AboAbonnieren

Ex-FC-Spieler im InterviewThomas Broich wird zum gefragten TV-Experten der EM

Lesezeit 6 Minuten
broich

Locker und entspannt  mit dem Dom im Rücken: Thomas Broich beim Rundschau-Interview auf dem Rhein-Boulevard. 

  1. Thomas Broich ist innerhalb kurzer Zeit zum gefragten TV-Experten aufgestiegen.
  2. Der frühere FC-Spieler wird neben Bastian Schweinsteiger in der ARD die Spiele der Fußball-Europameisterschaft kommentieren.
  3. Jens Meifert sprach mit dem 40-Jährigen.

Herr Broich, ich falle mal mit der Tür ins Haus: Wird Deutschland Europameister?

Ich würde es zumindest nicht ausschließen. Wir sind nicht der Top-Favorit, es müsste viel zusammenkommen, und ja: Vor allem müssen wir diese unfassbar schwere Gruppe mit Frankreich, Portugal und Ungarn überstehen.

Und wenn das gelingt, ist alles möglich?

Es sind zwei Turnierfavoriten dabei: der Welt- und der Europameister. Über Frankreich ist alles gesagt, aber auch Portugal ist stärker als beim unverhofften Titelgewinn vor fünf Jahren. Heute haben Spieler wie Bernar-do Silva oder Rúben Dias tragende Rollen etwa bei Manchester City. Da sind so viele, die so gut kicken können. Wenn man sich da durchsetzt, stellt man natürlich fest: Wow, da geht was. Von der Besetzung her haben wir sicher auch eine starke Truppe und müssen uns nicht verstecken.

Eine bunte Karriere

2006 wechselte Thomas Broich ausgerechnet vom Erzrivalen Borussia Mönchengladbach zum 1. FC Köln. Drei Jahre trug er das Trikot mit der Nummer 10. Beim 4:2- Pokalsieg gegen Schalke 04 schoss er den Treffer zum 3:2 in der Verlängerung. 2008 stieg er mit dem Club in die erste Liga auf.

Der 40-Jährige galt als nachdenklicher Profi, der das Leben abseits des Fußballs zu schätzen weiß. Weil er gerne Gitarre spielte und sich Gedanken nicht nur ums runde Leder machte, bekam der Mittelfeldspieler den Spitznamen „Mozart“ verpasst.

Nach einer Bundesliga-Station in Nürnberg wechselte Broich 2010 bis zu seinem Karriereende 2017 zum australischen Erstligisten Brisbane Roar. Er gewann mit dem Club dreimal die nationale Meisterschaft. Zwei Mal wurde er zum australischen Spieler des Jahres gewählt, einmal zum Spieler des Jahrzehnts.

8 Jahre lang drehte Regisseur Aljoscha Pause eine Langzeitdokumentation über den gebürtigen Münchener. Ergebnis: ein 135-Minuten-Kinofilm mit dem Titel „Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen“.

2018 gründete Broich mit Jérôme Polenz einen Taktik-Blogg und wurde Experte beim Streamingdienst DAZN, dann bei der ARD-Sportschau. Zuletzt trainierte er die U15-Junioren der Frankfurter Eintracht. (mft)

Was für einen Fußball werden wir sehen? Bei der WM in Russland lautete die französische Erfolgsformel: kompakt stehen und überfallartig angreifen.

Ich hoffe doch sehr, dass der pragmatische Stil abgelöst wird von der Lust, rauszugehen und Fußball zu spielen. Ich denke, viele Nationen haben so gute Spieler dabei, deren Natur das auch entspricht: Belgien, England, die Niederlande, Spanien und die Franzosen natürlich auch. Bei der WM war es manchmal schon sehr zäh zuzuschauen.

Jeden Tag Fußball schauen und bewerten, macht das eigentlich Spaß?

Es wird bestimmt toll, aber es ist auch Stress. Ich habe schon Respekt vor dem Mammutprogramm: jeden Tag eine neue Partie, die Informationen und Zahlen sortieren. Aber ich bin auch Fan: Ungarn gegen Frankreich könnte vor ausverkauftem Haus stattfinden, das ist natürlich ein Privileg, das erleben zu dürfen.

Sie sind bei manchen Spielen vor Ort, bleiben bei manchen aber auch im Kölner Studio?

Das ist der Plan, genau. Es wird aufgrund der Einreise- und Hygienekonzepte nicht überall möglich sein, dabei zu sein. Bastian Schweinsteiger wird die deutschen Spiele kommentieren, ich sehe andere Nationen. Als erstes werde ich in Bukarest sein, beim Spiel Österreich gegen Nordmazedonien. Ich freue mich auf jedes Spiel.

Wie wird man ein guter TV-Experte?

Es gibt viele Arten, an den Job heranzugehen, und man kann es nie allen recht machen. Ich habe Matthias Sammer immer gerne zugehört und nehme mir seine Art zum Vorbild. Ich liebe das Spiel und möchte es gerne erklären. Ich habe null Interesse daran, einen Spieler rund zu machen oder auch nur schnell abzuurteilen. Zumal ich weiß, wie es sich anfühlt, das zu hören. Viel spannender ist doch zu erklären, welche Systematik hinter Erfolg oder Niederlage steht. Die Trainerarbeit ist immer komplexer geworden, Ansprüche an Athletik und Technik werden immer höher. Und es macht doch Spaß, etwas Neues im Spiel zu entdecken. Wenn ich helfen kann, dass die Leute taktische Zusammenhänge und Spielideen besser verstehen, dann habe ich einen guten Job gemacht.

Sie haben sich als Taktik-Blogger selbstständig gemacht. Wird in Deutschland zu wenig über Taktik geredet?

Ja, das Gefühl hatte ich. Am Ende ist es doch nicht interessant, ob es gerade Unruhen im Verein gibt oder irgendwelche Transfergerüchte, sondern: Warum ist das Spiel so gelaufen? Der Fußball ist so komplex, es gibt so viele Stellschrauben, mit denen sich das Spiel verändern lässt. Über Zuordnungen und Zahlenverhältnisse können wir reden. Die Trainer denken so, wir sollten versuchen das nachzuvollziehen. Immer mit Liebe zum Spiel und zum Detail.

Wie verändert sich das Spiel?

Fitness und Variabilität bestimmen derzeit alles. In einem Top-Team kann es sich kein Spieler mehr herausnehmen, nicht auch nach hinten zu arbeiten. Bei manchen Spielern weiß man gar nicht mehr, welche Position sie spielen, das ist fast eine Form von Schwarmintelligenz.

Sie haben als Spieler viel erreicht, aber Sie haben mal eingeräumt, es hätte mehr sein können.

Ich habe schon viel trainiert und hart für den Sport gearbeitet. Ich unterlag aber der Annahme, das geht jetzt immer so weiter. In Australien habe ich gelernt: Meister werden ist schön, aber Meister bleiben, viel schwerer. Das gilt für jeden Bundesligaprofi: Über Jahre konstant Stammspieler zu sein, das geht nicht von alleine.

Was ist Ihnen von den Kölner Jahren geblieben?

Das Lebensgefühl. Es ist ein tolles Miteinander in der Stadt. Ich kenne viele, die sagen: Es war keine einfache Zeit in Köln, aber: Was für eine Stadt! Was für ein Verein! So geht es mir auch, so ist meine Beziehung zu Köln, zum Verein, das liebenswerte Chaos des Clubs gehört dazu. Es war eine sehr prägende Phase. Köln lässt einen nicht kalt.

Sie hatten Freunde in einer Studenten-WG, haben mal in der Hobby-Liga gekickt. Das gab nicht beim FC Ärger, aber bei den Freizeitkickern.

Das fanden die nicht so cool, dabei habe ich mich total zurück gehalten. Dass da Beschwerde eingelegt wurde, ist schon sehr deutsch. In Australien hätten es alle lustig gefunden.

Was war das beste Spiel mit dem FC?

Für mich persönlich sicher das Pokalspiel gegen Schalke, das wir 2006 mit 4:2 nach Verlängerung gewonnen haben. Aber auch der Aufstieg war toll, als die ganze Stadt hinter uns stand. Da geht nichts drüber.

Sie sind nach Australien gegangen und sind dort als Fußballer gefeiert worden. Ein Glücksfall?

Absolut. Ich hatte damals nach einigen Karriererückschlägen nicht mehr viel erwartet, aber ins Ausland zu gehen, fand ich toll. Dann habe ich in Brisbane den richtigen Menschen getroffen: Ange Postecoglou, einen sensationellen Mentor und Trainer. Er war der Architekt des Erfolges, weise und fordernd. Ich habe viel von ihm gelernt, als Mensch mehr noch als Spieler.

Sie sind Spieler des Jahrzehnts geworden. Stolz?

Das ist toll, aber heute bedeutet mir mehr, dass ich von der Lebensart viel mitnehmen konnte: entspannter leben, die Dinge positiv sehen, Scheitern anders definieren. Das ist viel mehr wert als jeder Titel. Unsere Realität ist immer das, was wir hinein interpretieren, das habe ich mitgenommen. Wir haben die Möglichkeit, selbst die Dinge ins Positive zu wenden. Wir können nach jeder Niederlage sagen: Wir sind schlecht. Wir können aber auch sagen: Wir haben einiges gelernt und mitgenommen. Und beim nächsten Mal klappt es besser.