kölner Karneval. Eine besondere Hypothek?

Bei den Reimen muss ich versuchen, sehr schnell auf den Punkt zu kommen. Bei einem Comedy-Abend kommen die Menschen extra für einen Künstler, das ist im Karneval anders. Man hat 20 Sekunden, um den Leuten klar zu machen, dass sich das Zuhören lohnen könnte. Als Hypothek empfinde ich das nicht. Es ist für mich immer wieder spannend zu sehen, wie die Kombination aus Sprache und Humor funktioniert.

Sie passen Ihre Rede laufend an. Manchmal sind komplette Passagen neu – ein ständiger Optimierungsprozess?

So ist es. Ich passe die Rede aktuellen Entwicklungen an, manchmal kommen mir aber auch spontane Ideen, die ich verwerte. Einerseits, so mein Eindruck, wollen die Menschen etwas Politisches hören, andererseits darf es inhaltlich nicht zu tief gehen. Ich mag die politische Rede sehr gerne, denn ursprünglich war es ja Sinn der Büttenrede, der Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten. Das passiert für meinen Geschmack zu wenig. Digitalisierungsthemen funktionieren aber auch sehr gut.

Jörg Runge auf der Bühne im Pullmann-Hotel.

Jörg Runge auf der Bühne im Pullmann-Hotel.

Sie sind Trainer für Glück und mentale Gesundheit. Wie schalten Sie vom Karneval ab?

Bei meinen Zusatzausbildungen geht es viel um Entspannungstechniken und Fokussierung. Ich stelle oft fest, dass Menschen in der Theorie viel wissen, aber die Umsetzung hakt. Davon profitiere ich auch. Den Karneval empfinde ich als ausgesprochen positiven Stress und bin sehr dankbar dafür, dass ich machen darf, was ich tue. Zum Abschalten gehe ich an die frische Luft, fahre mit meinem Rennrad oder schaue mit meiner Tochter Dokus.

Was macht Glück für Sie aus?

Glück hat viel mit Selbstwirksamkeit zu tun, mit dem Gefühl, etwas Funktionierendes zu tun. Von ganzem Herzen. Und für wichtig halte ich in unserer Zeit Ambiguitätstoleranz, also der Umgang mit Unsicherheiten.

Jörg Runge schreibt an humorvollem Lebensratgeber

Grundlage ist der Wille zur persönlichen Weiterentwicklung. Wo haben Sie Entwicklungspotenzial?

Ich denke beispielsweise sehr intensiv über eine Tuppes 2.0-Version nach. Mich beschäftigt die Frage, wie ich neue Elemente in meine Bühnenfigur einfließen lassen kann. Es geht letztlich darum, sich möglichst breit aufzustellen. Bei mir wird ein Soloprogramm folgen, mit dem ich dann in einem kleinen Theater auf der Bühne stehe. Ausschließlich mit Reimrede geht das aber nicht. Außerdem schreibe ich gerade ein Buch, das im Herbst erscheinen soll. Der Titel lautet: Happy Jeck. Das soll ein humorvoller Lebensratgeber werden.

Verkommt Kommunikation im Zeitalter der Kurznachrichten und Emojis?

Kommunikation ist die Eintrittskarte in die Welt. Und weil Kommunikation recht niederschwellig funktionieren kann, gibt es viele Menschen, die von sich behaupten, sdass sie es können. Mir geht es darum, Kommunikation auf ein anderen Qualitätsniveau zu bringen, vor allem, wenn es um Führungskräfte geht. Hier ist oft die Frage: Warum verstehen mich meine Mitarbeiter nicht?

Wie heißt es so richtig: Die Botschaft entsteht beim Empfänger.

Genau, ich beschäftige mich sehr intensiv mit Sprachanalyse, mit der kommunikativen Wirkung. Inzwischen lässt sich die kommunikative Wirkung eines Menschen mit Hilfe künstlicher Intelligenz sehr genau ausarbeiten. Ziel ist es, die eigene kommunikative Wirkung mittels KI zu analysieren und mit mir als Trainer dann in sogenannte Powertrainings zu gehen.

In Beziehungen kann das auch helfen.

Der klassische Satz in Partnerschaften: Du hast mich falsch verstanden. Dieses Thema fasziniert mich, ich kombiniere das mit Happiness und Gesundheitsberatung, für mich hängt das alles zusammen. Ich finde das hochspannend und mag die Energie, die entsteht, wenn das bei den Menschen ankommt.

Sie trainieren auch mit Dreigestirnen und Prinzenpassren. Macht das besonders Freude?

Es ist eine große Freude zu sehen, wie sich Dreigestirne bis zum Tag der Proklamation entwickeln. Mit dem Dreigestirn der Altstädter durfte ich intensiv arbeiten, mit den Roten Funken habe ich viel gearbeitet, aber auch mit dem Dreigestirn in Oberberg und Jan und Griet vom Reiterkorps Jan von Werth.

Müssen Sie heute genauer aufpassen, worüber Sie Witze machen, weil sich einige Menschen scheinbar schneller persönlich angegriffen fühlen?

In einer meiner Reden heißt es: „Wenn man es freundlich mit “Guten Tag„ probiert, fühlt sich der Erste ja schon provoziert.“ Ich finde, in der Gesellschaft ist eine Empfindsamkeit entstanden, die es oft unmöglich macht, miteinander in den Dialog zu treten. Als Karnevalsredner halte ich der Gesellschaft den Spiegel vor. Wenn ich vorher Meinungsforschung betreiben würde, wäre nach „Kölle Alaaf“ Schluss. Im Karneval muss es auch mal dahingehen, wo es vielleicht wehtut.