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Grünen-Fraktionschefin im Interview„Wir müssen den Autoverkehr in Köln reduzieren“

Lesezeit 7 Minuten
Christine Martin

Christiane Martin, Fraktionschefin der Grünen in Köln

  1. Christiane Martin (54) leitet seit sieben Monaten die Fraktion der Grünen, die seit 8. März im Bündnis mit CDU und Volt im Stadtrat regiert.
  2. Im Gespräch mit der Rundschau spricht sie über Anwohnerparken, Klimaschutz und das Verhältnis zur CDU.

KölnSeit September sind die Grünen erstmals stärkste Kraft im Stadtrat, die CDU ist Juniorpartner geworden. Was hat sich verändert?

Wir sind im Rat jetzt die ersten, die reden dürfen. (lacht)

Was haben Sie inhaltlich bisher erreicht außer den Plänen für ein zentrales Silvesterfeuerwerk?

Beim Fahrradverkehr gibt es einige Projekte, die schnell umgesetzt werden, wie der Radfahrstreifen am Aachener Weiher oder auf der Riehler Straße. Momentan gehen unsere Arbeitsgruppen den Bündnisvertrag durch und schauen: Was davon kann man sofort anpacken, was lässt sich in den nächsten fünf Jahren umsetzen?

Vieles aus dem Vertrag mit CDU und Volt dürfte aber unerledigt bleiben angesichts der Masse der Themen und der ungeklärten Finanzierung…

Ein Deckel auf der Autobahn A 57 in Ehrenfeld wird bis 2025 nicht kommen, da muss man ehrlich sein. Aber das ist ja auch ein Bundesthema. Ich sehe das als eine Idee, für die sich Kölner Abgeordnete im Bundestag stark machen sollten.

Zur Person

26 von 90 Sitzen haben die Grünen im Stadtrat, sind damit erstmals stärkste Kraft vor SPD und CDU (je 19). Christiane Martin (54) wurde im September zur neuen Fraktionschefin gewählt. Sie zählt zu den 16 Grünen, die 2020 neu in den Rat gekommen sind. Davor war sie seit 2007 in der Bezirksvertretung Ehrenfeld.

Martin stammt aus Freiberg (Sachsen). In Köln studierte sie Geografie mit Schwerpunkt Vegetation und Ökologie, arbeitete danach als Journalistin, Texterin und Lektorin. Die dreifache Mutter ist seit 2002 bei den Grünen, führt nun das Ratsbündnis aus Grünen, CDU und Volt an. Zu dessen ersten Entscheidungen gehörte die Schaffung zweier neuer Dezernate in der Stadtwaltung – eines für Umwelt/Klima und eines für Stadtentwicklung/Wirtschaft. (fu)

Mit der CDU konnten Sie sich nicht mal über ein paar hundert Meter Radweg auf der Rheinuferstraße einigen. Wie wollen Sie da bei großen Themen wie der Ost-West-Achse zu Lösungen kommen?

Bei der Ost-West-Achse wird es irgendwann eine Mehrheit für eine Variante geben – wir hoffen, für die oberirdische. Unter Umständen wird es dazu aber keine Einigkeit im Bündnis geben.

Warum sind die Kölner Grünen gegen U-Bahnen, während die Münchner Grünen dafür sind?

In München geht es um eine neue Strecke, hier bei uns um den Ausbau einer bestehenden Strecke. Außerdem ist das Kölner Stadtbahnsystem nicht vergleichbar mit dem in München. Ich bin nicht aus Prinzip gegen U-Bahnen, aber auf der Ost-West-Achse schon. Die lässt sich oberirdisch schneller, preiswerter und klimafreundlicher ertüchtigen.

Bei Verkehrsthemen liegen Grüne und CDU ständig über Kreuz, wie kann da ein Bündnis auf Dauer funktionieren?

Beim Verkehr sind Grüne und CDU unterschiedlich aufgestellt, was die Geschwindigkeit, die Maßnahmen und letztlich auch die Ziele angeht. Die CDU sieht zwar die Notwendigkeit einer Verkehrswende ein, aber ich unterstelle mal, dass sie es noch nicht durch und durch begriffen hat, dass wir den motorisierten Individualverkehr in der Stadt reduzieren müssen. Die CDU sagt immer: Ja, man muss aber noch Auto fahren können. Ich sage: Ja, man muss noch Auto fahren können, aber man muss anders Auto fahren. Man muss im richtigen Auto fahren, das ist für mich ein E-Auto, und man muss nicht in seinem privaten Auto fahren, sondern Carsharing nutzen. Da müssen die Grünen noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Das wäre im Übrigen mit der SPD nicht anders.

Martin Christine

Christiane Martin, Fraktionschefin der Grünen in Köln

Stimmt das Klischee, CDU-Politiker fahren Auto, Grüne mit dem Rad?

Zurzeit laufen ja alle Treffen digital ab. Aber als wir uns während der Bündnisgespräche noch persönlich getroffen haben, saßen da sechs Personen von der CDU, die waren mit dem Auto gekommen. Und sechs Grüne, die waren mit dem Rad gekommen. Das ist ein Klischee, aber es ist auch die Realität.

Haben Sie selbst ein Auto?

Ich habe nie ein Auto besessen, nutze gelegentlich Carsharing.

Viele Kölner fahren Auto, die Zulassungszahlen steigen. Halten die Grünen mit Verboten dagegen?

Wir wollen den Menschen Alternativen zum Auto bieten, die so gut sind, dass sie zu einem Umdenken und einem Umstieg weg vom Auto hin zu nachhaltiger Mobilität führen.

Wollen Sie deshalb die Anwohnerparkausweise verteuern und später abschaffen?

Derzeit kostet der Parkausweis 30 Euro im Jahr. Ich halte es nicht für angemessen, dass die Stadt das hohe Gut des öffentlichen Raums für eine so niedrige Gebühr für das Abstellen von Autos zur Verfügung stellt. Deshalb sehe ich hier einen dreistelligen Betrag als Ziel, das ab 2022 erreicht werden sollte.

Heißt das: 120 Euro wie in Wien? Oder 827 Euro wie in Stockholm?

Konkrete Zahlen haben wir im Bündnis bisher nicht besprochen. Man könnte über eine sozialverträgliche Lösung nachdenken, bei der höhere Einkommen mehr fürs Anwohnerparken bezahlen als Geringverdiener.

Ab welchem Stichtag wollen Sie keine neuen Parkausweise mehr ausstellen?

Es gibt keinen Stichtag. Das ist ein Ausblick sehr weit in die Zukunft. Erst müssen wir es schaffen, die Zahl der Autos in der City so weit zu reduzieren, dass wir keine Parkraumbewirtschaftung mehr brauchen.

Sind mehr Parkhäuser in den Veedeln eine Alternative für Sie?

Dass wir alle Autos, die jetzt auf der Straße stehen, in Quartiersgaragen packen, wird nicht funktionieren. Quartiersgaragen können ein sinnvoller Beitrag sein – etwa für E-Autos –, aber wir müssen insgesamt die Zahl der privaten Kfz reduzieren.

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Das Bündnis will Köln bis spätestens 2035 klimaneutral machen. Ist das nicht unrealistisch?

Nein, das Ziel lautet, dass die Stadt ab 2035 nicht mehr Kohlendioxid ausstößt, als auf natürliche oder künstliche Weise gebunden werden kann. Das halte ich für machbar, wenn wir Emissionszertifikate nutzen. Mit solchen Ausgleichszahlungen können Klimaschutzprojekte vor allem auf lokaler Ebene finanziert werden. Wichtig ist, dass wir jetzt schnellstmöglich die Weichen für die Klimawende stellen.

Was gehen Sie kurzfristig an?

Bis Jahresende wollen wir eine Solaroffensive starten. Ziel ist, auf den Gebäuden der Stadt und ihrer Unternehmen möglichst viele Photovoltaikanlagen zu bauen und Private zu ermuntern, dies auch zu tun, etwa durch Fördergelder. Die Rheinenergie ist ein wichtiger Partner bei der Energiewende. Sie muss nicht alle Anlagen selbst bauen und betreiben, soll aber Beratung anbieten.

Die Rheinenergie sieht ihre wirtschaftliche Zukunft durch ein Bürgerbegehren bedroht, das den Konzern bis 2030 zu klimaneutraler Stromproduktion zwingen will – egal was es kostet. Wie stehen Sie dazu?

Egal, was es kostet, geht nicht. Das können wir nicht mittragen. Dass mehr Klimaschutz Geld kosten wird, ist aber auch klar. Ich bin froh, dass die Bürgerinitiative und die Rheinenergie derzeit Gespräche führen und hoffe auf eine Einigung. Ziel ist, dass die Initiative ihr Bürgerbegehren zurücknimmt zugunsten eines gemeinsam verabredeten Klimaschutzplans.

Mehr Geld für Klimaschutz, Verkehrswende und viele neue Projekte: Kann sich Köln das angesichts der Corona-Lasten überhaupt leisten? Und muss man nicht erst Oper und MiQua zu Ende bauen, bevor Köln versucht, neue Kulturprojekte wie die Historische Mitte zu stemmen?

Es gibt gute Gründe, erst fertig zu bauen, bevor man sich etwas Neues vornimmt. Andererseits kommt man nicht voran, wenn man lange abwartet. Ich bin dafür, perspektivisch zu planen und bei der Historischen Mitte 2022 genau zu prüfen, ob man sofort oder später bauen will. Die Haushaltsplanberatungen starten jetzt, da wird uns die Kämmerin aufzeigen, was finanziell machbar ist und was nicht.

Beim Thema Wohnungsbau bleibt der Bündnisvertrag vage. Was tun Sie gegen die Wohnungsnot?

Wir haben den Bau preisgedämpfter Wohnungen im kooperativen Baulandmodell verankert und dafür gesorgt, dass die Stadt Grundstücke in Erbpacht vergibt, statt sie zu verkaufen. Sie soll auch mehr Flächen ankaufen. Für meinen Geschmack kann man an der einen oder anderen Stelle durchaus höher bauen, auch neue Hochhäuser sind denkbar. Auf dem Clouth-Gelände wären locker ein, zwei Geschosse mehr drin gewesen und dass jetzt an der Liebigstraße mitten in Ehrenfeld Einfamilienhäuser entstehen, ist für mich unfassbar.

Auch beim Thema Soziales zeige der Bündnisvertrag zu wenig grünes Profil, sagen Kritiker in Ihrer Partei. Haben sie Recht?

Ich sehe das anders. Wir haben vereinbart, dass es bis 2025 keine Kürzungen im Sozialbereich geben wird. Das muss auch erst mal finanziert werden.

Zwei Drittel der Grünen sind neu im Rat, darunter Sie selbst. Wie läuft eigentlich die Zusammenarbeit in der Fraktion?

Dafür ist Corona wirklich die Pest. Viele hatten sich gerade erst kennengelernt, als alles auf Videokonferenzen umgestellt werden musste. Die Klausurtagung mit der neuen Fraktion, die wir dringend brauchen, habe ich schon dreimal verschoben. Wir hoffen alle, dass sich die Lage bald normalisiert und wir uns wieder persönlich austauschen können.

Aufgezeichnet von Michael Fuchs