Jan Martin Scharf schreibt Drehbücher für die Kölner Tatorte mit Ballauf und Schenk. Mit Bernd Imgrund spricht er über das Geheimnis eines guten Krimis.
Kölner Tatort-Autor im Interview„Köln-Tatorte stehen für harte soziale und politische Themen“
Warum haben Sie zunächst Geschichte und Politik studiert?
Vielleicht, um die Welt ein bisschen besser zu verstehen. Aber vor allem, weil ich Architektur schon abgebrochen hatte und zu jung für die Filmhochschule war. Ich als Architekt − das war der dynastische Traum meines Vaters. Ich musste also „Vatermord“ begehen und brauchte zwischenzeitlich ein Parkstudium.
Ab 1996 waren Sie an der New York Film Academy. Coole Zeit?
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Bomben-Zeit! Große Stadt, große Unabhängigkeit, großes Sich-Selbst-Neu-Erfinden. Und es war natürlich toll, sich zwischen diesen vielen kreativen Menschen zu bewegen, denen das selbe wichtig war wie mir.
Nämlich?
Filme zu machen, damals noch auf 16 Millimeter. Das gibt's heute praktisch nicht mehr. Physisch Film zerschneiden und mit Klebeband neu zusammenfügen − da gehöre ich wahrscheinlich zur letzten Generation.
Lebten Sie in Köln damals anders als in New York?
In Köln war in den 90ern um 18.30 Uhr alles zugesperrt. New York hingegen geht nie schlafen. Damals habe ich auch noch in Klettenberg gewohnt, wo es nochmal ruhiger war. Heute lebe ich in der Südstadt − die schläft auch nie. (lacht)
Woran schreiben Sie gerade?
An einem weiteren Köln-Tatort − wie immer mit meinem Kollegen Arne Nolting. Die große Herausforderung bei den Kölnern besteht darin, nach rund 90 Folgen immer wieder neue Fälle zu entwickeln. Erstaunlicherweise gelingt uns das immer wieder.
Wie wird man Tatort-Autor?
Arne und ich fanden es richtig, dass wir als Kölner ein Drehbuch fürs Kölner Flaggschiff schreiben. Und das fand man dann beim WDR und der Bavaria Filmproduktion offenbar auch. Köln-Tatorte stehen für harte soziale und politische Themen. Wir versuchen, möglichst süffige, spannende Geschichten zu erzählen. Das kann in krankhafter Gier oder in perversen Abgründen gipfeln. Aber wir erzählen von den Figuren her, nicht von den Themen. Das Soziale erzählen wir dann gern mit, aber es steht nicht im Fokus.
Was meinen Sie mit „süffig“?
Die Zuschauer müssen eintauchen können in die Geschichte. Die falsche Fährte und Überraschungen gehören auch dazu − jedenfalls bei einem Krimi.
Tatorte erzählen abgeschlossene Geschichten. Die Charaktere der Ermittler entwickeln sich deshalb kaum über die Jahre.
Es gibt Konstanten im Leben der Kommissare: Schenk ist verheiratet, Ballauf nicht. Ballauf wurde anfangs als Gigolo inszeniert und lebte im Hotel. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein. So gesehen entwickeln sich die Figuren. Gleichzeitig ist jedoch wichtig, solche Biografien ein Stück weit offen zu halten für die jeweils nächsten Drehbücher.
Zuschauer kritisieren bei Krimis vor allem die Glaubwürdigkeit, die Logik der Handlung.
Glaubwürdigkeit ist uns natürlich sehr wichtig, wir recherchieren gründlich. Die Realität ist allerdings so komplex, dass Geschichten sie verdichten müssen. Die Frage ist dann: Wurde zulässig verdichtet oder unzulässig vereinfacht.
Warum sind Krimis so unglaublich beliebt?
(lacht) Weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Ich denke, es liegt an der spannenden Ausgangslage: Der Zuschauer möchte das Rätsel gelöst bekommen. Es ist sehr schwer, auszusteigen, bevor die Welt nicht wieder in Ordnung beziehungsweise ein Stück weit erklärt ist.
Sie führen auch hin und wieder selbst Regie. In welchem Verhältnis steht der Regisseur zum Drehbuchautor?
Ich begreife das Regieführen als verlängerten Arm des Drehbuchschreibens. Der Autor erfindet eine Geschichte, der Regisseur gestaltet sie durch.
Wer verdient mehr: der Regisseur oder der Drehbuchschreiber?
Ich denke, in absoluten Summen liegen sie gleichauf. Aber ein Drehbuch zu entwickeln dauert ja meist viel länger als den Film dann zu drehen.
Ein Buch-Krimi hat, sagen wir, ab 200 dicht beschriebene Seiten. Wie lang ist ein Tatort-Drehbuch?
Rund hundert eher locker gefüllte Seiten. Eine Seite, eine Minute Film, sagt man Pi mal Daumen.
Wie groß ist der Schritt vom Drehbuch zum Kriminalroman?
Der Roman ist ein literarisches Werk. Je höher der Anspruch an die Prosa, desto mehr Zeit dürfte ein Buch in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite unterliegt der Roman weniger budgetären Zwängen — man kann in seiner Fantasie leicht durch die ganze Welt reisen und sich die luxuriösesten Schauplätze heraussuchen. Aber ich bin von Hause aus näher am Film als am Roman.
Sie arbeiten zu zweit an Ihren Drehbüchern. Wie funktioniert das?
Erfinden und Texten sind verschiedene Arbeitsphasen. Wir setzen uns zuerst zusammen und denken uns, sehr minutiös, unseren Plot aus. Danach geht man allein in sein Büro und schreibt zum Beispiel die erste Fassung, um sie dann dem Kollegen zum Überarbeiten zu geben.
Worüber ärgern Sie sich bei der Verfilmung Ihrer Drehbücher?
In jeder Szene eines Drehbuches sind spannende, rührende, komische Momente angelegt. Wenn Schauspieler und Regisseur auch nur einen Moment davon verpassen, bin ich sauer. Andersherum entwickeln sie aber auch häufig Bonusmomente, die ich freudig willkommen heiße.
2018 waren Sie Mitgründer von Kontrakt18, einem Zusammenschluss von Drehbuchautoren. Was wurde daraus?
Das ist eine seltene Erfolgsgeschichte! Wir haben einen Forderungskatalog erstellt, um die Urheberschaft der Drehbuchautoren angemessen zu würdigen. Die Aktion hat große Wellen geschlagen, es gab konstruktive Gespräche mit Sendern und Produzenten. Und letztendlich wurden die Forderungen weitgehend umgesetzt.
Hat man in der TV-Branche nur Bekannte oder auch Freunde?
(lacht) Sowohl als auch. Filmemachen ist etwas Wunderschönes. Wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, arbeitet man wie in einem Rausch und entwickelt eine tiefe zwischenmenschliche Beziehung. Viele Mitwirkende unserer Serie Club der Roten Bänder haben sich ein rotes Band tätowiert.
Und andersherum?
Nun gut, wenn sich herausstellt, dass der Eine nur vorhat, mit dem anderen Geld zu verdienen, dann entsteht daraus eben keine Freundschaft. Aber dazwischen existieren auch viele konstruktive Zweckgemeinschaften.
Was haben Sie als Kind gern gesehen?
Als Kind hatten wir zu Hause tatsächlich keinen Fernseher. Ich glaube, daher rührt meine Faszination für Filme. Wenn ich bei meiner Oma war, habe ich am liebsten Abenteuergeschichten und Ein Colt für alle Fälle gesehen.
Worauf achten Sie heutzutage beim Krimi-Schauen?
Krimis stecken voll von Tropen, von bestimmten Kombinationen und Konstellationen. Da achtet man schon darauf, ob der Kollege eine ganz neue Variante gefunden hat. Auf der einen Seite freut mich das dann. Auf der anderen hätte ich die lieber selbst entdeckt, weil man es jetzt nicht mehr so machen kann.
Morgen Abend ist es wieder soweit: Eine von Ihnen und Arne Nolting geschriebene Tatort-Folge wird ausgestrahlt. Einfache Schlussfrage: Wer ist der Mörder?
(lacht) Jemand, von dem es niemand erwarten würde!
Zur Person
Jan Martin Scharf, geboren 1974, wuchs in Klettenberg auf. Er studiert zunächst Geschichte, VWL und Politik, wechselte jedoch 1996 an die New York Film Academy. 1998 bis 2004 studierte er dann an der Kölner Kunsthochschule für Medien.
Schon der Diplomfilm des Drehbuchautors und Regisseurs erhielt mehrere Auszeichnungen. Scharf schrieb in den folgenden Jahren Drehbücher für Serien wie SOKO Köln, Wilsberg, Der letzte Bulle und Alarm für Cobra 11. Zusammen mit seinem Kollegen Arne Nolting schrieb er auch die Drehbücher für die Serie Club der roten Bänder, die mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, und erfand Serien wie Barbaren und Weinberg.
Gemeinsam mit Nolting zeichnet er zudem für mehrere Folgen des Kölner Tatort verantwortlich − so auch für jene am morgigen Sonntag. Jan Martin Scharf wohnt in der Südstadt.
Tatort am Sonntag
Die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, Foto links) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) landen laut einer aktuellen Umfrage unter TV-Zuschauern nach den Ermittlern aus Münster auf dem zweiten Platz der Beliebtheitsskala. Seit bald 27 Jahren kümmern sie sich gemeinsam um Kriminalfälle in der Domstadt.
Der Tatort „Pyramide“, der am Sonntag ausgestrahlt wird (ARD, 20.15 Uhr), ist der 89. Fall für das Kölner Tatort-Duo. Wie immer haben die beiden Ermittler eine Menge zu tun: Sie müssen eine Geiselnahme beenden, ein Entführungsopfer aufspüren, legen sich mit einem Demagogen an und entlocken einem Verzweiflungstäter die Hintergründe seiner Tat. Schauplatz des ganzen ist eine Investmentfirma. Das brisante daran: Sie verkauft ahnungslosen Anlegern überteuerte Finanzprodukte. Einer, der damit das große Geld machen will, ist Andŕe Stamm ( Rouven Israel). Dafür muss er nur das tun, was Firmengründer Christopher Komann (Robin Sondermann) von seinem Team fordert: Verkaufen, verkaufen, verkaufen!
Der TV-Krimi aus der Feder von Jan Martin Scharf und Arne Nolting folgt dieses Mal nicht der klassisch-linearen Erzählweise: In einzelnen Rückblicken, in sogenannten „Flashbacks“, wird die Vorgeschichte der eigentlichen Handlung erzählt. Regie hat Tatort-Neuling Charlotte Ann-Marie Rolfes geführt.