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Interview mit Kölner Ägyptologen„Habe mich schon früh für die Alte Welt interessiert“

Lesezeit 6 Minuten
Richard Bußmann

Richard Bußmann forschte in Cambridge, 2016 wechselte er nach Köln. 

  1. Richard Bußmann ist Professor für Ägyptologie an die Universität zu Köln.
  2. Ein Gespräch über die Sozialstruktur der Ägypter, Bier für den Pyramidenbau und Nofretetes Schönheit

2022 wird ein großes Jahr für Ägyptologen: Vor 200 Jahren wurden die Hieroglyphen entziffert, vor 100 entdeckte man das Grab von Tutenchamun. Prof. Richard Bußmann von der Uni Köln freut sich darauf.

Wen finden Sie hübscher: Mona Lisa oder Nofretete?

Nofretete natürlich. Allein schon, weil da aus meiner wissenschaftlichen Forschung heraus eine gewisse Loyalität erwachsen ist. Nofretete hat eine spannende Biografie und eine ebensolche Nachgeschichte.

Ihr Gesicht ist tatsächlich zeitlos schön.

Und das, obwohl die Werkstoffe weitaus simpler und billiger daherkommen als bei vergleichbaren Köpfen: bemalter Gips über einem Kalksteinkern.

Was haben Sie früher als Schüler über die alten Ägypter gedacht?

Man lernt, dass die ägyptische Gesellschaft hierarchisch wie eine Pyramide aufgebaut war. Und dass dann „gottseidank“ die Griechen und Römer mit der Demokratie gekommen seien. Aber die Sache ist natürlich viel komplexer. Ich habe mich schon früh für die Alte Welt interessiert. Latein war mein Lieblingsfach, Altgriechisch habe ich privat gelernt.

Zur Person

Richard Bußmann wurde 1975 in Dortmund geboren. Er studierte von 1995 bis 2002 Ägyptologie, Altorientalistik und Theologie in Heidelberg und Berlin. 2007 promovierte er zum Thema „Die Provinztempel Ägyptens von der 0. bis zur 11. Dynastie: Archäologie und Geschichte einer gesellschaftlichen Institution zwischen Residenz und Provinz“.

Als Postdoktorand der Humboldt-Stiftung forschte er 2010 an der Universität Cambridge, um dann bis 2016 Ägyptologie und Ägyptische Archäologie am University College London zu unterrichten. 2016 wechselte er als Professor für Ägyptologie an die Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Sozialarchäologie. Im Jahre 2019 wurde er zum Generalsekretär des Internationalen Ägyptologen-Verbandes gewählt.

Der Wissenschaftler Bußmann wohnt in der Kölner Innenstadt.

www.aegyptologie.phil-fak.uni-koeln.de

Sie haben über die Provinztempel Ägyptens promoviert. Also sozusagen über die antike Eifel.

Kann man so sagen. Mich interessiert die „einfache“ Bevölkerung, die Kultur jenseits der Eliten. Es muss eben nicht immer Gold, Könige und Nofretete sein.

Was war auf dem Land damals anders als in den Metropolen?

Spannend sind etwa die Lokalheiligtümer mit ihren Votivobjekten. Die sind sich landesweit sehr ähnlich, es ging häufig um typische Alltagssorgen wie die Gefahren bei einer Geburt.

Wie gut ist Ihr Hieroglyphisch?

Ich wollte mal ein knallharter Philologe werden, aber es kam anders. Für komplizierte Texte bräuchte ich Hilfsmittel, zumal diese Texte immer auch in ihrem kulturellen Zusammenhang verstanden werden müssen. Selbst eine wirklich sinngemäße Übersetzung aus dem Englischen kann schwierig sein, wie jeder weiß. Mir geht es in meiner Forschung eher um die Kombination von Text, Bild und materieller Kultur und um deren soziologische Deutung.

Einer Ihrer Schwerpunkte ist die „Sozialarchäologie“. Was ist damit gemeint?

Wir benutzen archäologische Befunde, um die Gesellschaft dahinter zu erforschen. Also zum Beispiel ethnische Identitäten.

Wie waren Fremdarbeiter beim Pyramidenbau gegenüber Einheimischen gestellt?

Natürlich kennen wir keinen einzelnen Arbeiter namentlich. Aber wir wissen, dass die hierarchische Stellung viel bedeutender war als die ethnische. Ein Elitebeamter verkehrte eher mit Menschen desselben sozialen Status als mit dem Bauern von nebenan. Da hat sich offenbar nicht viel geändert.

Gab es für Pyramidenbauer schon eine Art von Arbeitsrecht?

Sehr unwahrscheinlich, wir kennen jedenfalls keine Texte dazu. Aber es mag mündliche Abmachungen gegeben haben.

Stimmt es, dass die Bauarbeiter mit Getreide für ihr Bier bezahlt wurden?

Die Ägypter kannten noch kein Geld, man wurde mit Brot, Bier und Getreide entlohnt. Das belegen archäologische Befunde und Verwaltungstexte.

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Wie hat wohl dieses Brot und Bier geschmeckt? Eher nicht wie Kölsch vermutlich.

(lacht) Das Brot bestand aus Gerste, Weizen kam erst etwas später auf. Und das Bier war im Prinzip Brot, das man auf ein Sieb legte und zum Gären mit Wasser übergoss. Es handelte sich also um eine Art Brotpampe mit recht niedrigem Alkoholgehalt. Kölsch schmeckt sehr wahrscheinlich besser.

Die Römer haben Köln gegründet, die Ägypter waren nie hier. Warum nicht?

Die Ägypter haben sich sehr weit aus ihrem Kernland herausbewegt. Aber eher gen Süden. Dort lag Nubien, der heutige Sudan, wo ebenfalls eine frühe Hochkultur existierte – allerdings ohne Schrift.

Gab es in Kölns Gründungsphase ägyptische Einflüsse?

Dank des römischen Versorgungsnetzes im Weltreich gelangten auch Produkte aus der „Kornkammer“ Ägypten nach Westeuropa. Und denken Sie an den aus Ägypten importierten Isis-Kult, der hier im Rheinland, auch in Köln, sehr präsent war! In Mainz etwa hat man 2000 ein großes Isis-Heiligtum gefunden, das bis ins 3. Jahrhundert genutzt wurde.

Dreieckige Grundfläche, nach oben hin spitz zulaufend: Was macht die Pyramidenform so faszinierend?

Die Form entstand allmählich über mehrere Generationen. Man suchte nach einer exklusiven Gestaltung für Königsgräber. Dafür stapelte man rechteckige Baukörper versetzt übereinander, so dass zunächst eine gestufte Pyramide entstand. Später wurden die Seiten mit glatten Verkleidungsblöcken zu einer ebenen Fläche umgestaltet. Als Symbol wurde die Pyramide später mit Bedeutung aufgeladen, etwa indem man sie einer Himmelsleiter gleichsetzte.

Die Römer entwickelten einen Zement, der bis heute hält. Was erinnert an das alte Ägypten?

Auch die Ägypter haben schon Mörtel verwendet – aus gehäckseltem Schlamm. Ebenso kannten sie Wandverputz, der auch bemalt wurde. Außerdem fertigte man z.B. Besen aus dem Geflecht der Dattelpalme – die ähneln den Strohbesen, wie man sie heute noch zum Teil in Ägypten verwendet.

Das Ägypten-Bild wird seit Jahrzehnten von Schinken wie „Moses“ mit Charlton Heston geprägt. Kann man das brauchen?

Auch in der Archäologie braucht man Phantasie, um die Vergangenheit aus den erhaltenen Bruchstücken zu rekonstruieren. Wie die Drehbuchschreiber nutzen wir Archäologinnen und Archäologen die Bibel als Quelle – wenn man auch sehr kritisch damit umgehen muss.

Hat sich das Rote Meer denn nun geteilt oder nicht?

Es gibt Thesen zu ausgetrockneten Wadis, die dieser Legende als Vorlage dienten. Aber in der Archäologie geht es nicht mehr nur darum, ob die Bibel Recht hat. Andere Fragen sind wichtiger geworden.

Sie sind der Generalsekretär des Internationalen Ägyptologenverbandes. 2022 wird ein wichtiges Jahr für Ihre Organisation.

Allerdings! Die Entschlüsselung der Hieroglyphen jährt sich zum 200., die Entdeckung von Tutenchamuns Grab zum 100. Mal. In dem Zusammenhang wird es weltweit Aktivitäten geben. Auch unser Kölner Institut beteiligt sich an den Festivitäten.

Ist das alte Ägypten im heutigen präsent?

Die Präsenz ist viel intensiver als in Deutschland. Bedenken Sie: Hierzulande kennt man, was die Vorzeit betrifft, vielleicht noch die Himmelsscheibe von Nebra. Viele andere Befunde sind deutlich weniger spektakulär. In Ägypten hingegen stößt man hinter jeder Ecke auf jahrtausendealte Relikte.

Profitiert das heutige Ägypten von diesem Erbe?

Der Tourismus, auch zu antiken Stätten, ist eine wichtige Einnahmequelle für den ägyptischen Staat. Für die Gestaltung der Zukunft sollte man sich aber vor allem mit der Gegenwart auseinandersetzen. Die ägyptische Bevölkerung ist divers und im Schnitt recht jung. Hier gibt es viele neue Ideen und Impulse, auch für den Umgang mit dem archäologischen Kulturerbe.

Der Sphinx hat den Menschen so interessante wie schwierige Rätsel gestellt. Welches Rätsel müssen sie heute lösen?

(lacht) Das erinnert mich an die Frage nach dem Sinn des Lebens in Douglas Adams’ „Per Anhalter durch die Galaxis“.

Die Maschine berechnet dort 7,5 Millionen Jahre und beantwortet die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest mit: „42“.

Genau. Mit der Entstehung früher komplexer Gesellschaften wie dem alten Ägypten, Mesopotamien oder den Maya gab es einen Schub in Richtung sozialer Hierarchiebildung. Ich denke, eine große Aufgabe der Menschheit besteht darin, globale Ungleichheit zu bekämpfen und die Klimaprobleme zu lösen.