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Interview

Jugendkriminalität in Köln
Wie Adil mit 14 Jahren zum Tankstellen-Räuber wurde

Lesezeit 5 Minuten
Kriminalität ist oft ein Jugendphänomen, in den meisten Fällen bleibt es bei wenigen Straftaten. Um Mehrfachtäter kümmern sich die Mitarbeitenden im „Haus des Jugendrechts“.

Kriminalität ist oft ein Jugendphänomen, in den meisten Fällen bleibt es bei wenigen Straftaten. Um Mehrfachtäter kümmern sich die Mitarbeitenden im „Haus des Jugendrechts“.

Die Jugendkriminalität in Köln nimmt wieder zu, darunter auch Raubdelikte. Wir haben ein Gespräch mit einem Jugendlichen geführt, der zwei Tankstellen überfiel.

Adil (17) bevorzugt den Blick nach vorn, was größtenteils daran liegt, dass es das Leben bislang nicht immer gut mit ihm gemeint hat. Am Neujahrstag wird er volljährig, und für die Zukunft hat der junge Mann ernsthafte Pläne. „Ich möchte ein Gewerbe anmelden und im Online-Handel arbeiten. Dropshipping“, sagt er. Das Anbieten von Waren aller Art in einem Online-Shop, der dann Bestellungen an Großhändler weiterleitet. „Das Anwerben von Kunden liegt mir“, erzählt der junge Mann hoffnungsvoll.

Junger Straftäter in Köln: Von der Schule enttäuscht

Von der Schule hat sich Adil im Sommer mit dem Realschulabschluss verabschiedet. „Ich habe da nichts fürs Leben gelernt“, stellt er leicht frustriert fest. Praktika in der Gastronomie und in Autowerkstätten hat er gemacht, nun hat er ein wenig Leerlauf und wirkt aufgeregt wie ein Sprinter vor dem Startschuss. Außerdem endet in wenigen Tagen seine zweijährige Bewährungszeit. Und mit ihr geht ein Teil seines Lebens zu Ende, den er abhaken möchte. „Ich habe einen großen Fehler gemacht, den ich bereue. So etwas gehört sich nicht“, sagt er und wirkt wütend auf sich selbst. Als er 14 Jahre alt war, hat er mit einem Schulfreund in kurzer Zeit zwei Tankstellen überfallen. Damals war die Corona-Pandemie gerade überstanden.

Im Zuge der Pandemie ging die Jugendkriminalität in Köln spürbar zurück, nun ist das Niveau von 2019 wieder erreicht. Im Jahr 2022 zählte die Polizei 9487 Tatverdächtige unter 21 Jahren, 448 mehr als im Vorjahr, also etwa fünf Prozent. Noch gravierender ist der Anstieg der Tatverdächtigen, die jünger als 14 Jahre sind, hier liegt die Zunahme bei 11,4 Prozent. Bei Raubdelikten stieg die Zahl der Verdächtigen im Kindesalter sogar um 16 Prozent. „Gerade die Gewalt unter Jugendlichen und die kriminellen Karrieren jugendlicher und heranwachsender Intensivtäter bereiten mir Sorgen“, betont Kölns Kripochef Michael Esser immer wieder.

Der Tag, an dem Adil zum Tankstellenräuber wurde, begann mit einer Verabredung. Mit einem Schulfreund hatte er sich getroffen und auf einer Spielkonsole das Ballerspiel „Fortnite“ gezockt. „Plötzlich meinte mein Freund: Lass uns eine Tankstelle überfallen“, erinnert sich Adil. In der Nähe ihrer Schule hatten sie daraufhin eine Tankstelle beobachtet und auf einen günstigen Moment gewartet. „Wir haben uns ehrlich keine Gedanken gemacht, mein Freund meinte, ich soll einfach hinter ihm bleiben“, erzählt er.

Mit dem Küchenmesser in die Tankstelle

Mit einem Küchenmesser in der Hand drohte der Freund wenig später dem Kassierer der Tankstelle. „Ich habe geschrien: Geld her! Dann sind wir abgehauen“, schildert Adil den Moment des Überfalls. Mit 320 Euro Beute rannten sie davon. „Kurz darauf hörten wir die Sirenen vieler Streifenwagen, auch ein Hubschrauber flog über uns“, berichtet er. Mit der Straßenbahn seien sie nach Hause gefahren und dann gerannt. Als er völlig außer Atem die Wohnungstür öffnet und seine Mutter ihn erstaunt fragt, was los sei, habe Adil geantwortet: „Nichts. Ich bin gejoggt.“

In einem Bericht zur Entwicklung der Jugendkriminalität stellt die Kölner Polizei fest: „Jugendkriminalität ist vorwiegend Gelegenheitskriminalität, die opportunistisch motiviert und selten geplant ist. Die Tatausführung erfolgt meistens unprofessionell.“ So wie bei Adil und seinem damaligen Freund. „Während der Corona-Pandemie hatten viele Jugendliche zu viel negativen Freilauf. Und in der Zeit des Homeschoolings fehlte bei manchen Kindern eine wichtige Kontrollinstanz“, stellt Fabian Sandelmann fest. Er ist Bewährungshelfer beim Ambulanten Sozialen Dienst der Justiz. Und er begleitet Adil.

Festgenommen wurden Adil und sein Freund erst beim zweiten Tankstellenüberfall, gut eine Woche nach der ersten Tat. „Weil es beim ersten Mal geklappt hat, wollten wir das nochmal machen“, erzählt der Jugendliche. Wieder hatten sie ein Messer bei sich, außerdem hatten sie ihre Gesichter mit Schal und Corona-Maske verdeckt. Doch als die Jugendlichen Geld fordern, zögert die Kassiererin. „Wir sind sofort abgehauen, ein Sicherheits-Mann wollte uns festhalten, hat uns aber nicht erwischt. Mein ganzer Körper war voller Adrenalin“, erinnert sich Adil. Zuerst schnappte die Polizei seinen Kumpel, am Abend stand dann eine Streifenwagenbesatzung vor dem Mehrfamilienhaus, in dem Adil mit seinen Eltern und Geschwistern lebt. Auf der Wache wurden Fingerabdrücke und Speichelprobe entnommen. Später folgte eine Schuldfeststellung und die Verhängung einer zweijährigen Bewährungszeit.

Für Adil blieb es bislang bei diesen Taten. Jugendliche, die mehr als fünf Straftaten in kurzer Zeit verüben, werden im „Haus des Jugendrechts“ betreut, einer Einrichtung, von Stadt, Staatsanwaltschaft und Polizei. Zuletzt wurden hier 104 Jugendliche betreut. In der Landesinitiative „Kurve kriegen“ werden 40 Jugendliche begleitet, um ein Leben ohne Kriminalität anzustreben.

Welchen Einfluss die Corona-Pandemie und deren Folgen auf Kinder und Jugendliche hatten, ist zur gesamtgesellschaftlichen Frage geworden, auf die es keine einfache Antwort gibt. „Für Jugendliche aus sozial schwierigem Umfeld bedeutete die Pandemie oft einen Bruch. Einige sind anschließend nicht mehr zur Schule gegangen. Meiner Wahrnehmung nach hat sich das Leben deutlich stärker ins Internet und die sozialen Netzwerke verlagert, wo deutlich mehr Gewaltvideos gezeigt und geteilt werden“, schildert Bewährungshelfer Fabian Sandelmann seine Beobachtungen.

So war es auch bei Adil. „Teilweise hing ich zehn oder mehr Stunden pro Tag am Handy. Manchmal habe ich während des Homeschoolings heimlich mit Freunden gezockt“, erzählt er. Doch das sei vorbei. „Ich bin ein Naturmensch und könnte tagelang ohne Handy leben“, meint er. Am Neujahrstag ist er volljährig. Auf eine Party will er verzichten. Er sei kein Feiertyp, sagt er. Bald soll endlich die Karriere beginnen.