Köln – Nun also das Coronavirus. In der Historie des Kölner Rosenmontagszugs ist die Absage wegen einer Pandemie ein Novum. Seit der Zug im Jahre 1823 erstmals um den Neumarkt zog, waren meist politische Gründe ausschlaggebend für die jecke Stille. Im Jahre 1861 wurde aus Pietätsgründen nach dem Tod von König Friedrich Wilhelm IV auf das närrische Treiben verzichtet. Zehn Jahre später verhinderte der Deutsch-Französische Krieg den Umzug. Die Liste der Absagen ist lang. Als die Kaiserwitwe Augusta 1890 starb, zog der Rosenmontagszug schweigend ohne Musik durch die Innenstadt.
Holger Kirsch, der im Zug 2015 als Prinz auf dem letzten Wagen durch die Stadt gezogen wurde und nun im zweiten Jahr als Zugleiter die Gesamtverantwortung für das Spektakel trägt, bezeichnet den Rosenmontag unumwunden als „höchsten kölschen Feiertag“. Dieses Selbstverständnis ist durchaus historisch gewachsen. „Der Rosenmontagszug ist seit 1823 das über die Kölner Grenzen hinaus am meisten wirkende karnevalistische Element“, erklärt Brauchtumsforscher Dr. Michael Euler-Schmidt die Bedeutung des Festes. Schon damals hätten sich Karnevalisten in Aachen, Bonn und Düsseldorf an Köln orientiert. Bis heute ist das so. Nur hier wurde eine Fernsehsitzung aufgezeichnet (heute 20.15 Uhr, ARD). Nur hier gibt es einen Zug – im Puppenformat.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Karneval nur langsam in Fahrt
Als die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag und gesellschaftliche Aktivitäten mühsam wiederbelebt werden mussten, berappelte sich auch der Karneval sehr langsam wieder. „In den Jahren 1946 und 1947 haben erste Sitzungen stattgefunden, ein Jahr später haben die Roten Funken zu ihrem 145-jährigen Bestehen einen kleinen Zug an Rosenmontag veranstaltet“ , erzählt Oskar Hamacher (87). Mit einem Elefanten – eine Leihgabe des Circus Williams – seien einige Jecke über den Kaiser-Wilhelm-Ring gezogen. Hamacher ist gerade für 70 Jahre Mitgliedschaft bei den Roten Funken geehrt worden, sein Vater Eberhard war nach dem Krieg Präsident des Korps.
Als der Rosenmontagszug 1949 als „Erweiterte Kappenfahrt“ durch die Stadt zog, war Oskar Hamacher 15 Jahre alt, inzwischen stehen 68 Rosenmontagszüge auf seinem karnevalistischen Konto, davon einmal als Bauer im Kölner Dreigestirn. Vor seinem Haus weht die Funken-Fahne im kalten Wind. „Es ist ein seltsames Gefühl an diesem Tag zu Hause zu sein“, sagt er. Den Korpsappell der Funken hat er sich kürzlich als Stream angeschaut, seine Tochter hatte das Wohnzimmer dekoriert wie den Saal des Maritim-Hotels, wo Hamacher bei diesem Ereignis normalerweise sitzt und Erbsensuppe serviert bekommt. Rosenmontag wird Hamacher leiden.
Rosenmontag als orgiastische Feier des Lebens
Und er wird nicht der einzige sein. „Corona und Colonia sind Antipoden“, sagt Stephan Grünewald, der als Psychologe die Kölner schon so manches Mal auf die Couch gelegt hat. Rosenmontag sei eine orgiastische Feier des Lebens, „ein exaltierter Überschwang, das Fest der Farben“. Es habe eine befreiende Wirkung, einmal im Jahr alle Fesseln ablegen zu können, viele Regeln außer Kraft setzen zu dürfen. Diese Gefühlsexplosion gehöre zum rheinischen Lebensrhythmus dazu, sagt der Chef des Rheingold-Instituts. In Zeiten der Pandemie wächst die Sehnsucht nach Sinnlichkeit, sozialer Nähe und Umarmung, auch als Belohnung für die Beschränkungen und den Verzicht, den Corona den Bürgern seit Monaten abverlangt. Nit danze, nit schunkele, nit drinke en dr Weetschaff op dr Eck – für einen Kölner ist das kalter Entzug.
Zuletzt vor 30 Jahren ausgefallen
Ausgefallen ist der Zoch zuletzt vor 30 Jahren, 1991, weil Krieg am Golf herrschte. Bäckermeister Heinz-Ludwig Busbach, Prinz Heinz Ludwig I. (KG Schäl Sick Köln-Deutz), wurde um „seinen Zug“ gebracht. Er sagte später: „Es war für nix. Die Welt ist durch die Absage nicht besser oder schlechter geworden.“ Eine Reporterin fragte damals: „Wie können sie Karneval feiern, wenn am Golf Krieg herrscht?“ Tief enttäuscht antwortete er: „Wie können die Krieg machen, wenn wir Karneval feiern?“
Busbach wurde ein Jahr später halbwegs entschädigt, trotz eines platten Reifens („Ich hab gedacht: Es soll nicht sein“) konnte er auf einem eigenen Wagen im Zoch mitfahren. Dasselbe war es nicht. Dafür war die Absage Geburtsstunde für etwas Neues: Demonstranten und Karnevalisten zogen bei dichtem Schneetreiben durch die Straßen. Die einen protestierten gegen den Krieg, die anderen für das Recht auf Lebensfreude. Es fanden unter den Jecken ganz unterschiedliche Strömungen zueinander. Etwa der damalige „Stunksitzungspräsident“ Jürgen Becker (auf dem Traktor mit Sitzungsgefolgschaft) und Festkomitee-Chef Gisbert Brovot („Gisbert, wo is' denn hier der Zochwech?“) Brovot wusste es auch nicht so genau. Auf der Severinstraße stieg dann Tommy Engel zu, gemeinsam sang man vom Veedel, mehr kölsche Einigkeit geht nicht.
Kompensation muss her
An die Stelle des Verzichts rückte also sofort etwas Neues, das hielt die kölsche Seele im Gleichklang. Dieses Mal muss Kompensation her. „Ich rate dazu, sich private Verrücktheiten zu erlauben“, sagt Grünewald. Sich trotzdem zu verkleiden, mit der Familie ein paar Krapfen oder Berliner verdrücken, das Konfetti leise rieseln lassen. „Die Wehmut zu vergolden, das kann sehr berührend sein.“
Planungen für 2022
Zwei Karnevalspartys der KG Große Kölner im Gloria sind für die kommende Session bereits ausverkauft „Sweet Fastelovend“ heißt die beliebte Veranstaltungsreihe. „Vor allem das jüngere Publikum sehnt sich nach Normalität und blickt zuversichtlich auf das kommende Jahr“, sagt Präsident Dr. Joachim Wüst. Für die Sitzungen beginnt der Vorverkauf bei vielen Vereinen erst im Frühjahr.
Die Sitzungsprogramme für die kommende Session sind bereits im vergangenen Spätsommer gebucht worden. Auch beim Kartenverkauf haben die Vereine Normalität walten lassen. „Die Vereine gehen meist davon aus, dass sie den Saal komplett füllen dürfen. Das ist sicherer als den Vorverkauf kurzfristig zu beginnen“, sagt Festkomitee-Sprecher Michael Kramp.
Sollte die Corona-Pandemie sich auch auf die Veranstaltungen der kommenden Session auswirken, haben inzwischen die meisten Vereine Konzepte für kleinere Formate in der Schublade liegen. Auch die Rückerstattung von Tickets sei notfalls nicht so schlimm wie ein spärlich gefüllter Saal. (tho)
Schon im 19. Jahrhundert, so sagt es der Historiker Michael Euler-Schmidt, sei der Rosenmontagszug mit seinen politischen Darstellungen eine Art Freiluftkino gewesen. Und die Menschen waren Teil dieser Schau. „Der Kölner ist von Geburt an Karnevalist. Er müsste sich schon im Laufe seines Lebens dagegen entscheiden“, sagt Jacques Tilly, Chef-Wagenbauer aus Düsseldorf. In der Landeshauptstadt sei es genau andersherum. Daher treffe die Absage des Straßenkarnevals die Kölner härter als die Düsseldorfer, wo das Brauchtum nicht so tief verwurzelt sei in der Bevölkerung. Nicht nur 1991, sondern auch 1990 und 2016, als Stürme übers Land fegten, fand der Düsseldorfer Zoch nicht statt. Der Unterschied: Damals waren die Wagen fertig, 1990 und 2016 wurde der Zug im Frühjahr nachgeholt.
Dieses Mal baut Tilly nur acht Figuren. Zwei Stunden lang sollen sie auf Wagen in der Stadt zu sehen sein, das hat das Comitee
Düsseldorfer Carneval am Freitag mitgeteilt. Sie werden nicht im Konvoi, sondern einzeln auf drei verschiedenen Routen auf Anhängern durch die Straßen gefahren. Damit wollen die Karnevalisten verhindern, dass sich Zuschauergruppen bilden und gegen die Corona-Regeln verstoßen wird. Tilly kündigte an, er werde sich mit den Corona-Leugnern befassen.
Das sei ein „gefundenes Fressen“, sagt der 57-Jährige. Weil der Wahnsinn der queren Gedanken dem Wahnsinn des Straßenkarnevals in diesem Jahr den Rang abgelaufen habe.
Noch ein Hauch von Zoch also. Balsam für die Seele.