Nebenjob „Juicer“Neues Geschäftsfeld durch E-Scooter-Trend
- Ein „Juicer“-Pärchen stellt uns ihren neuen Nebenjob vor.
- Es stellt sich heraus: Ein Knochenjob, der „eigentlich wirklich Spaß“ macht.
- Aber kann man mit dem Aufladen von E-Scooter-Akkus wirklich das große Geld machen?
Köln – Mittlerweile hat Ben den Dreh raus. Geschickt stapelt er drei E-Scooter übereinander und schiebt sie über die Straße. „Stapeln kann ich auch vier oder fünf. Mit drei Rollern übereinander kann ich sogar fahren“, lacht er. „Lass das!“, meckert Freundin Jenny. „Das ist gefährlich.“Seit zehn Tagen sind Ben und Jenny (Namen geändert) Juicer. Ein ganz neues Geschäftsfeld, das die Flut der elektrischen Tretroller mit in die Stadt gebracht hat.
Seit gut vier Wochen rollen die E-Scooter des Leih-Anbieters Lime durch Köln. Am Tag düsen sie durch die Straßen, am Abend sind die Akkus leer. Das Unternehmen übernimmt das nächtliche Aufladen der Roller nicht komplett selbst, sondern überträgt die Aufgabe den sogenannten Juicern. Jeder, der sich über Nacht ein paar Euro dazu verdienen will, kann Juicer werden.
Personalbogen ausfüllen, Gewerbeschein vorlegen – Los geht's!
„Man muss nur einen Personalbogen ausfüllen und einen Gewerbeschein vorlegen. Den hatte ich sowieso“, erklärt Ben. Mit seiner Freundin, die als Angestellte arbeiten, wohnt er nahe des Hauptbahnhofs. Ihren Lebensunterhalt kriegen die beiden auch ohne den Job des Juicers zusammen, mit dem zusätzlichen Verdienst wollen sie sich ihren Urlaub finanzieren.
Wieder viele Scooter-Unfälle
Sieben Mal musste die Polizei allein in den ersten beiden Stunden des gestrigen Sonntags wegen Vorfällen mit E-Scootern eingreifen. In allen Fällen waren die Fahrer betrunken, in einigen Fällen ergab der Alkoholtest Werte von bis zu 2 Promille. Oft waren die Rollerfahrer den Beamten schon wegen ihrer unsicheren Fahrweise aufgefallen. Zwei Führerscheine wurden eingezogen, außerdem wurden etliche Ordnungswidrigkeitsverfahren eingleitet.
Zwei Scooter-Fahrer wurden schwer verletzt . Eine Frau stürzte kurz nach Mitternacht ohne jede Fremdeinwirkung auf der Venloer Straße mit ihrem Roller. Hinterher stellte sich heraus, dass sie 2 Promille im Blut hatte. Die Frau musste in eine Klinik.Schwer verletzt wurde auch ein Scooter-Fahrer an der Luxemburger Straße. Er war in entgegengesetzter Fahrtrichtung unterwegs und kollidierte mit einem Taxi. Der Alkoholtest ergab 1,8 Promille. (EB)
„Wir sind den Juicern dankbar, die uns seit dem Start in Köln beim Aufladen unserer E-Scooter unterstützen“, erklärt ein Lime-Sprecher. „Sie ergänzen unser bestehendes Support-Team.“ Darüber, wie viele Juicer in Köln aktiv sind, gibt das Unternehmen keine Auskunft, auch weil die Zusammenarbeit auf flexibler Basis beruht und die Zahl somit von Tag zu Tag variiert.
Unternehmen gibt klare Richtlinien vor
Seit zehn Tagen ist das Paar unterwegs, 400 Euro sind laut eigener Aussage bisher auf dem Urlaubskonto gelandet. Brutto, wohlgemerkt. Für einen aufgeladenen Roller gibt es vier Euro. Und das auch nur, wenn der Vorgang nach den Richtlinien von Lime ausgeführt ist.
Das heißt: Morgens muss der Scooter vor 8 Uhr an einer dafür vorgesehenen Station abgestellt werden, der Akkustand muss über 95 Prozent betragen. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es Abzüge. „Für den Strom gehen dazu rund 20 Cent pro Roller drauf. Und dann muss das Ganze auch noch versteuert werden“, rechnet Ben vor.
Reich wird man „Juicen“ nicht
Vier Ladegeräte gibt es zum Start umsonst, weitere kosten extra. Ben und Jenny hatten Glück und bekamen zusätzliche Ladegeräte aus Promo-Zwecken umsonst.Mit dem „juicen“ Geld zu verdienen, ist in Anbetracht dieser Rechnung schwer. Im Vorteil sind Studenten, die umsatzsteuerbefreit sind. Da sie aber in der Regel in ihrem Ein-Zimmer-Haushalt oder der WG kaum Platz zum Aufladen haben, kommt auch diese Zielgruppe kaum in Frage. Für den Großteil dürfte auch die morgendliche Auslieferung ein Ausschlusskriterium sein.
Doch wer macht dann diese schlecht bezahlte Arbeit, die obendrein auch noch extrem schweißtreibend ist? Einen der gut 15 Kilogramm schweren Roller zwei Stockwerke nach oben in die Wohnung zu befördern, ist schließlich ein echter Knochenjob, auch wenn sich Ben beim Schleppen des Rollers nichts anmerken lässt. „Wenn man erst einmal den richtigen Griff rausgefunden hat, ist es okay.“
„Eigentlich macht es sogar wirklich Spaß“
Ben und Jenny sind Juicer, da der Job perfekt in das Leben des Paars passt. Der zentrale Wohnort ist gut, aber nicht zwingend notwendig. Auch in Ehrenfeld oder in der Südstadt gibt es genug Roller, die auf frischen Saft warten. Wichtiger ist der Innenhof, auf dem die Roller laden können. Mehr als zwei Roller haben die beiden noch nie in der Wohnung aufgeladen. Mit einer Plane abgedeckt laden jede Nach bis zu acht Tretroller im Hof. Von den Nachbarn habe sich noch nie jemand beschwert.
Als Selbstständiger arbeitet Ben oft von zuhause aus, teilweise bis spät in die Nacht. „Danach oder auch zwischendurch mal rauszugehen und ein, zwei Roller in den Hof zu rollen, ist eine schöne Gelegenheit, mal an die Luft zu kommen. Umso besser, wenn ich dabei ein paar Euro verdiene.“ Jenny fängt oft erst um 14 Uhr an zu arbeiten und sammelt auf dem späten Heimweg ebenfalls Roller ein. Frühaufsteher sind beide schon immer. „Der Job als Juicer schränkt uns nicht ein und wir sehen es auch nicht als Arbeit an“, sagt Jenny. „Eigentlich macht es sogar wirklich Spaß“, ergänzt ihr Freund.
Lime weist Vorwürfe zurück
Die Kritik, alle Verantwortung und Risiken an die Juicer abzutreten, kontert die Firma mit dem Unterstützungs-Paket für die freien Mitarbeiter. „Wir bieten den Juicern umfangreichen Support, Online-Demos und Best Practises für das Einsammeln, Aufladen und die Verteilung der Scooter, sowie Informationen über die Sicherheit, die für uns oberste Priorität hat“, erklärt ein Sprecher.
Das könnte Sie auch interessieren:
Konkurrenz gibt es kaum. „Wir treffen nur selten andere Juicer. Angesprochen werden wir dagegen oft. Blöd angeschaut eigentlich immer“, berichtet Jenny. Schlimm ist das nicht. Schließlich ist der anstehende Urlaub immer im Hinterkopf.