Interview mit Kölner Kirchenmusik-Komponist„Irgendwie ist jedes Gloria ein Partysong“
Musiker werden nicht nur seit Jahren von Spotify gebeutelt, sondern nun seit geraumer Zeit auch vom Coronavirus. Besonders schwierig ist die Situation für junge Musiker, die ihren Weg noch vor sich haben. Von Niedergeschlagenheit oder Gejammer ist Andreas Theobald jedoch weit entfernt.
Ihre preisgekrönte Komposition „Gloria“ sei „ein bisschen in den Weihnachtskontext eingeboren worden“, sagen Sie. Inwiefern?
Zum einen ist sie tatsächlich in der Weihnachtszeit vor einem Jahr entstanden. Zum anderen ist jedes „Gloria“ ein Partysong, wie man heute sagen würde: Das Jesuskind ist da, jetzt wird gefeiert!
Die Glorie steht für die göttliche Herrlichkeit. Wie drückt man das musikalisch aus?
Früher hat man beispielsweise für Könige Fanfaren gespielt – mit Pomp, Pauken und Trompeten. Aber heute hat man ein anderes, weniger gewaltiges Bild von Herrschaft. Ich habe mich für eine sehr persönliche Herangehensweise entschieden und mich bei meiner Komposition an einem Sturm orientiert.
Zur Person
Andreas Theobald wurde 1996 in Bonn geboren. Seine musikalische Karriere begann mit dem Akkordeon und führte über den Chorgesang zu Klavier und Orgel. Nach dem Abitur kam er 2016 nach Köln, um an der Musikhochschule Jazzklavier zu studieren. Durch seine Mutter, eine Geigerin, und den Orgeln bauenden Vater kam er früh zur Sakralmusik.
Bis heute pflegt er diese ebenso wie den Jazz. Er unterstützt fremde Kombos, spielt in eigenen Verbindungen und war Mitglied im Jugend Jazz Orchester NRW. Außerdem unterrichtet er als Klavier-Dozent an der Kölner Jazzhausschule und an der Landesmusikakademie NRW. Im Frühjahr 2021 wurde ihm für sein Stück „Gloria“ der Kölner Musica Sacra Nova-Preis verliehen. Er geht an junge Künstler bis 35 Jahren. Seit dem 10. Dezember gibt es eine neue CD des Andreas Theobald-Trios: „Movimiento“.
Andreas Theobald wohnt in Deutz.
Die Mitschnitte des Preisträgerkonzertes mit dem „Gloria“ von Theobald werden an Silvester ab 13:30 Uhr vom Deutschlandfunk übertragen.
In Bethlehem war schlechtes Wetter?
Ich persönlich fürchte mich vor Stürmen. Der unheimlichste Moment ist immer der, kurz bevor es kracht. Und mit dieser Stimmung der Ruhe vor dem Sturm fängt auch mein Stück an.
Beim Kölner Musica Sacra Nova-Wettbewerb 2021 wurden über 50 Werke aus 19 verschiedenen Ländern anonym eingereicht. Warum, glauben Sie, haben Sie gewonnen?
(lacht) Man sagte mir, es sei zu hören gewesen, dass mein Stück von Herzen kommt. So hat es jedenfalls ein Jury-Mitglied formuliert. Ich denke, mich hat auch mein Jazz-Hintergrund herausstechen lassen.
Sie mussten die Musik für einen lateinischen Messetext schreiben.
Und ich war ein miserabler Lateinschüler. Das war eine große Herausforderung. Aber es hilft, wenn man weiß, dass sich schon sehr arrivierte Komponisten an einem „Gloria“ versucht haben. Ich liebe besonders die D-Dur Messe Op.86 von Antonín Dvořák.
Wegen Corona mussten Sie das Stück ein Jahr ruhen lassen, bevor Sie es hören konnten. Waren Sie von sich überrascht?
Das war tatsächlich so, ein seltsames Gefühl. Ich hatte ja komplett allein komponiert und mir Instrumente und Chor vorstellen müssen. Es nach einem Jahr zu hören war irritierend. Ein bisschen wie sich selbst von außen zu betrachten.
Wie entstehen solche Kopf-Stücke?
Das wichtigste ist die Grundidee.
Das Riff, wie man in der Rockmusik sagt.
Genau. Wenn das „Riff“ gut ist, ergibt sich daraus das ganze Werk. Wie die Orgel spielt, wie der Chor zu singen hat, das ergab sich alles von dieser ersten Basis aus.
Was ist eigentlich Sakralmusik?
Diese Musik hat die Aufgabe, den Hörer in seinem ganz eigenen, spirituellen Kontext zu bewegen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Schön gesagt. Woran erkennt man Kirchenmusik?
Sakral- und Kirchenmusik muss man unterscheiden. Auch Jazz kann sakralen Charakter haben.
Sakralmusik hat Sie schon als Kind am stärksten beeindruckt, sagen Sie.
Meine Mutter ist Geigerin und mein Vater Orgelbauer, von daher bin ich vorbelastet. Deshalb war ich von klein auf in Kirchenkonzerten und in den Sonntagsmessen. Beeindruckt hat mich dieses theatrale Zusammenspiel von Messeritual und Musik. Eine Inszenierung, bei der bestimmte Stimmungen erzeugt werden – wie auf einer Theaterbühne. Wenn das gelingt, ist das sehr berührend.
Könnten Sie Ihre Orgel, Ihr Klavier eigentlich selbst reparieren?
Nein. Aber ich habe ja die Nummer meines Vaters. (lacht)
Ihr zweites Standbein ist der Jazz, Sie studieren Jazzklavier an der Kölner Musikhochschule. Sehen Sie Überschneidungen zur Sakralmusik?
Absolut! Als Organist hat man die Aufgabe, zu begleiten und sich jeder Situation, zum Beispiel dem Tempo der Gemeinde anzupassen. Was im Zusammenspiel entsteht, kann sakral wirken – hier wie da.
Mag Gott Disharmonien?
Ganz sicher (lacht). John Coltrane wird in einer Kirchengemeinde in San Francisco als Heiliger verehrt.
Improvisieren neben den Jazzern auch die Kirchenorganisten?
Manche improvisieren sogar um ihr Leben. (lacht) Ich mag diese Lockerheit der Organisten. Die erfahren meist erst kurz vorher, was gespielt wird, und dann legen die los. Ist doch faszinierend: Man ist mit großem Ernst bei der Sache und nimmt sich zugleich viele Freiheiten.
Ihr Lieblingskomponist ist Bach. War der jazzig?
Das ist ein gefährliches Thema. Es gibt Stücke von Bach, die würden auch in einem heutigen Jazzkonzert nicht auffallen. Bach war zugleich seiner Zeit meilenweit voraus und zeitlos. Was ich nicht mag, ist Bach zu verswingen – weil Bach keine Modernisierung nötig hat.
Sie sind 2016 von Bonn nach Köln gekommen. Ist Köln eher jazzig oder sakral?
Ehrenfeld ist jazzig, manch anderer Stadtteil eher nicht. Köln ist ein wichtiges Jazzzentrum in Deutschland, keine Frage. Die vielen Kirchen wiederum stehen zwar fürs Sakrale, aber auf mich wirken sie nicht sehr lebendig. Da würde ich gern mehr Jazz, mehr Leben reinbringen − eine meiner Aufgaben für die Zukunft.
Nun ist Weihnachten: „White Christmas“ von Sinatra oder „Last Christmas“ von Wham?
Ich mag beide Songs sehr gern, und ich habe auch beide schon gespielt – verjazzt natürlich.
„Driving home for Christmas“ von Chris Rea oder „Merry Christmas everybody“ von Slade?
Letzteres. Das Lied von Christ Rea ist mir zu getragen. Es fällt übrigens auf, dass diese gängigen Weihnachtslieder fast alle mit Mobilität zu tun haben: Coming home for Christmas!
Wie sieht das bei Ihnen aus?
Nach Bonn habe ich´s ja nicht weit. Aber weil wir eine große Familie haben, müssen wir uns die Tage geschickt aufteilen. Eine riesige logistische Aufgabe! Ich habe intensive telefonische Vorverhandlungen geführt, um festzulegen, welchem Essen ich wann und wo beiwohne.
Es gibt schlimmere Probleme.
Das stimmt allerdings.
Welches klassische Weihnachtslied ist Ihnen am liebsten?
Wenn ich die Frage auf Adventslieder erweitern darf: „Die Nacht ist vorgedrungen“. Der Text stammt von Jochen Klepper, einem Theologen, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war. 1942, nach jahrelanger Drangsalierung durch die Nazis, hat er sich umgebracht.
Was gefällt Ihnen an dem Lied?
Es spricht von der Hoffnung in allerdüstersten Zeiten. Meine Lieblingsverse: „Wer noch zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein, der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“