- Nein, er geht nicht leichten Herzens.
- Köln hat Uwe Jacob beeindruckt: das Engagement seiner Kollegen, die offene Art der Menschen.
- Als Polizeipräsident hat er in Abgründe geschaut, aber auch Gipfelerlebnisse voller Freude gehabt.
Köln – Als Mensch des Ruhrpotts fast fünf Jahre lang Dienst in Köln. Ein einziges Glücksgefühl?
Bevor ich hier Polizeipräsident wurde, kannte ich von Köln nicht viel mehr als den Dom. Alles andere durfte ich in den vergangenen viereinhalb Jahren kennenlernen: die Stadtgesellschaft, den Karneval, den Effzeh und alles was Köln noch so ausmacht. Ich habe mich sogar ans Kölsch gewöhnt. So ’ne Kölner Stange im warmen Sommer ist durchaus was Feines. Aber klar, anfangs traf Ruhrgebietsschnauze auf Kölner Singsang – wie ein Tsunami (lacht). Das war schon für manche gewöhnungsbedürftig. Aber ich glaube, viele haben schnell gemerkt: Hinter meinem rauen Ton liegt eine weiche Herznote. Sollte ich dennoch mit meinem direkten Charme jemandem zu nahe getreten sein – heute möchte ich mich dafür entschuldigen. War nicht böse gemeint.
Sind sie etwa als kerniger Ruhrpott-Malocher zum Karnevalsjeck geworden?
Einer meiner erstern Antrittsbesuche in Köln – kurz nach der Oberbürgermeisterin – war bei Christoph Kuckelkorn (Präsident des Festkomitees). Der hat mir einen anderthalbstündigen Vortrag über den Kölner Karneval gehalten. Und ich bin nicht weggenickt. Im Gegenteil: Das hat mich begeistert. Da habe ich zum ersten Mal begriffen: Kölner Karneval ist ein großes soziales Projekt: Festwagen auch für Rollstuhlfahrer, Sitzungen für Blinde, Karnevalisten, die das ganze Jahr über fürs Vereinsleben aktiv sind. Also mich hat das tief beeindruckt.
Nachfolge
Im Innenministerium des Landes NRW fallen die Würfel über den neuen Kölner Polizeipräsidenten. Die offizielle Verlautbarung dazu ist schmallippig: „Eine Nachfolge ist bislang nicht benannt, der Innenminister wird dem Kabinett zu gegebener Zeit einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten“, so ein Sprecher. Und wann ist die Zeit gekommen? „Das Ziel ist stets einen schnellstmögliche Nachbesetzung.“
Der „Flurfunk“ ist ergiebiger und räumt den jetzigen Polizeipräsidenten aus Mönchengladbach und Wuppertal, Mathis Wiesselmann und Markus Röhrl, Chancen ein. Eine Benennung bis drei Monate vor der Landtagswahl gilt als geboten. (ngo)
Da haben Sie aber jetzt einen sehr wichtigen Aspekt beim Karneval ausgelassen: das Feiern.
Moment. Richtig begeistert war ich, als ich direkt vor dem Rosenmontagszug 2020 gegangen bin. Mein persönlicher Referent hat mich damals begleitet. Anfangs sagten wir noch: Komm, bis da vorne zu der Kreuzung gehen wir noch mit, dann biegen wir ab. Doch dann kam die Altstadt, der Jubel, einige riefen: Da ist ja unser Polizeipräsident. Wir sind die ganzen siebeneinhalb Kilometer vor dem Zug hergegangen. Ein unglaubliches Erlebnis. Mal nicht Mord und Totschlag. Einfach nur pure Freude. Das mir so etwas ermöglicht worden ist. Obwohl, da fällt mir gerade ein, ich hatte gar keine offizielle Erlaubnis vom Festkomitee. Hab ich einfach so gemacht (lacht).
Dieser Freude stand der Missbrauchskomplex aus Bergisch Gladbach gegenüber. Sie scheuten nicht davor zurück, einige der unglaublich grausamen Täter-Videos anzuschauen. Wie kann man damit umgehen?
Einen ganzen Tag dieses Beweismaterial zu sichten, das hatte ich mir auch schon mal als Leiter des Landeskriminalamtes angetan. Das sind menschliche Abgründe, Auswüchse, die einem wirklich nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich habe immer noch ein Video vor Augen, in dem ein Säugling auf unvorstellbar grausame Weise vergewaltigt wird. Und das mitten in Deutschland, mitten unter uns. Um so etwas zu verarbeiten, reden wir natürlich im Kollegenkreis darüber. Wir haben mittlerweile professionelle Hilfsangebote für alle Kollegen geschaffen, die damit in Berührung kommen. Tja, und manchmal musste auch meine Familie herhalten, weil es einfach nicht mehr anders ging, weil es raus musste. Es kommt ja Gott sei Dank auch nicht jeden Tag vor (atmet tief durch).
Aber warum haben Sie sich das nicht erspart? Sie waren ja nicht direkt in die Fahndung nach den Tätern eingebunden.
Wenn man in der Verantwortung steht, diese unvorstellbaren Taten zu ahnden, dann muss man sich das anschauen, um dieses hohe Maß an Kriminalität und Gewalt zu kennen und einordnen zu können. Das habe ja nicht nur ich so gemacht, sondern unter anderem auch der Innenmister des Landes NRW.
Das Internet bietet Kriminellen heute ein weites Betätigungsfeld, nicht nur bei Kindesmissbrauch. Wie hat das die Polizeiarbeit verändert?
Extrem. Um das zu verdeutlichen, stelle ich immer als Gag gerne eine Gegenfrage: Sicherlich können Sie sich noch an das Sommermärchen 2006 (Fußball-WM in Deutschland) erinnern. Was war damals die am häufigsten herunter geladene App?
Hmm. Wahrscheinlich eine zum Fußball.
Nein, gar keine. Damals gab es noch keine Smartphones. Das erste iPhone kam 2007 raus. Und mittlerweile sind Smartphones nicht mehr wegzudenken aus unserem Leben. Daran können Sie sehen, wie rasant die Entwicklung ist. Jede Straftat die es im analogen Leben gibt oder gab, existiert mittlerweile auch im Internet. Darum bauen wir auf allen Ebenen Kapazitäten zur Bekämpfung von Internet-Kriminalität weiter aus, auch in Köln. Die Polizei muss da Schritt halten. Aus diesem Grund bin ich nach wie vor für die Datenvorratsspeicherung. Die bedeutet ja nicht, dass wir alles für immer sammeln und jederzeit beobachten, sondern, dass wir bei Bedarf an relevante digitale Beweise herankommen können.
Vor den dunklen Seiten der digitalen Welt ist auch die Polizei nicht gefeit. Polizisten in rechten Chatgruppen: Wie tief hat sie das getroffen?
Ich hätte das nie für möglich gehalten, was da in Essen und Mülheim ans Tageslicht gekommen ist – wie übrigens die meisten Kollgen auch nicht. Wir haben das hier zum Anlass genommen, über 400 Vorgesetzte nochmals ganztägig zu schulen, für solche Ansätze zu sensibilisieren. Mittlerweile gibt es einen Extremismusbeauftragten im Präsidium. In diesem Zusammenhang wird ja häufig das Argument benutzt, Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ich sehe das nicht so. Kolleginnen und Kollegen, die zu uns kommen, sind handverlesen. Die durchlaufen einen mehrtägiges Auswahlverfahren. Sie werden ganz besonders in Fragen der Rechtsstaatlichkeit geschult, erlernen soziale und interkulturelle Kompetenzen. Dennoch, auch in Köln gab es niederschwellige Fälle, die es nicht hätte geben dürfen. Wenn es überhaupt etwas Positives an den Fällen bei uns gibt: Sie sind alle aus den eigenen Reihen heraus ans Tageslicht gekommen.
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Sind das vielleicht auch Auswüchse des Frusts? Es gibt Einsätze, da werden Polizisten bespuckt und beleidigt.
Ich kenne auch dieses Argument. Aber ich glaube das nicht. Dafür habe ich hier zu viel Engagement kennen gelernt. Natürlich hat man mal einen dicken Hals. Jedem platzt mal der Kragen. Aber so wie ich meine Kollegen kenne: wo können wir hier noch helfen, wo da noch mit anpacken. Auf die Überstunden wird nicht geschaut. Das machen sie nicht, wenn sie Frust schieben. So nämlich ist die Kölner Polizei. Wenn Sie das im Alltag mal anders erfahren – bis Montag können Sie es mir noch sagen.
Montag ist Ihr Letzter. Und dann?
Kommt Dienstag (lacht). Bis dahin muss ich noch 60 Tage Urlaub und 1200 Überstunden abfeiern. Und Sie werden sehen, das klappt. Am 1. Februar ist alles weg.