- Prof. Dr. Wolfgang Fastenmeier, 62, ist Chef der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie.
- Er steht der Einführung von E-Scootern besonders im Stadtverkehr sehr kritisch gegenüber.
- „Nicht alles was es gibt, muss im öffentlichen Raum stattfinden“, findet der Experte.
Köln – Die Elektrokleinstfahrzeuge sind seit einigen Wochen eingeführt, vor allem der E-Scooter ist sehr präsent in der Stadt. Wie bewerten Sie die Fahrzeuge aus verkehrspsychologischer Sicht?
Ich stehe der Einführung sehr kritisch gegenüber, denn es handelt sich um eine neue Mobilitätsform, die ursprünglich aus dem Sport- und Spielbereich stammt und jetzt plötzlich im öffentlichen Straßenraum zugelassen wird.
Was genau sehen Sie kritisch?
Es gibt eine ganze Reihe von Punkten. Es handelt sich um Elektrokraftfahrzeuge und somit unterliegen sie auch den Regelungen anderer motorisierter Fahrzeuge, beispielsweise beim Thema Alkohol – das ist vielen aber gar nicht bewusst.
Aber sind sie nicht zumindest nachhaltig?
Es wird gerne behauptet, sie würden die sogenannte letzte Meile erleichtern, das halte ich aber für illusorisch. Ich erwarte eher Kannibalisierungseffekte, sprich: Eigentlich umweltfreundliche Rad- und Fußwege werden von einem Kraftfahrzeug ersetzt.
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Vor allem die Schutzfunktionen von Gehwegen und Fußgängerzonen werden dadurch gefährdet und es ist zugleich ein Türöffner für die verstärkte Nutzung von Fahrrädern auf Gehwegen. Die haben wir jetzt auch schon, aber jetzt verstärkt sich der Anreiz, dass der knappe Verkehrsraum von zu vielen Verkehrsmitteln verbotenerweise genutzt wird.
Was zu Unfällen führt.
Stand der Wissenschaft ist, dass Mischverkehr auf Gehwegen zu einem starken Anstieg von schweren Unfällen führt, vor allem bei den Fußgängern und dort sind insbesondere die schwachen Gruppen betroffen, also Senioren, Kinder, Sehbehinderte und Mobilitätseingeschränkte. Das führt sogar dazu, dass Fußgänger die Fußwege seltener nutzen, wenn sie sich unsicher fühlen – und das ist eigentlich nicht erwünscht.
Ihrer Ansicht nach haben die E-Scooter im Straßenverkehr nichts verloren?
So würde ich das formulieren, ja. Es gibt Länder, die das auch so sehen, etwa Großbritannien. Dort darf man diese Kleinstfahrzeuge im privaten Raum nutzen, sonst nicht. Das wird dort auch mit teils erheblichen Strafandrohungen verfolgt.
E-Scooter sind nur Spielzeug?
Ja, letztlich schon. Daher stammen sie ja auch. Nicht alles was es gibt, muss im öffentlichen Raum stattfinden. Kritisch sehen wir auch die Altersfreigabe von 14 Jahren.
Warum?
Weil wir diese Altersgrenze für unangemessen halten. Wenn man sicher im Verkehr unterwegs sein möchte, erfordert das ein gewisses Maß an psychomotorischen, kognitiven und auch sozial-emotionalen Kompetenzen. Man braucht für den Verkehr vor allem die Fähigkeit der selektiven Aufmerksamkeit, sie entwickelt sich aber erst ab ungefähr 14 Jahren.
Was ist erlaubt? Polizei kontrolliert mehr
Seit 15. Juni sind die Elektrokleinstfahrzeuge in Deutschland erlaubt. Der Begrifft umfasst etwa elektrische Tretroller, Segways, Hoverboards, aber auch die E-Scooter. Das Bundesverkehrsministerium nennt sie „ eine ausgewogene Lösung“ zwischen neuer Mobilität und Verkehrssicherheit.
Die Fahrzeuge brauchen eine gültige Versicherungsplakette, dürfen nur zwischen sechs und 20 Stundenkilometer schnell sein und müssen auf dem Radweg oder Radfahrstreifen fahren, wenn sie vorhanden sind – ansonsten auf der Straße. Der Gehweg ist für sie verboten, ebenso das Fahrern mehrerer Person gleichzeitig.
Es braucht keinen Helm und Führerschein, die Nutzer müssen 14 Jahre alt sein. Es gelten dieselben Alkoholgrenzwerte wie für Autofahrer.Darauf weist auch die Polizei hin: „Die Fahrt unter Alkohol- und /oder
Drogeneinfluss kann zum Entzug der Fahrerlaubnis führen.“
Sie rät den Nutzern, sich mit den E-Scootern zunächst vertraut zu machen. Zudem empfiehlt die Polizei, Helm und Protektoren zu tragen.
Die Polizei hat gegenüber der Rundschau angekündigt, verstärkt kontrollieren zu wollen und neue Konzepte im Umgang zu erarbeiten. Zu Unfallzahlen hat sie keine Bilanz vorliegen, das soll noch folgen. (mhe/ta)
Gerade die Gruppe der 10-bis 14-jährigen Radfahrer zeichnet sich durch die höchsten Unfallraten aus, weil sie sehr leicht ablenkbar ist, etwa über das Smartphone oder über Gespräche mit Freunden.
Zumal der Platz ohnehin in der Stadt immer enger wird, schon viele Auto- und Radfahrer kämpfen miteinander.
Der Verkehrsraum ist eben sehr begrenzt und die einzelnen Verkehrsmittel betrachten sich häufig unter eher „feindlichen“ Gesichtspunkten, anstatt auch einmal die Perspektive des anderen einzunehmen. Für alle Beteiligten ist jetzt noch ein weiterer Konkurrent vorhanden.
Aktuell herrscht ein immenser Hype um E-Scooter. Glauben Sie, dass der sich hält?
Das ist natürlich spekulativ. Ich könnte mir vorstellen, dass die Fahrzeuge gerade am Anfang für viele Menschen etwas Neues sind, das sie ausprobieren wollen. Aber ich vermute, das flaut auch wieder ab, wenn die Menschen merken, dass es vielleicht gar nicht so praktisch ist. Das hat man ja auch an den herkömmlichen Tretrollern gesehen, die haben sich auch nicht so stark durchgesetzt wie vorhergesagt.
Können die Fahrzeuge das Auto ersetzen?
Nein. Der motorisierte Individualverkehr wird damit nicht zurückgedrängt, was ein Ziel unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sein kann. Sie stellen keine vernünftige Alternative dar, weil ihr Radius sehr begrenzt ist.
Es wird deshalb niemand sein Auto abschaffen?
Ja, das würde ich so sagen. Es ersetzt sogar die eigentlich umweltfreundlicheren Fortbewegungsmittel wie das Fahrrad oder zu Fuß unterwegs zu sein. Da ist es doch viel vernünftiger, endlich einen attraktiven öffentlichen Personennahverkehr zu schaffen.